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Rückblick und Ausblick: Die wichtigsten Fragen zum NSU-Prozess

Es war der Mammut-Prozess 2013 und wird auch 2014 noch nicht beendet werden. Die Hauptangeklagte schweigt, die Staatsanwaltschaft muss Beate Zschäpes Schuld beweisen - Indiz für Indiz. Auch für die Angehörigen der Opfer ist die Aufarbeitung der Morde wichtig. Ein Überblick.

Von Frank Jansen

Seit acht Monaten ist das Oberlandesgericht München Schauplatz eines Verfahrens, wie es in der Justizgeschichte der Bundesrepublik selten eines gegeben hat. Im NSU-Prozess hat der 6. Strafsenat unter Vorsitz von Manfred Götzl an bislang 71 Verhandlungstagen versucht, Antworten auf die Frage zu finden, ob Beate Zschäpe und vier weitere Angeklagte an den monströsen Verbrechen der Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ mitschuldig sind – oder nicht. Es geht um zehn Morde, zwei Sprengstoffanschläge, 15 Raubüberfälle und weitere Verbrechen. Am Mittwoch ist der erste Prozesstag im neuen Jahr. Im Januar geht es um eine Mordwaffe – und um die tödlichen Schüsse auf die Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn.

Was ist den Angeklagten bislang nachgewiesen worden?

Im Mittelpunkt des Interesses der meisten Prozessbeteiligten und der Öffentlichkeit steht die Hauptangeklagte Beate Zschäpe. Die Bundesanwaltschaft wirft ihr die Mittäterschaft an allen Straftaten des NSU vor, „rechtlich zusammentreffend mit Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“. Und es kommt die Brandstiftung in Zwickau hinzu. Zschäpe hatte am 4. November 2011, nur Stunden nach dem Tod ihrer Kumpane Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im thüringischen Eisenach, die gemeinsame Wohnung in Zwickau angezündet – mutmaßlich um Spuren zu vernichten. Obwohl Zschäpe hartnäckig schweigt, hat im Prozess niemand bezweifelt, dass sie den Brand gelegt hat.

Allein für diese Tat drohen Zschäpe mehrere Jahre Haft – oder sogar  lebenslänglich. Denn die Bundesanwaltschaft spricht auch von versuchtem Mord. Bei dem Feuer geriet eine alte, gebrechliche Nachbarin in Gefahr. Zschäpes Anwälte gehen aber davon aus, ihre Mandantin habe rechtzeitig vor dem Brand bei der Rentnerin geklingelt. Die damals 89-jährige Frau ist allerdings schwerhörig. Selbst die Explosion zu Beginn des Feuers bekam sie nicht mit.

Bei den anderen Anklagepunkten gegen Zschäpe ist die Beweislage schwieriger, weil ein Puzzle aus Indizien zu bewerten ist. Da  sind beispielsweise die Asservate aus dem Brandschutt des Hauses in Zwickau. Die Polizei fand unter anderem mehrere Waffen. Eine ist die Pistole Ceska 83, mit der Mundlos und Böhnhardt neun Migranten türkischer und griechischer Herkunft erschossen hatten. Und eine Kriminalpolizistin sagte als Zeugin, an zwei im Schutt entdeckten Zeitungsausschnitten zu einem Mord und einem Sprengstoffanschlag des NSU befänden sich Fingerabdrücke Zschäpes.

Weitere Zeugen berichteten, Zschäpe habe gemeinsam mit Böhnhardt Fahrzeuge gemietet. Ehemalige Nachbarn und Urlaubsbekannte schilderten zudem die Märchen, die Zschäpe über sich und die beiden Uwes erzählte und wie die drei mit falschen Namen auftraten. Und der Mitangeklagte Holger G. hat angegeben, Zschäpe habe ihn in Zwickau am Bahnhof abgeholt, als er eine Waffe brachte. Aus Sicht ihrer Verteidiger reichen solche Indizien und weitere jedoch nicht aus, um zu beweisen, Zschäpe sei bei den Verbrechen des NSU die Mittäterin gewesen.

Die Anwälte verweisen zudem auf die Aussage des geständigen Mitangeklagten Carsten S. Er hatte im Jahr 2000 die Ceska 83 zu Mundlos und Böhnhardt nach Chemnitz gebracht. Die beiden Männer hätten von einem Sprengstoffanschlag in Nürnberg erzählt, aber nicht gewollt, dass Zschäpe davon etwas mitbekomme.  

Für den angeklagten Ex-NPD-Funktionär Ralf Wohlleben verlief der Prozess bislang ungünstig. Carsten S. hat in seiner Aussage betont, Wohlleben habe ihm Geld für den Kauf der Ceska 83 gegeben. Die Bundesanwaltschaft wirft Wohlleben, der sich nicht äußert, und Carsten S. Beihilfe zu neunfachem Mord vor.

Holger G. hat in seinem, vom Blatt abgelesenen Geständnis zugegeben, die Terrorzelle unterstützt zu haben. Der fünfte Angeklagte, André E., sagt gar nichts. Zeugen berichteten, auf seinen Namen seien Wohnmobile gemietet worden. Mundlos und Böhnhardt waren mehrmals im Caravan zu Tatorten gefahren.

Der Prozess wird wahrscheinlich auch 2014 nicht beendet

Deutet der Prozess auf eine größere Verschwörung hin oder handelte es sich um radikalisierte Einzeltäter?

Die Zahl der Unterstützer und Mitwisser war vermutlich gering. Offen bleibt, ob Mundlos und Böhnhardt bei den Morden in Nürnberg, Hamburg, München, Rostock, Dortmund, Kassel und Heilbronn zumindest punktuell auf die Hilfe örtlicher Neonazis zählen konnten. Und dubios erscheint die Rolle des ehemaligen V-Mannes Tino Brandt. Er war Anführer der Neonazi-Kameradschaft „Thüringer Heimatschutz“, der auch Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe bis zum Gang in den Untergrund im Januar 1998 angehört hatten. Paralell spitzelte Brandt für den Thüringer Verfassungsschutz. Laut Aussage eines BKA-Beamtes im Prozess soll Brandt die drei Neonazis in ihrem Willen zum bewaffneten Kampf ermuntert haben.    

Wie liegt der Prozess im Zeitplan?

Richter Götzl wollte zunächst in diesem Januar mit der Verhandlung durch sein. Doch schon zwei Monate nach Beginn des Prozesses bestimmte der Strafsenat bereits weitere 113 Verhandlungstage, bis zum Dezember 2014. Die Befragung von Zeugen durch Götzl selbst, durch elf Verteidiger und regelmäßig mehr als 50 Nebenklage-Anwälte kann manchmal lange dauern. Allein die Mutter von Uwe Böhnhardt wurde im November zwei Tage vernommen. Und mit jedem weiteren Verhandlungstag wird der Prozess für den Staat teurer, allein schon wegen der zu zahlenden Anwaltshonorare. Am Ende wird eine Summe von mehreren Millionen Euro zusammenkommen.     

Wird Beate Zschäpe bis zum Schluss schweigen?

Zschäpe wirkt in Prozesspausen oft quirlig, sie redet und scherzt mit ihren Verteidigern. Die wollen allerdings nicht, dass Zschäpe in der Verhandlung etwas sagt. Vermutlich ist auch die Angeklagte gar nicht bereit, sich zu äußern. Um dennoch Zschäpes Verhalten bewerten zu können, hat der Strafsenat einen psychiatrischen Sachverständigen beauftragt, die Frau an jedem Prozesstag zu beobachten. Meist präsentiert Zschäpe allerdings nur ein Pokerface, auch wenn es um grausige Details der Morde geht. Das Schweigen ist Teil der Strategie der Verteidiger, den Strafsenat mühsam Indizien sammeln zu lassen.  

Wie sehen die Nebenkläger, die Angehörigen der Opfer, den Prozessverlauf?

Nur punktuell nehmen Hinterbliebene der Mordopfer am Prozess teil. Einige Angehörige sind auch als Zeugen aufgetreten. Sie haben sich bitter über die Ermittlungen der Polizei beklagt. Die Strafverfolger waren jahrelang der Theorie gefolgt, die getöteten Migranten könnten in dunkle Machenschaften verwickelt gewesen sein. „Ich wurde bei den Vernehmungen öfter gefragt, ob ich mitbekommen habe, dass mein Vater Drogen verkauft habe“, berichtete im November Gamze Kubasik, die Tochter des im April 2006 in Dortmund erschossenen, deutschtürkischen Kiosk-Betreibers Mehmet Kubasik.

Es tut den Hinterbliebenen gut, dass sie sich im Prozess äußern können. Obwohl sie es unerträglich finden, nur wenige Meter entfernt von Beate Zschäpe zu sitzen, die kaum eine Regung zeigt. Doch die Verhandlung scheint einigen Angehörigen der Mordopfer etwas Vertrauen in den deutschen Rechtsstaat zurückzugeben. Sie hätten gemerkt, „dass das Gericht dem Fall sehr gründlich nachgeht“, sagte im September Ibrahim Yasar. Der Bruder des im Juni 2005 in Nürnberg ermordeten Imbissbetreibers Ismail Yasar war mit seiner Mutter aus der Türkei zum Prozess angereist.   

Bisher ist Zschäpe nicht zum Idol für die rechte Szene geworden

Gibt es überhaupt eine realistische Chance, dass der Prozess zu einem Ergebnis kommt?

Der NSU-Prozess wird wahrscheinlich wie ein klassisches Verfahren enden – mit einem Urteil, in dem Schuld oder Unschuld eines Angeklagten festgestellt wird. Nach dem bisherigen Verlauf des Prozesses ist zu vermuten, dass der Strafsenat alle Angeklagten zu Strafen verurteilen wird. Bei Zschäpe ist allerdings offen, ob die Indizien genügen, sie als Mittäterin zu verurteilen. Möglicherweise reicht es „nur“ für eine Strafe wegen Beihilfe zu den Verbrechen, die Mundlos und Böhnhardt begangen haben und wegen der Brandstiftung in Zwickau. Aber auch dann wären viele Jahre Haft fällig.

 Hat der Prozess abschreckende Wirkung auf die rechte Szene?

Die Szene ist sich nicht einig, wie sie den NSU einstufen soll. Einige Neonazis haben Zschäpe mit Liebesbriefen bedacht, doch bislang ist sie keine Ikone des braunen Milieus. Rechtsextremisten identifizieren sich eher mit Ralf Wohlleben, der bis zu seiner Verhaftung in der Szene aktiv war. Außerdem lässt er sich als einziger Angeklagter von Anwälten vertreten lässt, die vom rechten Spektrum zumindest nicht so weit entfernt sind wie die anderen Verteidiger. Ab und zu tauchen im Zuschauerblock des Gerichtssaals auch Neonazis auf, manche lachen Wohlleben zu.

In Teilen der Szene wird zudem weiter über militante Aktionen diskutiert. Es ist allerdings nicht zu erkennen, dass sich, wie zumindest von Mundlos und Böhnhardt erhofft, ein breiter „nationalsozialistischer Untergrund“ mit autonom agierenden Terrorzellen bildet.

Der Prozess ist einst mit riesiger internationaler Aufmerksamkeit gestartet – wird er heute im Ausland noch registriert?

Es kommen nur wenige Journalisten ausländischer Medien zum Prozess. Einige türkische Reporter sind häufiger dabei, unter anderem von der Zeitung „Zaman“. Das Interesse ausländischer Medien dürfte jedoch wieder deutlich steigen, wenn Plädoyers und Urteil zu erwarten sind – oder sollte Zschäpe ihr Schweigen brechen.  

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