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Politik: Rückkehr im Triumph - Überlebende des Holocaust begleiten den israelischen Premier beim Besuch in Sachsenhausen

Ein zart gebauter alter Herr im grauen Anzug hebt seine Pocketkamera vor die kantige Brille mit den großen, abgedunkelten Gläsern. Yereh Bahir ist im Begriff, ein historisches Foto zu machen.

Ein zart gebauter alter Herr im grauen Anzug hebt seine Pocketkamera vor die kantige Brille mit den großen, abgedunkelten Gläsern. Yereh Bahir ist im Begriff, ein historisches Foto zu machen. Eben hat er seinen Enkel Yuval, einen schüchtern wirkenden 19-Jährigen in der einfachen kakibraunen Uniform der israelischen Militärdienstpflichtigen, sanft in die richtige Position geschoben. Als der israelische Premierminister Ehud Barak Yuvals Hand nimmt und der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder die seine lächelnd bereithält - da drückt Yereh Bahir auf den Auslöser. Ein Foto, das nicht nur in die Familiengeschichte der Bahirs eingehen wird: Yuval in Sachsenhausen, vor dem Tor mit dem schmiedeeisernen Schriftzug "Arbeit macht frei". Der Fotograf ist der Großvater, der dieses Konzentrationslager vor 54 Jahren als Überlebender verließ.

Die Geschichte dieses Fotos hat einen furchtbaren Anfang. Sie begann im Jahr 1942 in Polen mit der Verschleppung zur Zwangsarbeit für die Rüstungsindustrie, sie endete gestern mit jenem denkwürdigen Familienausflug. "Wenn ich heute hierher zurückkomme, mit meinem Premierminister und meinem Enkel - das schließt den Kreis", sagt Yereh Bahir. Damals sei er als Mensch und Jude mit dem Familiennamen Blass gekommen und zum "Untermenschen" mit der Häftlingsnummer 94656 gemacht worden. Jetzt komme er als Mensch und Israeli zurück "in ein neues Deutschland".

Israels Premierminister Barak wollte nicht alleine in die deutsche Hauptstadt reisen. Er brachte eine Delegation von Überlebenden des Holocaust und deren Enkeln mit. Diese Reise wollte er zu einem Symbol machen, wie er kürzlich in einem Zeitungsinterview sagte, zu einem Zeichen "unseres Triumphes als Volk und unserer Fähigkeit, das zu überwinden, was immer sich unserer Selbstverwirklichung als Juden und Israelis in den Weg gestellt hat". Je näher dann der Termin der Deutschland-Reise rückte, desto mehr hellte sich diese Symbolik auf. Vor dem Hintergrund des Bösen, das von Deutschland ausging, verbinde Israel mit der Bundesrepublik zweifellos eine "einzigartige Beziehung", sagte Barak in einem "Spiegel"-Interview. Aber Deutschland sei für ihn vor allem eine "stabile, sensible und dynamische Demokratie", eine Inspiration gar für den Friedensprozess im eigenen Land.

Vor der Presse im Kanzleramt musste sich Barak wieder im Spagat zwischen unvereinbaren Eckpunkten der jüdisch-deutschen Geschichte üben: Als er 1942 in einem Kibbuz in Palästina zur Welt kam, wurde in Berlin die "Endlösung" beschlossen. Heute aber freue er sich, als erster israelischer Premierminister nach der Wiedervereinigung in Berlin zu sein, der Hauptstadt des "neuen, lebendig demokratischen Deutschland". Die Presse, schien es, war am ersten Abend des Barak-Besuchs schon hinweg über die Geschichte und fragte nur nach dem Friedensprozess im Nahen Osten. Vorsichtiger Optimismus bei Barak. Der strahlende Kanzler Schröder hatte ihm alle irgend mögliche europäische Unterstützung zugesagt - und ein Bekenntnis zur deutschen Vergangenheit abgelegt: "Nur wenn wir nicht vergessen und verdrängen, was geschehen ist, nur dann wird deutsche Politik erfolgreich sein."

Am nächsten Morgen der Weg nach Sachsenhausen - ein Schritt zurück an den Abgrund der Geschichte? Nein, es bleibt ein Spagat, der wohl als gelungen bezeichnet werden kann. Der Bundeskanzler, der jetzt noch deutlicher ausruft: "Es gibt nur einen Weg, mit dem Unvorstellbaren dieser Verbrechen umzugehen: Wir müssen uns und alle anderen wieder und wieder daran erinnern." Jehud Barak, der auf Hebräisch und vielleicht deutlicher sagt: "Die Deutschen, die diese Verbrechen begangen haben, und Menschen aus anderen Völkern, die mitwirkten . . . - deren Schuld wird niemals vergehen." Die Symbolik dieses Besuchs spricht auch aus der Aufstellung am historischen Ort der "Station Z": Vor den Fundamenten der Gaskammern und der Krematoriumsöfen stehen Jugendliche aus Berlin und Brandenburg, die sich für die deutsch-jüdische Verständigung engagieren, neben den Enkeln der Überlebenden von Sachsenhausen. Neben ihnen sitzen die Veteranen, die Nazideutschland entkamen und Israel aufbauten. Im Halbkreis dann die "Offiziellen", ein Reigen aus israelischen Diplomaten und Sicherheitsleuten, Rabbinern der jüdischen Gemeinde zu Berlin, Ministerpräsident Manfred Stolpe und Frau, Bundeskanzler Schröder und Frau. Aber nur die Baraks scheinen sich wirklich nah zu sein: Immer wieder während der Gedenkrede Schröders und der Gesänge des Berliner Oberkantors Estrongo Nachama sucht Ehud Barak den Blick seiner Frau.

Und dann gibt es diesen einen Moment, als alle Gäste dieser Zeremonie eins werden und keine Kamera mehr zu klicken wagt. Nurit Cohen, eine 17-jährige Schülerin aus einem Kibbuz an der Nordgrenze Israels, singt "Eli, Eli" (Mein Gott, oh, Gott). Der Klang ihrer jungen Stimme und der männlichen Stimmen, die spontan einfallen, erfüllt den hohen Raum der Erniedrigung über den Ruinen der "Station Z".

Hinterher, was sagen die Menschen da? Eli Carmel, ein Sachsenhausen-Überlebender wie Yereh Bahir, ruft noch einen Satz, bevor er in den wartenden schwarzen Mercedes-Bus einsteigt, der ihn und die Delegation zurück nach Berlin ins Hotel Adlon bringt: "Eins kann ich Ihnen sagen - vor sechzig Jahren bin ich etwas unbequemer gereist." In der S-Bahn nach Berlin unterhalten sich Jugendliche, die bei der Zeremonie den Kranz des Staates Israel getragen haben. "Was ich Scheiße fand, dass Baraks Rede nicht übersetzt wurde", sagt ein etwa 16-jähriges Mädchen. "Die war aber auch arschlang. Nicht so wie Schröder - blab, blab und vorbei. Aber echt gut", antwortet ihr ein Altersgenosse. "Ej, das war so traurig", sagt wieder das Mädchen und zeigt den anderen noch einmal, wie sie sich die Tränen wegwischen musste.

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