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Revolution in Ägypten: "Ich habe nur meine Tastatur benutzt"

"Betet für Ägypten", hackte er in seine Computertastatur, und "Wir haben Angst". Auf welche Weise der Blogger Wael Ghonim zur Stimme der jungen Demonstranten wurde.

Vor zwölf Tagen schickte Wael Ghonim einen Aufschrei über Twitter. „Betet für Ägypten“, hackte er in seine Tastatur. „Wir haben Angst. Die Regierung plant ein Kriegsverbrechen gegen das eigene Volk. Wir sind alle bereit zu sterben.“ Da standen die Proteste gegen Hosni Mubarak noch ganz am Anfang. Erst einen Tag später, nach dem Freitagsgebet, eroberte das Volk gegen eine staatliche Armada mit Knüppeln, Tränengas und Gewehren zum ersten Mal den Tahrir-Platz. Seitdem haben sie das Epizentrum ihrer Revolution nicht mehr aus der Hand gegeben.

Wael Ghonim, normalerweise Marketingchef für den Internetkonzern Google in Dubai, war zu diesem Zeitpunkt bereits vom Erdboden verschluckt. „Ich hatte zwölf Tage lang die Augen verbunden, ich hörte nichts, ich wusste nichts.“ Am vergangenen Montagabend tauchte er dann plötzlich aus den Fängen der gefürchteten Staatssicherheit wieder auf – in einem total veränderten Ägypten. „Freiheit ist ein Segen, für den es sich zu kämpfen lohnt“, twitterte er kurz nach 20 Uhr euphorisch an die globale Netzgemeinde, die weltweit auf seine Freilassung gepocht hatte. „Dies war eine Revolution der Jugend, und nun ist es die Revolution aller Ägypter“, rief er unter Tränen beim anschließenden Interview auf dem Privatsender „Dream 2“, das Millionen Zuschauer in Ägypten gebannt verfolgten.

Mit Wael Ghonim hat die junge Protestbewegung jetzt ein eigenes charismatisches Gesicht. Am Dienstag erschien der Vater zweier Kinder, der mit einer Amerikanerin verheiratet ist, zum ersten Mal auf dem Tahrir-Platz. Inspiriert durch seinen bewegenden Fernsehauftritt strömten wieder zehntausende aus allen Himmelsrichtungen zusammen – entschlossen, sich ihre Revolution nicht aus der Hand nehmen zu lassen.

Er sei nicht gefoltert worden, berichtete Ghonim. Kurz nach Mitternacht sei er im Taxi unterwegs gewesen, als das Auto plötzlich von vier bewaffneten Männern umringt wurde, die ihn aus dem Wagen zerrten. „Wie habt ihr diese Proteste angezettelt, wie habt ihr das gemacht?“, wollten die Geheimpolizisten bei den Endlosverhören immer und immer wieder von ihm wissen. „Ich weiß es nicht, ich habe keine Ahnung“, habe er geantwortet.

Denn Ghonim ist eher durch Zufall zur zentralen Figur des Internetaufstands geworden. „Wir sind alle Khaled Said“ nannte sich die Facebook-Seite, die er im Sommer letzten Jahres online stellte – als Protest gegen den Tod eines Bloggers in Alexandria, den zwei Zivilpolizisten auf offener Straße totgeprügelt hatten. Kurze Zeit später hatte der Link bereits über 200 000 Mitglieder. Und nach dem Umsturz in Tunesien erschien hier der erste Aufruf zu den Demonstrationen am 25. Januar, mit denen die Revolution in Ägypten ins Rollen kam. Doch inzwischen fürchten immer mehr junge Leute, ihr Aufstand könnte sich bald in endlosen Gremiensitzungen und plüschigen Konferenzsälen verlieren. Das Regime spielt auf Zeit, hat Gespräche mit der Opposition begonnen und setzt auf Zermürbung und Zerstrittenheit seiner Gegner.

Die jungen Demonstranten aber setzen auf Wael Ghonim. Sie wissen, ihre dezentrale Struktur ist Stärke und Schwäche zugleich. Ein Netzwerk aus Zehntausenden lässt sich nicht so einfach einschüchtern und zum Schweigen bringen. Dafür fehlt einem Netz oft der Kopf. So trat das bisherige Komitee der „Jugend des 25. Januar“ politisch nie in Erscheinung, außer bei einem kurzen Fototermin mit Vizepräsident Suleiman. „Ich bin kein Held, ich habe nur meine Tastatur benutzt“, gab sich der Internetaktivist bei seinem TV- Auftritt bescheiden. „Wahre Helden sind alle, die auf die Straßen gegangen sind und an den Demonstrationen teilnehmen. Wahre Helden sind alle, die ihr Leben verloren haben, verprügelt und verhaftet worden sind.“ Als die Moderatorin ihm dann Fotos junger Leute zeigte, die während der Proteste getötet worden waren, brach der 30-Jährige in Tränen aus. „Ich sage allen Mütter, allen Vätern, die ein Kind verloren haben – ich entschuldige mich, es ist nicht unsere Schuld“, stieß er hervor. „Sie sind gestorben, wegen derer, die sich an der Macht festklammern“, sagte er und rannte aus dem Studio.

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