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Politik: Rinderwahn: Bauernschläue gegen Exportverbot (Gastkommentar)

Eigentlich war bereits vor zwölf Jahren alles klar: Nachdem 1986 die ersten britischen Rinder an Rinderwahnsinn zugrunde gegangen waren, stand bald aus Tierkadaver hergestelltes Futtermehl als wahrscheinliche Infektionsquelle fest. Der Erreger der Nervenkrankheit "Bovine spongiforme Encephalopathie" (BSE) wurde einer besonderen Art heimtückischer Proteine, den "Prionen", zugeordnet.

Eigentlich war bereits vor zwölf Jahren alles klar: Nachdem 1986 die ersten britischen Rinder an Rinderwahnsinn zugrunde gegangen waren, stand bald aus Tierkadaver hergestelltes Futtermehl als wahrscheinliche Infektionsquelle fest. Der Erreger der Nervenkrankheit "Bovine spongiforme Encephalopathie" (BSE) wurde einer besonderen Art heimtückischer Proteine, den "Prionen", zugeordnet. Da Prionen die Artenbarriere überspringen können, gab es keinen Grund anzunehmen, ausgerechnet der Mensch könnte gegen den vielseitigen Infektionserreger immun sein.

Wissenschaftler wie Stanley Prusiner aus San Francisco schlugen Alarm und forderten drastische Maßnahmen, um eine Epidemie zu verhindern. Doch die zuständigen Politiker spielten das Problem herunter, bestellten Gutachten und zogen die wissenschaftlichen Daten in Zweifel. Für seine - anfangs umstrittene - Prionen-Theorie hat Prusiner inzwischen den Nobelpreis bekommen. Die erschreckenden Vorhersagen sind eingetreten: Vor vier Jahren tauchte in England eine bisher unbekannte Variante der Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung (vCJD) auf, die auffallend junge Menschen um die Dreißig befällt. Vergangenen Dezember wurde zweifelsfrei bewiesen: Die Prionen, von denen das Gehirn verstorbener vCJD-Patienten übersät ist, sind mit dem BSE-Erreger der Rinder identisch. Inzwischen sind 79 vCJD-Fälle in Großbritannien bekannt geworden, die Zahl der Todesfälle steigt jährlich um mehr als ein Drittel: In diesem Jahr waren es bis Ende Juli bereits 18 - genauso viele wie im gesamten Jahr 1998.

Wie von den Epidemiologen vorhergesagt, tauchen jetzt erste Häufungen der neuen Krankheit auf, etwa vergangenen Monat in einem kleinen Ort in der mittelenglischen Grafschaft Leicestershire. Mögliche Ursache: Schulmahlzeiten in den 80er Jahren aus den örtlichen Schlachthöfen. Nachdem im Juni auch noch in einer angeblich "BSE-freien" englischen Herde ein neuer Fall von Rinderwahn aufgetaucht war, wurde es den - sonst gegenüber wissenschaftlichen Horrorszenarien eher dickhäutigen - EU-Agrarministern doch mulmig. Vergangenen Monat einigten sie sich: bei Rindfleisch, auch bei Hackfleisch, muss ab 1. September der Schlacht- und Verarbeitungsort angegeben werden. Erst ab 2002 soll zusätzlich der Herkunftsort des Tieres angegeben werden - erst dann kann der Weg des Fleisches von der Geburt bis zur Ladentheke verfolgt werden.

Kritikern reicht das nicht aus. Nordrhein-Westfalen und das Saarland, die bei der Aufhebung des deutschen Importstopps im Bundesrat im März überstimmt worden waren, fordern jetzt ein neues Exportverbot. Sie berufen sich auf den Abschlussbericht einer EU-Expertenkommission; danach sind in Großbritannien auch in diesem Jahr mehrere hundert neue BSE-Fälle aufgetreten.

Die deutschen Bauern sind gegen ein neues Exportverbot - aus verständlichen Gründen: Sie machen bereits jetzt freiwillig Angaben über Abstammung, Schlachtort und Verarbeitungsstätte der Tiere und erklären: "Deutschland ist BSE-frei!" Der verkaufsfördernde Schlachtruf wurde jedoch durch das Gutachten der EU-Experten wissenschaftlich widerlegt. Das aus 50 internationalen Fachleuten zusammengesetzte Gremium hat Deutschland in Kategorie III der möglichen BSE-Risikostufen I bis IV eingestuft. Damit ist Deutschland, obwohl bisher nur bei importierten Tieren BSE aufgetreten ist, in der gleichen Kategorie wie Frankreich und die Schweiz, die zahlreiche eigene BSE-Fälle haben. Die höchste Risikostufe IV wurde nur für Großbritannien und Portugal festgestellt.

Die Begründung der Gutachter ist wenig schmeichelhaft: In Deutschland gibt es wahrscheinlich BSE-Rinder, die bisher wegen mangelhafter Nachweismethoden nicht identifiziert wurden. Kritikpunkt ist die bis heute praktizierte "passive Überwachung", bei der nur BSE-verdächtige Tiere im Labor untersucht werden. Deutschland hat jedoch zwischen 1980 und 1993 über 13 000 Rinder und etwa 1000 Tonnen potenziell infiziertes Viehfutter aus dem Königreich importiert. Die Experten befürchten: Mit der geplanten Einführung der "aktiven Überwachung" - etwa durch Stichproben bei notgeschlachteten oder aus unklarer Ursache verendeten Tieren - werden auch hier BSE-infizierte Rinder entdeckt werden. Da ist es bauernschlau, nicht nach neuen Exportverboten zu rufen. Sie könnten bald deutsches Beef treffen.

Alexander S. Kekulé

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