zum Hauptinhalt
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat ihre Partei auf Linie getrimmt. Doch nun geht der Richtungsstreit los.

© dpa

Richtungsstreit in der CDU: Zwischen konservativer AfD und bürgerlichen Grünen

Unter Angela Merkel ist die Union in die Mitte gerückt. Nun gibt es Druck: von der AfD – und bürgerlichen Grünen. Bis 2017 muss der Kurs klar sein. Wohin steuert die Partei?

Von Robert Birnbaum

Wahlanalysen sind in der CDU normalerweise schnell erledigt – speziell nach Niederlagen fallen sie meist einfach aus. Um so bemerkenswerter ist der kleine Analysemarathon, der sich nun im Konrad- Adenauer-Haus abspielte. Nach den drei Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt schien selbst dem engsten Kreis um Angela Merkel der übliche Analyse-Ersatz nicht genug, dass der Wahlabend unschön gewesen sei, man aber bloß frisch nach vorne blicken müsse. Allzu präsent hat sich die AfD nicht allein in die Parlamente geschoben, sondern auch in die Kursdebatten in der Union. Da geht es längst nicht mehr allein um Merkels Flüchtlingspolitik. Alte Debatten zwischen Modernisierern und Konservativen drohen aufzubrechen.

Die Sondersitzung des CDU-Präsidiums zur vertieften Analyse am Sonntagabend war gleich nach den Landtagswahlen beschlossen worden. Dass da keine generelle Wende zur Debatte stehen würde, war freilich von vornherein klar. Auch die Zusammenfassung, die CDU- Generalsekretär Peter Tauber anderntags verkündete, überraschte niemanden: „Für die CDU ist entscheidend, dass sie die Mitte behauptet.“

Hinter Taubers Kopf prangte bei diesem Satz unübersehbar die Losung „Die Mitte“ auf der blauen Wand im Foyer des Adenauer-Hauses, die sein Vor-Vorgänger Ronald Pofalla eingeführt hatte, um den Christdemokraten Merkels Modernisierungskurs schmackhaft zu machen.

Zwei Drittel der Deutschen verorten sich selbst in der Mitte

Tatsächlich war das ein cleverer Zug, als es seinerzeit erschien. Denn nach dem Ende der Block-Konfrontation hat auch im Bewusstsein der Wähler das alte Rechts-Links-Schema weitgehend ausgedient. Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen, den die CDU-Zentrale als ihren Haus-Demoskopen auch am Sonntag wieder geladen hatte, kann anhand seiner Daten belegen, dass sich gut zwei Drittel der Deutschen selbst politisch in der Mitte verorten.

Das macht freilich die Sache nicht einfacher, denn mit diesem Drang zur Mitte verschwimmen die Konturen des ohnehin schwammigen Begriffs. Auch AfD-Anhänger sehen sich selbst nicht selten in einer „eigentlichen“ Mitte, die ihre Position seit Jahrzehnten gehalten habe, während der politische Mainstream immer weiter nach links gedriftet sei und die Kanzlerin mit ihm.

Die Theorie hat neuerdings auch in der Union wieder verstärkt Anhänger. Am lautesten vertritt sie der CSU-Ehrenvorsitzende Edmund Stoiber. Für Stoiber ist der Aufstieg der AfD die logische Konsequenz aus Merkels Gesamtkurs, von Familienpolitik über Euro-Rettung bis Willkommenskultur – die AfD erscheint da als gesammelte Rache der heimatlos gewordenen Konservativen.

So weit gehen in der CDU nur wenige. Aber in der Präsidiumssitzung gab es mehrere Wortmeldungen von Teilnehmern, die anmahnten, die CDU-Mitte müsse wieder stärker nach rechts hin ausgreifen. Parteivize Julia Klöckner wies öffentlich darauf hin, dass es dabei nicht um „rechts“ im klassischen Sinne gehe: „Die Frage nach Sicherheit, die Frage nach Verlässlichkeit ist ja nicht eine Frage nach rechts oder konservativ.“ Aus Klöckners Satz spricht die Erfahrung der gescheiterten Wahlkämpferin. Die Wähler der AfD automatisch rechts außen zu vermuten sei falsch, warnt sie.

Die Verluste der CDU automatisch der AfD zuzuschreiben ist aber wohl genau so falsch. Merkel und ihre Truppen ließen sich denn auch von Jung gerne vorrechnen, dass die CDU speziell in Baden-Württemberg sechsstellig an die Grünen verloren hat. Der Wahlforscher hatte seine Schlussfolgerung daraus schon in einer Klausur der Südwest-CDU vorgetragen: Dass sich der CDU-Spitzenkandidat Guido Wolf von Merkels Flüchtlingspolitik distanziert habe, sei ungefähr die mieseste denkbare Strategie gewesen. Denn bei aller Kritik an Merkel sei das Ansehen der Kanzlerin gerade auch im CDU-Lager hoch geblieben – deutlich höher als das ihres Kritikers Seehofer etwa. Wolf habe keinen einzigen AfD-Wähler verhindert, dafür aber vielen CDU-Wählern ein gutes Gewissen verschafft, die ihr Kreuz für den grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann machten.

Die Landespolitiker litten unter der Flüchtlingsdebatte

An diesem Vorwurf gab es übrigens in der Präsidiumssitzung Kritik: Es sei nicht fair, die CDU-Wahlkämpfer für Ergebnisse verantwortlich zu machen, die doch stark mit Merkels Flüchtlingskurs zusammenhingen. Die CDU-Chefin widersprach nicht. An Jungs Fazit ändert diese interne Rangelei ohnehin nichts. Der Mann, auf den die Merkelsche Wahlkampfstrategie der „asymmetrischen Demobilisierung“ zurückgeht, zieht es seit Jahren. Er legt zur Illustration auch gerne mal eine Karikatur auf. Sie zeigt eine fast leere Kirche, in der ein Kirchgänger seinem einzigen Nachbarn zuflüstert, die CDU solle sich doch endlich wieder auf ihre Stammwählerschaft besinnen!

Die Botschaft ist klar. Die CDU habe Mitte-Links mehr zu verlieren als sie mit einer Rückkehr zu alten Positionen gewinnen könne, die jetzt die AfD vertritt: „Wer zu sehr nach rechts schielt, verliert die Mitte.“ Die verbürgerlichten Grünen sind in dieser Sicht eine gefährlichere Konkurrenz als die durch die Flüchtlingsdebatte gepuschte AfD.

Tauber übernahm diese Sichtweise gern: „Wir erleben eben, dass das Parteiensystem nicht mehr so starr ist.“ Darin schwang die Hoffnung des CDU-Generals mit, dass die AfD sich verflüchtigt, sobald einmal ihr Hauptthema nicht mehr jede Nachrichtensendung bestimmt – so wie es der Populisten-Partei nach dem Ende der heißen Griechenlandkrise ja schon einmal erging.

Also einfach weiter so wie bisher? Das erscheint, Demoskopie hin oder her, selbst dem Merkel-Lager etwas mager. Es würde auch nicht dem entsprechen, was Merkel mit CSU-Chef Seehofer in den letzten kleinen Runden im Kanzleramt beredet hat. Um die Flüchtlingskrise – und den bitteren Streit darüber zwischen Seehofer und Merkel – in den Hintergrund zu drängen, sollen wieder stärker alte Herzensthemen der Unionswählerschaft behandelt werden. Die Überschrift soll „Sicherheit“ heißen – dort, bei Sicherheit im Inneren wie im Sozialen, verortet der Demoskop Jung neben der Wirtschaftskompetenz die zentrale Stärke der Union in den Augen der Bürger.

Seehofer hält die Riester-Rente für gescheitert

Die gemeinsame Überschrift hilft freilich nicht weiter, wenn die Unterzeilen nicht zusammenpassen. Ausgerechnet beim Thema soziale Sicherheit droht schließlich der nächste Riss zwischen Bayern und Berlin. Seehofer hat die Riester-Rente für „gescheitert“ erklärt und fordert auch sonst eine Rolle rückwärts in der Rentenpolitik. In der CDU warnen aber viele vor einer Rentenpolitik, die kurzfristig vorzeigbare Ergebnisse produzieren, aber auf lange Sicht die Jungen belasten würde. Tauber gab zu bedenken, dass zwölf Millionen Deutsche einen Riester-Vertrag geschlossen haben – er tue sich etwas schwer damit, da von Scheitern zu reden. Seehofers reagierte unwirsch: Er könne nur den Kopf schütteln, wenn die CDU behaupte, dass er und Bayern „wieder mal“ unrecht hätten.

Bleibt noch die Frage, wie es weitergehen soll im Umgang der CDU mit der AfD. Wahlforscher Jung empfahl eine „offensive Auseinandersetzung“, Tauber übernahm den Begriff. Praktischerweise liefert die „Alternative“ gerade eine Steilvorlage mit ihrem scharfen Anti-Islam-Kurs. Die Empörung in der CDU ist groß. Wer eine der drei Weltreligionen in ihrer Ausübung beschneiden wolle, kritisierte Tauber, der nehme das Grundgesetz und die Religionsfreiheit nicht ernst.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false