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Politik: Rot-Grün rückt von Vermögensteuer ab

„Unkalkulierbare Risiken“ / Gutachter warnen vor der Abgabe: Vor allem Rentner würden belastet

Von Antje Sirleschtov

Berlin - Linke Politiker der rot-grünen Koalition gehen auf Distanz zur Wiederbelebung der Vermögensteuer als Instrument für eine gerechtere Verteilung der Soziallasten in der Gesellschaft. Eine Vermögensteuer „ist nicht die Lösung unserer Probleme“, sagte der Sprecher der parlamentarischen Linken in der SPD-Bundestagsfraktion, Michael Müller, dem Tagesspiegel. Wer erwarte, dass die Besteuerung von Vermögen zu signifikant mehr Staatseinnahmen und zu mehr Gerechtigkeit führt, der liege falsch. Die Linken forderte Müller deshalb auf, „unsere Einfallslosigkeit nicht auf ein steuerliches Instrument zu konzentrieren“. Auch der linke Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele nannte die Vermögensteuer ein „Instrument, dessen Wirkung noch sehr genau untersucht werden muss“.

Anlass für die Skepsis ist ein Gutachten über die Auswirkungen der Vermögensteuer, das die Grünen-Bundestagsfraktion in Auftrag gegeben hatte. Darin kommen die Wissenschaftler des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zu dem Ergebnis, dass die Einführung einer Vermögensteuer weder zu deutlichen Verschiebungen in der Steuerlast von Arm und Reich noch zu spürbaren Mehreinnahmen des Staates führen wird.

Selbst nach der Untersuchung von sieben unterschiedlichen Besteuerungsmodellen und großen Freibeträgen für Bürger und kleine Unternehmen bescheinigt das DIW der Vermögensbesteuerung, sie sei eine „klassische Rentnersteuer“. Rund die Hälfte der Steuereinnahmen bei einer einprozentigen Belastung von Vermögen aus Immobilien- oder Kapitalbesitz würden auf Haushalte mit einem durchschnittlichen Monatseinkommen von 1000 bis 5000 Euro entfallen. Weil die Steuer aus Gründen der Doppelbelastung mit der Einkommensteuer verrechnet werden muss und Rentner diese meist nicht zahlen, wären sie über Gebühr belastet. Mit durchschnittlich 154 Euro monatlicher Vermögensteuer-Belastung müssten Rentner nach Berechnungen des DIW rechnen, die neben ihren Altersbezügen „nur“ eine selbst genutzte und lastenfreie Eigentumswohnung besitzen. Die finanzpolitische Sprecherin der Grünen, Christine Scheel, nannte dies „sehr unerwünschte Nebenwirkungen“. Der Grünen-Wirtschaftsexperte Fritz Kuhn warnte vor „unkalkulierbaren Risiken“ bei Arbeitsplätzen.

Für weitere Ernüchterung könnte auch die Prognose der DIW-Wissenschaftler sorgen, dass die gesellschaftlichen Kräfte, deren Vermögen eigentlich mit der Steuer belastet werden soll, wahrscheinlich kaum betroffen wären. Weil sich große Kapitalgesellschaften und wirklich reiche Deutsche der Besteuerung auf vielfältige Weise – unter anderem durch Verlagerung des Kapitals – entziehen werden, prognostiziert das DIW „keine nennenswerten Steuereinnahmen“.

Außerdem haben die Berliner Wissenschaftler Milliardenbeträge als Kosten für Steuerzahler und Fiskus bei der Erhebung berechnet. Rund fünf Milliarden Euro würden allein die Steuerzahler für Beratungskosten ausgeben, heißt es in dem Gutachten. Außerdem müssten die Finanzämter etwa 1500 Beamte mit der Erhebung und Kontrolle beschäftigen. Gewaltige Probleme sagte das DIW bei der Festsetzung der Besteuerungsgrundlage, etwa des Verkehrswertes von Immobilien, voraus. Die Einnahmen aus der Vermögensteuer schätzt das DIW gerade einmal auf drei bis sieben Milliarden Euro.

Dennoch wollen sich weder die Grünen noch die Linken in der SPD von dem Vorhaben einer gerechteren Besteuerung abbringen lassen. „Wir werden jetzt auch intelligentere Lösungen prüfen“, sagte der Grünen-Politiker Kuhn. Diese seien sowohl die Mindestbesteuerung von Kapitalgesellschaften als auch die Wiederbelebung der Erbschaftsteuer, die Besteuerung von Auslandskapital und die Besteuerung von Kapitalerträgen im Inland. Die DIW-Wissenschaftler empfehlen statt einer Vermögensteuer Änderungen im bestehenden Steuersystem. Hierzu zählen strengere Vorschriften bei der Gewinnermittlung, Änderungen bei der Ertragsbesteuerung von Immobilien sowie die konsequentere Besteuerung von Veräußerungsgewinnen bei Privatvermögen.

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