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Roma in Europa: Heimatlos und ziellos

Bulgarien verteidigt die Abschiebepraxis in Frankreich – und tut selbst wenig für seine größte Minderheit, die Roma.

„Zigeunersommer“ nennen die Bulgaren warme und sonnige Tage im Herbst, wie sie derzeit herrschen. Die vom französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy durchgesetzte Rückführung rumänischer und bulgarischer Roma, über die es zum handfesten Streit mit der Europäischen Kommission gekommen ist, gibt dem Begriff in diesem Jahr eine ganz neue Bedeutung. Die Regierung von Bulgariens Ministerpräsident Boiko Borissov stellte sich klar hinter die Politik des französischen Präsidenten. „Das Recht auf Freizügigkeit bedeutet kein Recht auf freie Niederlassung“, sagte Außenminister Nikolaj Mladenow am Samstag dem Staatsradio in Sofia. Frankreich habe einen „vollen rechtlichen Grund“ für die Roma-Ausweisung. Staatspräsident Georgi Parvanov kritisierte Frankreich dagegen für dessen Umgang mit bulgarischen Staatsbürgern.

Borissov begründet seine Position mit seinen Erfahrungen als Bürgermeister der bulgarischen Hauptstadt Sofia: „Auch ich hatte Probleme mit Roma, die sich illegal niedergelassen haben, und ich kenne die Probleme der Bürger, die in der Nähe von Roma-Siedlungen wohnen.“

Rund zehn Prozent der 7,5 Millionen Bulgaren sind Roma, gemessen an der Gesamtbevölkerung hat das Land europaweit den höchsten Roma-Anteil. Viele Roma leben in slumartigen Siedlungen am Rande der Städte und Dörfer, oft sieht man sie mit Pferdekarren Wertstoffe transportieren, die sie in Mülltonnen gefunden haben. Eine politische Strategie zur Verbesserung der Lebensverhältnisse der Roma gibt es im Programm von Borissovs Partei „Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens“ (GERB) nicht. In dieser Frage unterscheidet er sich nicht von seinen Vorgängern. Bulgarien hat in den letzten zehn Jahren von der EU viele Millionen Euro für die Verbesserung der Lebensverhältnisse der Roma erhalten, doch sichtbare Resultate gibt es wenig.

Gerade erst erregte die Auseinandersetzung um den sogenannten Block 20 im Wohngebiet Raina Kniaginia in der südostbulgarischen Stadt Jambol Aufsehen. Rund 1200 Roma lebten im „Block des Schreckens“, einem Plattenbau, in dem seit zehn Jahren weder Strom noch Wasser flossen und der so gut wie ohne Fensterscheiben war. Am vergangenen Mittwoch wurde ein zehnjähriges Mädchen von einer herunterstürzenden Betonplatte verletzt, es liegt seitdem im Koma. Jambols Bürgermeister hat den Block nun räumen lassen – viele Bewohner wissen nun nicht, wohin.

Manche werden das Land wohl verlassen. Die schlechten Lebensbedingungen sind nach Ansicht der Münchner Sozialwissenschaftlerin Sonja Schüler der Hauptgrund für die Flucht vieler Roma aus ihren Heimatländern in Südosteuropa: „Es mangelt an Arbeitsmöglichkeiten, sie haben kaum Zugang zum Gesundheitssystem und leben oft in eigenen Wohnvierteln, in denen es kein Abwassersystem und keine Müllabfuhr gibt.“ Die Kinder gingen meist auf eigene Schulen und lernten dort kaum lesen, schreiben und rechnen, sagt Schüler. In regionalen Schulen müssten Roma mit Vorurteilen kämpfen: „Sie müssen sich in die letzte Reihe setzen oder werden nicht aufgerufen.“

Im Oktober soll nun in Rumänien eine EU-Konferenz beraten, wie die Hilfsprogramme für Roma verbessert werden können. Experten setzen große Hoffnungen auf Brüssel: „Die Reaktion der Kommission zu den Ereignissen in Frankreich weist auf ein erneuertes Interesse der EU hin, den Heimatländern der Roma bei der Bekämpfung von Ungleichheit zu helfen“, sagt Robert Kushen, Direktor des Europäischen Zentrums für die Rechte der Roma (ERRC) in Budapest.

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