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Linke-Verhandler Bodo Ramelow, Susanne Hennig-Wellsow: "Wir machen den Sack heute zu."

© Martin Schutt/dpa

Update

Rot-Rot-Grün mit Linke-Regierungschef: Thüringen steuert auf Ramelow-Regierung zu

Linkspartei, SPD und Grüne haben ihre Sondierungen über eine gemeinsame Regierung in Thüringen abgeschlossen. Es spricht viel dafür, dass die SPD ihren 4300 Genossen im Land dieses Bündnis zur Annahme empfiehlt.

Von Matthias Meisner

Es ist ein letztes Aufbegehren von ein paar Sektierern. Vor ein paar Tagen schrieb die Kommunistische Plattform (KPF) in Thüringen einen Brief an Gesinnungsgenossen und empörte sich über eine „Protokollnotiz“ aus den Sondierungsgesprächen von Linkspartei, SPD und Grünen. Um eben jenes Papier also, in dem es um die DDR als „Unrechtsstaat“ geht. Und in dem zum Beispiel auch festgehalten wird, dass eine rot-rot-grüne Regierung in Thüringen nicht zusammenarbeiten werde mit Organisationen, „die das DDR-Unrecht relativieren“.
Dass diese Passage sogar in die Präambel des Koalitionsvertrages soll, hält die KPF für empörend. Die drei potenziellen Regierungsparteien in Erfurt hätten sich auf ein „antikommunistisches Pamphlet“ verständigt. Sie sähen offenbar „nur negative Züge der DDR“. Und das, obwohl es in der DDR doch keine Arbeits- und Obdachlosigkeit gegeben habe und „die NVA niemals fremden Boden betrat“.
Sahra Wagenknecht, Vizechefin der Linken-Bundestagsfraktion und früher langjährige Wortführerin der Kommunistischen Plattform, ist klug genug, sich auf eine Diskussion zu dieser Kritik nicht erst einzulassen. Sie hat eine Wortmeldung zum Streit um den Begriff „Unrechtsstaat“ vermieden, der die Sondierungsrunden in Erfurt zwischenzeitlich beinahe zum Platzen brachte. Im Gegenteil, so erläuterte Wagenknecht am Mittwoch vor Journalisten in Berlin, sie freue sich, dass in Thüringen bald eine „andere Politik“ gemacht werden könnte. Es würden „Gestaltungsspielräume“ für eine sozialere Regierung eröffnet, die Wahl eines linken Regierungschefs wäre „eine gute Sache“. Wagenknecht: „Ich wünsche mir, dass die SPD bei dem bleibt, was sie signalisiert.“

SPD-Mitglieder müssen Empfehlung bestätigen

In der Tat wird die Landes-SPD ihren Mitgliedern vermutlich empfehlen, für Koalitionsverhandlungen mit Linkspartei und Grünen zu stimmen. Das Bündnis hätte eine Stimme Mehrheit im Landtag, aber das wäre bei Schwarz-Rot auch nicht anders. Die gesamte Funktionärsriege der Landespartei soll diese wichtige Vorentscheidung am kommenden Montag treffen, danach muss sie von den rund 4300 Genossen im Land in einem „verbindlichen Mitgliedervotum“ bis zum 3. November bestätigt werden.

Designierter SPD-Landeschef Andreas Bausewein, CDU-Ministerpräsident Christine Lieberknecht: Geheimgespräche zu Gunsten von Schwarz-Rot?
Designierter SPD-Landeschef Andreas Bausewein, CDU-Ministerpräsident Christine Lieberknecht: Geheimgespräche zu Gunsten von Schwarz-Rot?

© Martin Schutt/dpa

Völlig ausgeschlossen ist vor dem Hintergrund der knappen Mehrheitsverhältnisse nichts. Dazu zählt sowohl ein Scheitern des Linken-Kandidaten Bodo Ramelow bei der Wahl des Ministerpräsidenten als auch ein Schwenk der SPD zurück zur Fortsetzung von Schwarz-Rot. Angeblich hat es kürzlich noch Geheimgespräche zwischen Andreas Bausewein, dem Verhandlungsführer der SPD, und CDU-Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht gegeben.
Deutlich mehr aber spricht für eine SPD-Entscheidung zugunsten von Ramelow. Zum einen haben die Sozialdemokraten im Freistaat der Linken die Kakophonie in der Unrechtsstaatsdebatte mit kritischen Wortmeldungen bis hin zu Bundestagsfraktionschef Gregor Gysi nicht übel genommen.

V-Leute des Verfassungsschutzes werden abgeschaltet

Zum anderen konnten sie sich mit Linkspartei und Grünen rasch und reibungslos auf eine Agenda verständigen. Ein wichtiger Punkt dabei war ein Kompromiss zum Thema Verfassungsschutz. Die von den Linken ungeliebte Behörde, die speziell in Thüringen mit Pannen in Serie von sich reden machte, wird zwar nicht abgeschafft. Doch soll das bisherige System der V-Leute beendet werden. Ausnahmen könne es höchstens im begründeten Einzelfall zur Terrorismusabwehr geben, verabredeten die drei Parteien – ein einzigartiger Schritt in der deutschen Sicherheitspolitik.

Weitere Vorzeichen: Die CDU ließ den geschätzten – was längst nicht für alle ihre Minister zutrifft – Bauminister Christian Carius zum Landtagspräsidenten wählen. Und die Landes-SPD stellt sich so personell neu auf, dass es gut zu „r2g“ passt. Landesvorsitzender wird der Erfurter Oberbürgermeister Bausewein, der in der Landeshauptstadt über gute Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Linken und Grünen verfügt. Sympathien für eine solche Konstellation in Thüringen hat auch dessen künftige Stellvertreterriege mit dem Jenaer Oberbürgermeister Albrecht Schröter und der Landrätin des Kyffhäuserkreises, Antje Hochwind, die dort mit den Stimmen der Linkspartei ins Amt kam. Der Bundestagsabgeordnete Carsten Schneider, dritter im Bunde der neuen Vizechefs, rechnete schon vor der Wahl damit, dass Rot-Rot-Grün kommt.

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Ramelow lobte die „gute Atmosphäre“ der Sondierungen und versicherte, er sehe „keine Konflikte“. Nach der letzten Runde am Mittwoch - bei der sich die Parteien unter anderem auf einen Haushalt ohne neue Schulden verständigten - twitterte er: „11 intensive Stunden sondiert und mit sehr gutem Gefühl die Verhandlungen zu r2g abgeschlossen. Jetzt müssen die Gremien entscheiden.“

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