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Der Vize-Ölminister Hussameddin kündigte seinen Rücktritt an.

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Rücktritt des Vize-Ölministers: Syrische Regierung verliert erstes ranghohes Mitglied an Rebellen

Der Vize-Ölminister Hussameddin kündigte seinen Rücktritt an. Seinen Kollegen empfiehlt er, ebenfalls "das sinkende Schiff" zu verlassen. Obama lässt indes militärische Optionen für Syrien prüfen.

Erstmals seit Beginn der Revolte vor einem Jahr ist ein ranghohes Mitglied der syrischen Regierung zu den Aufständischen übergelaufen. Vize-Ölminister Abdo Hussameddin kündigte seinen Rücktritt in der Nacht zu Donnerstag an und riet seinen Kollegen, ebenfalls „das sinkende Schiff“ zu verlassen.

Russland warf Libyen vor, in einem Spezialcamp syrische Rebellen auszubilden und sie dann für Angriffe auf die Regierung zurückzuschicken.

"Ich, der Ingenieur Abdo Hussameddin, stellvertretender Ölminister, kündige hiermit meine Abkehr vom Regime und meinen Rücktritt an“, sagte Hussameddin in einem auf Youtube veröffentlichten Video. Er schließe sich nun der Revolution des Volkes an, „das die Ungerechtigkeit und die brutale Kampagne des Regimes zurückweist“. Das Volk fordere lediglich „Freiheit und Würde“.

Der syrische Vize-Minister sagte in dem Video, er habe 33 Jahre lang für die syrische Regierung gearbeitet. Er wolle nun aber nicht im Dienst eines „kriminellen Regimes“ enden. Er sei sich durchaus bewusst, dass seine Entscheidung Folgen haben werde. „Dieses Regime wird mein Haus niederbrennen, meine Familie verfolgen und Lügen verbreiten“, sagte er. Trotzdem rate er all seinen Kollegen, seinem Beispiel zu folgen.

Ein Aktivist namens Rami, der das Video nach eigenen Angaben drehte und ins Internet stellte, sagte AFP in der libanesischen Hauptstadt Beirut, die Opposition habe dabei geholfen, Hussameddins Übertritt zu organisieren. Wo dieser sich aufhielt und wo das Video aufgenommen wurde, wollte er aus Sicherheitsgründen nicht sagen.

Hussameddin kritisierte in dem gut vierminüten Stück zudem Russland und China scharf für ihr Veto gegen eine Verurteilung der Gewalt in Syrien durch den UN-Sicherheitsrat. Diese Länder seien „keine Freunde des syrischen Volkes“, sagte er, sondern Verbündete der „Morde am syrischen Volk“. Russland gilt als einer der wichtigsten Verbündeten Syriens und machte für die eskalierende Gewalt stets sowohl die Aufständischen als auch die Führung von Staatschef Baschar al-Assad verantwortlich.

Russland beschuldigt Libyen, syrische Aufständische zu schulen

Im UN-Sicherheitsrat sagte Russlands UN-Botschafter Witali Tschurkin am Mittwoch, ihm lägen Informationen über ein von den libyschen Behörden geduldetes Lager vor, in dem „syrische Aufständische“ geschult würden. Dies sei „vollkommen inakzeptabel“ und untergrabe die Stabilität in der Region. Tschurkin äußerte sich während eines Treffens zu Libyen, an dem auch der Chef der libyschen Übergangsregierung, Abdel Rahim al-Kib, teilnahm. Dieser äußerte sich nicht zu den Vorwürfen.

US-Verteidigungsminister Leon Panetta kündigte unterdessen im Senat an, die Aufständischen mit Kommunikationsmitteln versorgen zu wollen. Derzeit würden „mögliche zusätzliche Schritte“ geprüft, wie dem syrischen Volk in Zusammenarbeit mit den internationalen Partnern geholfen werden könne, sagte er. Angesichts des endlosen Blutvergießens in Syrien lässt US-Präsident Barack Obama nach den Worten von US-Generstabschef Martin Dempsey nun auch militärische Optionen prüfen.

Die syrische Opposition fordert zur Verteidigung gegen Angriffe des Regimes von Präsident Baschar al-Assad Waffen. Die UN-Nothilfekoordinatorin, Valeria Amos, besuchte am Mittwoch das seit Tagen abgeriegelte Viertel Baba Amro in Homs.

Zu den Optionen, die die USA prüfen, zählten humanitäre Missionen, die Überwachung der Seewege, Flugverbotszonen und begrenzte Luftschläge, sagte Dempsey am Mittwoch vor dem Streitkräfteausschuss des Senats. Die verschiedenen Möglichkeiten seien aber noch nicht mit Obama direkt diskutiert worden, sondern mit seinem Team von Sicherheitsberatern. Auch gebe es noch keine Detailplanung.

US-Verteidigungsminister Leon Panetta warnte in derselben Anhörung jedoch vor einem militärischen Eingreifen in den Konflikt, da es den Bürgerkrieg verschlimmern könnte. Der Obama-Regierung sei klar, dass in Syrien „militärische Gewalt an ihre Grenzen stößt, vor allem was Bodentruppen angeht“, sagte der Pentagon-Chef. Luftangriffe würden zu zivilen Opfern führen, warnten Panetta und Dempsey.
Zuvor hatte der ehemalige republikanische Präsidentschaftskandidat John McCain als erster US-Senator Luftschläge gegen die Truppen von Machthaber Baschar al-Assad gefordert. Ein solcher Schritt sei „der einzige realistische Weg“, das Blutvergießen zu beenden.

Tunesien bot Assad erneut Asyl an

Panetta und Dempsey betonten vor dem Ausschuss wiederholt, dass sich die Lage in Syrien nicht mit der in Libyen vergleichen lasse, wo die internationale Gemeinschaft eine Flugverbotszone etabliert hatte.

Syrien verfüge über die fünffach stärkere Flugabwehr als das nordafrikanische Land. Eine solche Zone einzurichten würde einige Zeit dauern und eine große Zahl Flugzeuge notwendig machen.
Die UN-Nothilfekoordinatorin Amos hielt sich am Mittwoch etwa eine Stunde lang im seit Tagen abgeriegelten Viertel Baba Amro von Homs auf, berichteten Mitarbeiter des syrischen Roten Halbmondes.

Anschließend habe Amos weitere Viertel von Homs besichtigt. Der syrische Außenminister Walid al-Muallim hatte zuvor erklärt, seine Regierung wolle mit Amos kooperieren, „solange dies nicht die Souveränität Syriens verletzt“.

Nach dem Abzug der Deserteure der Freien Syrischen Armee hatte die Armee das Viertel Baba Amro am Donnerstag vergangener Woche eingenommen. Seither sollen Tausende Zivilisten aus dem vormals umkämpften Gebiet geflohen sein. Das Rote Kreuz hatte seither vergeblich auf den Zugang zu dem Viertel gewartet. Aktivisten hatten in den vergangenen Tagen über Hinrichtungen, Massenfestnahmen, Vergewaltigungen und Plünderungen in Baba Amro berichtet. Am kommenden Samstag wird auch der neue Syrien-Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen, der frühere UN-Generalsekretär Kofi Annan, in Damaskus erwartet.

Vertreter der syrischen Opposition fordern Waffen von der internationalen Gemeinschaft, um die Menschen in Syrien gegen Angriffe des Assad-Regimes zu verteidigen. „Das Regime greift (...) Zivilisten an, und zwar mit Hightech-Waffen. Diese Menschen müssen verteidigt werden. Wenn ein Panzer Wohngebäude angreift, braucht man doch Mittel, um ihn unschädlich machen zu können“, sagte der Sprecher des oppositionellen Nationalrates Bassam Ishak der Wochenzeitung „Die Zeit“.

Syrien brauche keine Intervention, sondern Hilfe zur Selbstverteidigung. Außerdem seien Schutzzonen wichtig. „Wir würden jede Hilfe unserer Nachbarn annehmen, um Schutzzonen aufzubauen, sei es durch die Türkei oder durch andere Länder.“ Auch der syrische Exilsprecher des Nationalrates Sadiqu Al-Mousllie forderte in einem Interview des Deutschlandradios Kultur am Mittwoch Waffen für die Opposition, um die Zivilbevölkerung zu schützen. „Jeden Tag sterben hundert Leute“, sagte der in Deutschland lebende Zahnarzt. Er warnte davor, zu lange abzuwarten, bis die Lage völlig außer Kontrolle gerate.

Der tunesische Präsident Moncef Marzouki erneuerte sein Angebot, Assad politisches Asyl zu gewähren.

Die Zahl der Toten während des seit einem Jahr anhaltenden Konflikts stieg nach Angaben von Menschenrechtsaktivisten mittlerweile auf knapp 8500, die UNO geht von mehr als 7500 Getöteten aus. Am Mittwoch besuchte die UN-Nothilfekoordinatorin Valerie Amos die drittgrößte Stadt Homs. Sie ist ihren Angaben zufolge „total zerstört“ und nahezu menschenleer. (AFP,dpa)

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