zum Hauptinhalt
270725_0_4ca59044.jpg

© Mike Wolff

Roland Koch: ''Wir dürfen nicht in Deckung gehen''

Der CDU-Vize Roland Koch sprach mit dem Tagesspiegel über die Verunsicherung seiner Partei, den Kampf um Opel und den Steuerwahlkampf der SPD.

Herr Koch, warum hat die Krise die CDU stärker verunsichert als andere Parteien?

Die Wirtschaftskrise hat staatliche Eingriffe notwendig gemacht, die wir uns bisher nicht vorstellen konnten. Der Staat war und ist aber derzeit gezwungen, eine Feuerwehrfunktion zu übernehmen. Denn wir haben es nicht nur mit einem Konjunktureinbruch zu tun, sondern auch mit einem partiellen Verlust von Handlungsfähigkeit in der Finanzindustrie. Dass der Staat in einer solchen Lage zu Hilfe eilt, ist notwendig und legitim. Bei manchen unserer Wähler löst das aber auch die Befürchtung aus, der Staat werde sich nach Bewältigung der Krise nicht wieder zurückziehen.

Was wollen Sie dagegen unternehmen?

Wir müssen im Wahlkampf klarmachen, dass wir als Union die Krise managen können, dabei aber ordnungspolitisch sauber bleiben. Das ist in einer großen Volkspartei nicht ganz einfach zu vermitteln, deshalb müssen wir schnell damit anfangen. Wir wollen, dass der Staat sich so bald wie verantwortbar und möglich aus der Rolle des wirtschaftlichen Akteurs zurückzieht und sich wieder darauf beschränkt, den Rahmen vorzugeben.

Hat die Krise den Glauben an die Selbstheilungskräfte des Marktes nicht erschüttert?

Als Anhänger der sozialen Marktwirtschaft waren wir nie der Auffassung, der Markt könne alles selbst heilen. Wir müssen uns nun aber der Debatte stellen, in welchem Ausmaß staatliche Eingriffe unabdingbar sind und ab wann die Gefahr greift, dass sich eine Gesellschaft daran zu gewöhnen beginnt, dass der Staat für sie schon alles erledigt. Wir sind aber keine kollektive Fürsorgepartei nach dem Selbstverständnis der Sozialdemokratie. Wir setzen in erster Linie auf die Freiheit und Eigenverantwortlichkeit des Einzelnen, weil wir fest daran glauben, dass sich der Einzelne auf diese Weise weit mehr Wohlstand und Sicherheit erarbeiten kann, als der Staat ihm jemals zuweisen könnte. Diese Überzeugung ist die Grundlage allen Handelns meiner Partei.

Muss der Wirtschaftsflügel der CDU akzeptieren, dass eine stärkere Rolle des Staates in Zukunft unabdingbar ist?

Es geht nicht um eine stärkere Rolle des Staates in Zukunft, sondern darum, inwieweit er sich in der akuten Krise in die Rolle des wirtschaftenden Unternehmers begeben darf, soll und muss. Konjunkturprogramme und Kredithilfen sind nur in absoluten Notsituationen und für kurze Zeit zu rechtfertigen.

Für viele in Ihrer Partei waren die Staatshilfen für Banken eine Zumutung. Dass der Staat nun auch noch Opel retten soll, ist für sie nicht erklärlich.

Die CDU sieht sich als Katastrophenmanager. Was zu tun ist, fällt uns nicht immer leicht, ändert aber nichts an unserer Entschlossenheit. Bei den Banken mussten wir handeln, um einen Zusammenbruch des Finanzwesens zu verhindern. Dass wir das nicht gern, sondern mit erheblichen Bauchschmerzen getan haben, ehrt uns. Denn natürlich ist es aus unserer Sicht nicht die ureigenste Aufgabe des Staates, sich an Banken zu beteiligen.

Die Autoindustrie würde auch ohne Opel überleben. Warum soll der Staat Opel dennoch retten?

Es gehörte stets zu den Aufgaben des Staates in der sozialen Marktwirtschaft, Unternehmen über Engpässe hinwegzuhelfen, wenn sie eine positive Zukunftsprognose vorweisen konnten. Deshalb haben wir jedes Jahr in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland Milliardenbürgschaften gegeben, um Unternehmen in Krisen zu helfen - übrigens vor allem an Mittelständler. Unterstützung für Opel ist also kein Tabubruch.

Aber systemrelevant ist Opel nicht.

Es geht bei Opel nicht um die Zukunft der gesamten deutschen Autoindustrie, das stimmt. Trotzdem gehört es zu den Pflichten einer verantwortungsbewussten Regierung, genau hinzuschauen, wenn Zehntausende von Arbeitsplätzen sowie wichtiges technologisches Know-how auf dem Spiel stehen. Der Staat darf und muss dann aktiv helfen, wenn es gute Zukunftsperspektiven für Opel gibt und er sich auf Kreditbürgschaften für Privatinvestoren beschränkt. Genau dafür wurde der 100-Milliarden-Fonds von Bund und Ländern ja geschaffen. Ich bin fest davon überzeugt: Es wird am Ende einen privaten Investor geben. Dafür spricht die große Zahl an Interessenten und die sehr ernst zu nehmenden Gespräche mit diesen. Einen solchen Investor braucht Opel auch. Er muss überzeugt sein, dass es für Opel-Fahrzeuge auf den Märkten eine Zukunft gibt und dafür sorgen, dass aus Opel ein moderner europäischer Automobilkonzern wird. Auch die Wirtschaftsprüfer haben im Auftrag von Bund und Ländern in ihrer Expertise festgestellt, dass das Opel-Konzept hochinteressant ist.

Zu den wankenden Gewissheiten Ihrer Partei zählt auch die Vorstellung, mit niedrigeren Steuern die Wirtschaft ankurbeln zu können. Ist die Forderung nach Steuersenkungen noch zeitgemäß?

Der Mittelstand ächzt sehr unter der Steuerlast. Unternehmer und Arbeitnehmer mit mittleren Einkommen empfinden es als demotivierend, wenn sie sehen, welche Abzüge sie auch dann haben, wenn sie ihre Einkünfte nur ein kleines bisschen steigern. Dieses Problem darf die Politik nicht auf Dauer ignorieren. In der Krise müssen wir aber aufpassen, dass staatliche Ausgaben und Einnahmen sich nicht zu weit auseinanderentfernen.

Ist die Unions-Forderung nach der Erhöhung des Grundfreibetrags bei der Einkommensteuer auf 8004 Euro mehr als Wahlkampffolklore?

Wir machen keine Wahlkampffolklore.

Der Grundfreibetrag wird im Falle einer CDU-Regierungsbeteiligung nach 2009 also unter allen Umständen angehoben?

Keiner weiß, wie die Krise in den nächsten Monaten verlaufen wird. Da wäre es unseriös, schon jetzt auf den Cent Steuersenkungen für die nächsten Jahre zu beschreiben. Das erwartet auch niemand von uns. Erst müssen wir die Krise bewältigen, und dann kümmern wir uns um die nächsten Dinge, die wir für unbedingt notwendig halten. Steuersenkungen bleiben auf der Tagesordnung, auch wenn wir uns mitten in der Krise nicht auf Zeitpunkt und Höhe festlegen können.

CSU-Chef Horst Seehofer will zur Konjunkturbelebung schon vor der Bundestagswahl die Steuern senken. Ist das realistisch?

Mein Eindruck ist, dass die Sozialdemokraten vor der Wahl nicht die Absicht haben, konstruktive Gespräche zu führen. Da werden auch Gedanken in der Union über schnelle Steuersenkungen keinen Erfolg haben.

Die SPD setzt im Wahlkampf auf die Reichensteuer. Was ist so falsch daran, Spitzenverdiener an den Lasten der Krise stärker zu beteiligen?

Die SPD will mit der Reichensteuer gezielt eine Neiddebatte schüren. Dabei bringt eine solche Steuer dem Staat nicht viel: Das zusätzliche Aufkommen wäre gering. Es ist auch nicht gerecht, Spitzenverdiener weiter zu belasten, da sie schon heute einen Großteil des Steueraufkommens finanzieren. Das Signal der SPD an die Leistungsträger ist verheerend. Es lautet: Ihr seid in Deutschland nicht erwünscht. Im Übrigen verabschiedet sich SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier auch von der Steuersenkungspolitik, die er als Kanzleramtsminister unter Gerhard Schröder mitverantwortet hat. Das ist nicht glaubwürdig. Bemerkenswert ist auch, dass nur jeder vierte SPD-Wähler die Forderung nach einer Reichensteuer unterstützt.

Die SPD verspricht einen Lohnsteuerbonus für alle, die auf ihre Steuererklärung verzichten. Was hat die Union eigentlich gegen diesen Beitrag zum Bürokratieabbau einzuwenden – außer dass er von der SPD stammt?

Wahlgeschenke wie der SPD-Steuerbonus sind durchschaubare Bauernfängerei und werden uns bei einer wirklichen Steuerreform nicht weiterhelfen. Herr Steinmeier und die SPD werden schnell erleben, dass die Steuerzahler das Angebot, auf die Kilometerpauschale oder die Geltendmachung der Kosten für Ausbildung zu verzichten und stattdessen einen 300-Euro-Scheck entgegenzunehmen, höflich, aber bestimmt ablehnen werden. Das wird ein ziemlich dickes Eigentor.

Zum Gerechtigkeitswahlkampf der SPD zählt auch die Forderung nach einer Börsenumsatzsteuer, der Begrenzung von Managergehältern und der Bekämpfung von Steueroasen. Kann die Union es sich leisten, einfach Nein zu sagen?

Die Sozialdemokraten haben offenbar die Hoffnung, dass die Menschen glauben, es gehe gerechter zu, je mehr Geld der Staat den Menschen abnimmt, um es dann wieder zu verteilen. Mit Neidgefühlen einen erweiterten Staatseinfluss zu rechtfertigen – das ist Wahlkampf aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Das ist ziemlich altbacken und offenbar aus der Verzweiflung der SPD über bescheidene Umfragen geboren, nachdem die wüsten Angriffe von Herrn Müntefering auf Bundeskanzlerin Merkel nicht verfangen haben. Es ist alles sehr durchsichtig. Die Maßnahmen, welche die SPD vorschlägt, werden am Ende Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum kosten.

Das marktliberale Großbritannien erhebt auch eine Börsenumsatzsteuer, in Japan sind Managergehälter begrenzt.

Ich halte die Überzeugung der SPD für verkehrt, dass es unserem Land besser gehen würde, wenn der Staat immer mehr Regeln vorgibt. Wir werden unseren Wohlstand nicht sichern, wenn wir immer weiter an der Steuerschraube drehen. Beim Thema Managergehälter sehe ich durchaus Chancen für eine Einigung.

Wie wollen Sie im Wahlkampf den Spagat zwischen dem Gerechtigkeitsbedürfnis der Menschen und der Sehnsucht Ihrer Anhänger nach marktwirtschaftlicher Prinzipientreue schaffen?

Indem wir über die Marktwirtschaft reden. Wir dürfen nicht in Deckung gehen. Die Marktwirtschaft hat eine gerechtere und keine ungerechtere Welt geschaffen. Sie hat dafür gesorgt, dass soziale Sicherheit und die Chancen, in dieser Gesellschaft teilzuhaben, größer und nicht kleiner geworden sind. Die Marktwirtschaft ist jedem Modell überlegen, das bisher auf der Welt ausprobiert worden ist. Wir müssen allerdings auch bekennen, dass sie nicht perfekt ist. Die SPD und ihr Kanzlerkandidat Steinmeier aber missbrauchen die Krise im Wahlkampf. Sie wollen Freiheiten einschränken. Damit wird die SPD aber nicht durchkommen, weil die Wähler – auch die Mehrzahl ihrer eigenen – es besser wissen.

Herr Koch, es ist Ihnen sicher recht, wenn wir zum Schluss auf Ihre Parteivorsitzende und Bundeskanzlerin zu sprechen kommen.

Immer.

Kann Angela Merkel führen?

Angela Merkel kann führen. Sie führt in dieser Krise in einer beeindruckenden Weise. Im Gegensatz zu Herrn Müntefering und einem größeren Anteil des deutschen Journalismus sehen das die meisten Deutschen auch so.

Im Streit um die Zukunft der Jobcenter hat Frau Merkel erst den NRW-Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers damit beauftragt, mit der SPD einen Kompromiss zu verhandeln. Der wurde dann aber von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gekippt – und zwar mit der Stimme der CDU-Abgeordneten Merkel. Nennen Sie das Führung?

Das ist ein Konflikt zwischen der Bundestagsfraktion und den Ministerpräsidenten. Das kann vorkommen.

Brauchte die Fraktion nach jahrelangen Kompromissen in der großen Koalition ein Ventil?

Was die Fraktion zu ihrer ablehnenden Haltung bewogen hat, mag ich nicht interpretieren. Ich hoffe, dass es vor den Bundestagswahlen doch noch Bewegung gibt. Mir ist die Sache sehr wichtig.

Sie halten eine Grundgesetzänderung zur rechtlichen Absicherung der Jobcenter trotz der Bedenken der Unions-Bundestagsfraktion doch noch für möglich?

Um in der Automobilsprache zu bleiben: Nichts ist unmöglich.

Das Gespräch führten Cordula Eubel und Stephan Haselberger. Das Foto machte Mike Wolff.

Zur Person:

JURIST 1958 in Frankfurt (Main) geboren, ging der Sohn eines CDU-Landtagsabgeordneten und späteren hessischen Justizministers in die Juristerei. Von 1985 bis 1999 arbeitete er als Rechtsanwalt.

CHRISTDEMOKRAT Einst „junger Wilder“ – 1979 war er jüngster CDU-Kreischef – gilt Koch heute als Gefolgsmann von CDU-Chefin Merkel. Seit 1998 führt er die Hessen-CDU.

LANDESVATER Seit 1987 Landtagsabgeordneter, wurde Koch 1999 als Nachfolger des SPD-Politikers Hans Eichel Ministerpräsident Hessens. 2009 setzte er sich gegen SPD-Herausforderin Andrea Ypsilanti durch, die keine Mehrheit gegen ihn finden konnte.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false