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Rom: Kein Halleluja

Wie ich Italiens Krise erlebt habe? Am intensivsten auf einer Party.

Wie ich Italiens Krise erlebt habe? Am intensivsten auf einer Party. Es war Samstag, der 12. November 2011, vor dem Quirinalspalast in Rom. Drinnen – alle wussten es an diesem Abend – reichte ein gewisser Silvio B. beim Staatspräsidenten seinen Rücktritt als Regierungschef ein. Dazu gezwungen hatten ihn die EU, der wirtschaftliche Verfall Italiens, die Megaspekulation auf den Finanzmärkten, die eigene Reformunfähigkeit.

Und draußen feierte das Volk. Einige Tausend waren spontan zusammengekommen, von Minute zu Minute wurden der Fröhlichen mehr. Ein Chor sang das „Halleluja“ aus Händels „Messias“ derart ausdauernd und penetrant, dass es einem kalt den Rücken hinunterlief. Es war, als schüttelten die Italiener ein schweres Joch von den Schultern. Es war wie ein Aufbruch in eine neue Ära. „Wie“ ein Aufbruch. Heute, nach elf Monaten, weiß man’s besser. Ein „Halleluja“ höre ich nirgendwo mehr.

Noch eine Beobachtung: Das Durchschnittstempo auf dem Autobahnring um Rom herum ist spürbar gesunken. Gewiss, eine objektive Statistik dazu fehlt, aber indirekt kann ich’s belegen: Die Italiener, geplagt von einer Steuererhöhung nach der anderen, sparen Sprit, wo immer es geht. Um fast ein Fünftel ist der Verbrauch seit 2008 zurückgegangen – so gewaltig, dass die Benzinkonzerne jetzt ausgerechnet an den Ferienwochenenden die Preise gesenkt haben. Gut, auch diese Periode ist vorbei. Italiens Benzinkunden zahlen – jetzt erst recht – so viel wie niemand sonst in Europa; auch beim Diesel liegt der Preis um 30 Prozent über dem europäischen Durchschnitt.

Ansonsten ist Italiens Krise für die journalistische Beobachtung seltsamerweise schwer fassbar. Es gibt keine zusammengebrochene Bank, an der man Misswirtschaft und Manager-Gier spiegeln könnte; es gibt keine wahnhaften touristischen Bauprojekte, an deren Geisterstatus man die verheerende Wirkung einer Immobilienblase veranschaulichen könnte. Es gibt viele Firmen in Not, es gibt gerade unter jungen Leuten zu viele Arbeitslose. Einzelne, sicherlich, lassen sich porträtieren. Aber es gibt solche Fälle überall. Und sind sie „die“ Krise?

So unbehaglich ich mich fühle: Die italienische Krise entgleitet mir, auch wenn ich mitten in ihr lebe. Und ich weiß, dass es anderen Korrespondenten in Rom genauso geht. Das Wesentliche spielt sowieso woanders: bei der Europäischen Zentralbank, bei der deutschen Bundesregierung, bei den ungreifbaren „Finanzmärkten“, die mit den ersten beiden Katz und Maus spielen.

Der nördliche Blickwinkel beeinflusst die Sicht auf Italiens Krise. Selbst in großen Wirtschaftsblättern werden die Leitartikel zum Thema in Deutschland geschrieben – auf der Basis des Materials, das aus Frankfurt und Berlin kommt –, und gar nicht selten von Leuten, die vielleicht mal an einem Adriastrand geurlaubt, aber sichtlich keine Ahnung von der italienischen Lebenswirklichkeit haben.

Gleichzeitig sahen sich Korrespondenten vor Ort – gerade in den ersten Monaten der Spekulation – eingedeckt mit „Expertisen“ von meist angelsächsisch geprägten Banken und von „Finanzforschungsinstituten“, deren Namen man nie zuvor gehört hatte, die aber ganz klar eines im Schilde führten: Italien schlecht- zureden und stimmungsmäßig sturmreif zu schießen.

Seit Mario Monti regiert, hat das nachgelassen. Dafür befallen einen jetzt Schmerzen anderer Art: So sehe ich jeden Tag hundertfach – und in so feinen Verästelungen, dass es deutschen Lesern nur mehr in groben Zügen zu erklären ist –, dass die politischen Parteien den Ernst der Lage in keiner Weise kapiert haben, dass sie zu keiner konzertierten Aktion gegen die Krise zusammenfinden, dass sie ihre personaltaktischen Spielchen spielen wie eh und je – und dass die ersten Wahlkämpfer schon wieder „versprechen“, Mario Montis noch gar nicht vollständiges Reformwerk gleich wieder rückgängig zu machen. Kann man politisch so blind sein? So verantwortungslos in einem so wunderbaren, so furchtbar schönen Land?

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