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Politik: Riester will die Rentenformel renovieren - wenn das die SPD-Basis mal nicht merkt (Kommentar)

Walter Riester hat es mit einer, gelinde gesagt, undankbaren Aufgabe zu tun: Er muss die SPD aus der selbstgestellten Falle in der Rentenfrage führen. Denn die SPD hat 1998 und zuvor Blüms Idee, einen "demographischen Faktor" in die Rentenformel einzubeziehen als "Rentenlüge" abgelehnt.

Walter Riester hat es mit einer, gelinde gesagt, undankbaren Aufgabe zu tun: Er muss die SPD aus der selbstgestellten Falle in der Rentenfrage führen. Denn die SPD hat 1998 und zuvor Blüms Idee, einen "demographischen Faktor" in die Rentenformel einzubeziehen als "Rentenlüge" abgelehnt.

Doch der "demographische Faktor" war kein böser Plan, um die Alten in die Armut zu treiben, sondern der Versuch des überzeugten Sozialstaatlers Blüm, einigermaßen auf der Höhe der Zeit zu bleiben. Denn in der Bundesrepublik wird es künftig immer mehr Alte und immer weniger Erwerbstätige geben, die die Rentenkassen füllen. Deshalb werden die Renten sinken müssen - und je später das geschieht, um so heftiger. Das sind die Tatsachen, und die kümmern sich nicht darum, ob gerade Rechte oder Linke regieren.

Das alles weiß auch Riester, weiß auch die SPD. Verzagt hat Riester erstmal die Rentensteigerung für zwei Jahre ausgesetzt, wohl wissend, dass dies nicht reichen wird. Und schon diese bloß befristete Maßnahme hat an der Basis der SPD Wutausbrüche provoziert. Das Debakel der SPD bei den Kommunalwahlen in NRW 1999 war auch eine Antwort auf Riesters "Renten-Betrug". Denn die Rente ist, gerade für viele älterere Arbeiter, nicht bloß Geld - die leistungsbezogene Rente verstehen sie als Anerkennung für lebenslange Arbeit. Und gerade in unserer juvenilen, dynamischen Gesellschaft, die für die Alten keine rechten sozialen Ort mehr vorsieht, ist die Rente mehr als Geld: Sie ist auch ein Symbol dafür, dass die Gesellschaft die Alten nicht vergisst. Andererseits steigen immer mehr Jüngere, wo es geht, aus der Rentenversicherung aus. Verständlich, denn sie bezahlen heute viel und werden dafür übermorgen wenig bekommen.

So ist Riester auf der fast unmöglichen Suche nach einem Kompromiss, der Teile der SPD-Basis nicht auf die Barrikaden treibt und trotzdem einigermaßen realitätstauglich ist. Riesters neuester Fluchtweg heißt: Wir bleiben bei der nettolohnbezogenen Rente, ziehen davon aber auch noch jenes Geld ab, das die Arbeitnehmer für ihre private Rentenvorsorge brauchen. Ist das eine Mogelei, ein Trick, um nicht "demographischer Faktor" oder "inflationangepasste Rente" sagen zu müssen - und trotzdem einen Rentenanstieg zu verhindern? Die Formel "nettobezogene Rente" bleibt, der Inhalt nicht?

Nein. Riesters Idee ist ein bisschen geschummelt, aber sie ist klug geschummelt. Denn nettolohnbezogene Rentenanpassung heißt ja: Rentner bekommen einen bestimmten Anteil dessen, was Normalverdiener haben. Wenn dieser Normalverdiener nun ein paar Prozent seines Lohns für eine private Alterssicherung ausgibt (was eingedenk der desolaten Lage der Rentenkasse immer mehr tun), dann ist es legitim, diesen Betrag auch den heutigen Rentnern abzuziehen. Denn so werden die heutigen Rentner daran beteiligt, dass die Jüngeren nun, anders als früher, privat für ihre Renten sorgen müssen. So wird die Belastung des Rentensystems durch den demographischen Wandel zwischen den Generationen verteilt. Riesters Idee hat noch einen interessanten Effekt: Je mehr Geld insgesamt für private Altersversorge ausgegeben wird, desto geringer fällt die "offizielle" Rente aus. Auch das wirkt wie ein schlaues, selbstregulierendes System. Im Ergebnis dürfte Riesters Plan eine ähnliche Wirkung haben wie der "demographische Faktor". Wenn das der SPD-Ortsverein Gelsenkirchen mal nicht merkt.

In der Rentendebatte herrscht insgesamt eine erfreuliche neue Sachlichkeit. CDU und SPD scheinen verstanden zu haben, dass es nichts bringt, wenn die jeweilige Opposition regelmäßig alle Versuche der jeweiligen Regierung versenkt, das Rentensystem zu renovieren. Und diese missliche Erfahrung haben nun beide hinter sich. Alle? Nein, Christian Wulff, der CDU-Mann, der nur den Angriff kennt, hat Riester gestern "Rentenbetrug" vorgeworfen. Diese neue Rentenformel allerdings steht schon fest: Wer in der Debatte anderen "Rentenbetrug" vorwirft, hat schon verloren.

Stefan Reinecke

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