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Da steht's: Seite 172 des rot-rot-grünen Koalitionsvertrags, Abschnitt IV: „Gutes Regieren in Berlin“. Hier blättern Klaus Lederer, Michael Müller und Ramona Pop (v.l.) im eigenen Auftragswerk.

© dpa

Rot-Rot-Grün in Berlin: Das "Gute" im Koalitionsvertrag

Mit der Selbstverpflichtung zum "Guten Regieren" vergreift sich der Berliner Senat von Beginn an im Thema. Wo einfach mal Anpacken gefragt wäre, kommt er mit moralischen Kategorien. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Werner van Bebber

Berliner Politik ist  seit ein paar Wochen nicht mehr bloß Politik. In Berlin hat die Politik mit Rot-Rot-Grün wieder einen Überbau bekommen, durch die Einführung einer moralischen Kategorie. Formuliert  ist er auf Seite 172 des rot-rot-grünen Koalitionsvertrags, Abschnitt IV: „Gutes Regieren in Berlin“.

Das schöne Wort „gut“ in politischen Zusammenhängen ist keine Erfindung der Autoren des Berliner Regierungs-Plans. Es hat in den vergangenen Jahren politisch Karriere gemacht. Schon im schwarz-roten Bundesregierungs-Koalitionsvertrag sind gute Absichten festgehalten, allerdings nur im Zusammenhang mit der „Arbeit“. Ein Ziel der herrschenden Bundesregierung liegt nämlich darin, „gute Arbeit“ möglich zu machen. Es dürfte von Seite der SPD in das Vertragswerk gespeist worden sein. „Gute Arbeit“ ist seit einer Reihe von Jahren eine Art Kampfbegriff, Pardon: eine Parole der Gewerkschaften: Maloche, Gelderwerb und Lebensunterhalt waren gestern. Heute hat Arbeit in Deutschland eine neue Qualität zu erreichen.

Dass der gedankliche Sprung von der guten Arbeit zum guten Regieren gerade in Berlin gelungen ist, passt zu einem Senat, von dem sein Chef Michael Müller gesagt hat, man habe „richtig Lust aufs Regieren“. Allerdings ist das gute Regieren für die Rot-Rot-Grünen nicht bloß Polit-Lyrik. Die Autoren des Koalitionsvertrags haben definiert, was damit  gemeint ist: „Die Koalition verpflichtet sich zu einer Politik des guten, also bürgernahen, partizipativen und solidarischen Regierens.“

Reine Ideologie. Es gab serienweise Zeiten in der Geschichte, in denen Menschen bürgerfern, ohne Teilhabe an der Macht und allenfalls dem familiären Zusammenhalt überlassen waren und es ihnen nicht schlechter ging als uns heute. Die Demokratie ist eine wunderbare Sache, aber keine Garantie dafür, dass es einem gut geht. Anders gesagt: Auch in monarchistischen oder oligarchischen Zeiten haben es sich Leute, auch sehr viele Leute und große gesellschaftlichen Mehrheiten, gut gehen lassen können, vermutlich sogar in Zeiten der Diktatur.

Die Mängelliste ist lang - auf geht's?

Umgekehrt hat ausgerechnet der Skeptiker (und Theoretiker der Einpersonen-Herrschaft) Niccolo Machiavelli die politische Kategorie des Guten in Zweifel gezogen. Macchiavelli hielt nichts von politischer Gutgläubigkeit und schon gar nichts davon, sich Welt und Wirklichkeit  schöner zu reden, als sie waren (und sind), er war kein Moralist, sondern ein Realist. „Ein Mensch, der immer nur das Gute möchte, wird zwangsläufig zugrunde gehen inmitten von so vielen Menschen,  die nicht gut sind“, schrieb er in seiner Abhandlung mit dem Titel „Der Fürst“. Folglich empfahl er dem Fürsten, der an der Macht bleiben wollte, „nicht allein nach moralischen Gesetzen zu handeln, sondern von diesen „Gebrauch oder nicht Gebrauch zu machen, je nachdem es die Notwendigkeit erfordert“.

Zugegeben, der Mann steht nicht ganz zu Unrecht im Ruf, ein Zyniker gewesen zu sein. So ging und geht das den Realisten in der Politik ziemlich oft. Was aber wirklich gegen das „gute Regieren“ à la Berlin in Rot-Rot-Grün spricht, ist die moralische Haltung der Besserwisserei, die daraus spricht. Regieren allein reicht den Rot-Rot-Grünen nicht.

Dabei wäre politisches Handeln im Sinn von „Probleme erkennen, Lösungen finden, Regelungen treffen“ in Anbetracht der langen Mängelliste im Berliner Politikbetrieb ambitioniert genug. Gute Schulen brauchen keine Bürgernähe. Sichere Radwege sollte es ohne Partizipation geben, weil  Radfahrer, jedenfalls in der Theorie,  das gleiche Recht auf körperliche Unversehrtheit haben wie die Fahrer übergroßer Sports Utility Vehicles. Der Flughafen BER braucht, um in Betrieb gehen zu können, weniger Solidarität als ein gutes Management.

Überhaupt: Wie weit geht Bürgernähe? Bis zur Direktwahl des Bezirksbürgermeisters oder zumindest bis zum politischen Bezirksamt, das nicht nach Proporz, sondern nach den politischen Mehrheiten in einem Bezirk gebildet wird? Oder geht Bürgernähe bis zur Direktwahl des Schulleiters der Grundschule der Kinder? Wie gut ist Partizipation? So weit, dass das Tempelhofer Feld nie mehr bebaut oder verändert werden darf, weil ein Volksentscheid das mal so wollte? So weit, dass der ADAC demnächst  einen Volksentscheid über die Interessen der Berliner Autofahrer herbeiführt? Oder die Solidarität: Warum organisiert der gut regierende Berliner Senat nicht – nach finnischem Vorbild – einen Großversuch mit dem bedingungslosen Grundeinkommen für Langzeitarbeitslose? Das würde wohl zu keiner Stadt in Deutschland so gut passen wie zu Berlin.

Besser als „gutes Regieren“ wäre Regieren, damit die Stadt gut funktioniert.

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