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Rücktritt in Stasiunterlagenbehörde: Ein Brief und seine Folgen – 40 Jahre später

Der Chef des Hauptpersonalrats der Stasiunterlagenbehörde ist zurückgetreten, weil er Kontakte zum DDR-Geheimdienst hatte.

Von Matthias Meisner

Die Sendung hatte Kultstatus. Und auch Lutz Penesch, damals Oberschüler im DDR-Bezirk Halle, hörte den „Treffpunkt“ des West-Berliner Senders Rias. Er, geboren 1954, war damals Anfang der 70er Jahre Teenager und wie viele andere scharf auf eine sogenannte „Hörerpostbestätigung“. Bloß gab er nicht wie manche andere seine Post in den Westen einem Kameraden mit, um sie etwa in der Tschechoslowakei in den Briefkasten zu werfen, sondern gab sie in seinem Heimatland auf. Die Stasi fing den Brief ab, das Hören von West-Radio wurde damals noch ziemlich streng verfolgt. Kurze Zeit später nahm die Stasi mit ihm Kontakt auf: Er wolle doch studieren, oder? Penesch hatte damals, wie ein Kenner der Materie im Rückblick erläutert, „die Hosen voll“.

40 Jahre später sollte diese Geschichte aus seiner Jugend für Lutz Penesch doch noch Konsequenzen haben. Der Diplomingenieur hatte sich 1991 in die Dienste der damals von Joachim Gauck geleiteten Stasiunterlagenbehörde gestellt. Seit fünf Jahren war Penesch der Vorsitzende des Hauptpersonalrates beim Bundesbeauftragten für Kultur und Medien, Staatsminister Bernd Neumann (CDU) ist auch für die Birthler-Behörde zuständig. Jetzt aber gab Penesch diesen Posten ab. Beim „Puzzeln“ von zerschredderten Stasiakten war auf einem Dokument sein Name aufgetaucht. In einer persönlichen Erklärung machte Penesch intern bekannt, dass er vor diesem Hintergrund seinen Posten als Arbeitnehmervertreter aufgeben wolle. Einige Tage später erhielten alle Mitarbeiter in einem Rundschreiben die Information, Penesch gebe „aus persönlichen Gründen“ Amt und Mandat ab.

Ob es sich, wie die „Welt“ berichtete, um einen „Stasi-Fall in der Birthler-Behörde“, gar einen „spektakulären“, handelt, ist aber die Frage. Die Zeitung berichtet, Unterlagen würden „angeblich belegen, dass Penesch eng mit der Staatssicherheit liiert war“. Die Stasiunterlagenbehörde selbst gibt keine Auskunft zu Inhalt und Umfang der entdeckten Dokumente. Behördensprecher Andreas Schulze sagt, Auskünfte über Stasikontakte Minderjähriger dürften nach dem Stasiunterlagengesetz nicht erteilt werden. Der zweite Vorsitzende des Hauptpersonalrates, Karl Schmitz, sagte der „Welt“, die Aktenfunde hätten zu Diskussionen geführt. „Aus moralischen Gründen war es richtig, dass Penesch zurückgezogen hat.“ Penesch selbst soll erklärt haben, er habe sich im Alter von 17 Jahren „verführen“ lassen.

Was das genau heißt? Manche Verbindung drängt sich auf zur Politikerin Angela Marquardt. 2002, damals war Marquardt Bundestagsabgeordnete der PDS, wurde bekannt, dass sie 1987 eine Verpflichtungserklärung als Inoffizielle Mitarbeiterin (IM) der Stasi unterschrieben hatte. Der Geschäftsordnungsausschuss des Bundestages prüfte damals intensiv die Akten, befragte Marquardt und andere – und kam zu dem Schluss, keine sichere Überzeugung von einer wissentlichen und willentlichen Stasi-Mitarbeit der Abgeordneten bekommen zu haben, diese sei ausdrücklich „nicht erwiesen“.

Im Fall Penesch gibt es bisher keine Hinweise auf eine Verpflichtung als Stasi-IM, offenbar auch keine Spitzelberichte. Möglicherweise hat er, damals im Raum Halle, das Gespräch mit den Stasileuten nicht gleich abgebrochen. In der Stasiunterlagenbehörde ist er fünf Mal überprüft worden, zuletzt im vergangenen Jahr. Fraglich ist, ob er falsche Angaben bei seiner Einstellung gemacht hat. Im entsprechenden Fragebogen wird nach einer Mitarbeit bei MfS oder der Nachfolgeeinrichtung „AfNS“ gefragt („auch nebentätig“). Eine solche ist nicht belegt. Dazu kommt noch, dass in der Novelle des Stasiunterlagengesetzes 1996 eine Stichtagsregelung eingefügt worden ist, wonach Verfehlungen vor 1976 in der Regel ohne arbeitsrechtliche Konsequenzen bleiben, für damals Minderjährige dürfte das erst recht zutreffen. Die Birthler-Behörde sucht gegenwärtig nach einem neuen Job für Penesch entsprechend dessen Qualifikationen.

Für manche bot der Fall dennoch einen Anlass, kurz vor dem Ende der Amtszeit von Marianne Birthler alte Debatten erneut zu führen. Rund 50 ehemalige Stasimitarbeiter arbeiten noch bei der Unterlagenbehörde, Gauck und Birthler haben das dem letzten DDR-Innenminister Peter-Michael Diestel und Wolfgang Schäuble zu verdanken, 1990 Bundesinnenminister. Die beiden CDU-Politiker hatten diese Mitarbeiter übernommen. Sie werden in der Birthler-Behörde heute vornehmlich als Pförtner eingesetzt. Es gibt ein paar Techniker. Einige wenige arbeiten im Archiv, um bei der Aufarbeitung des Aktenbestandes zu beraten. Zuletzt war das 2006 intensiv diskutiert worden.

Die „Mitteldeutsche Zeitung“ zitierte den Vize der Unions-Bundestagsfraktion, Arnold Vaatz (CDU), mit Kritik an der Personalpolitik. „Die Behörde muss die Frage beantworten, wie das erst jetzt bekannt werden konnte“, sagte Vaatz. Klaus Schroeder, Leiter des SED-Forschungsverbundes an der Freien Universität in Berlin, sagte: „Wir hatten empfohlen, das Behördenpersonal strenger und häufiger zu überprüfen. Es wäre zu wünschen, dass der neue Behördenchef Roland Jahn genauer hinschaut als Marianne Birthler.“

Der designierte Behördenchef Jahn, der sein Amt Mitte März antritt, will sich nicht zum Fall Penesch äußern. Die Rolle des Nebenbeauftragten liegt ihm nicht, zudem will er sich erst mit den Einzelheiten vertraut machen. Bei seiner Vorstellungsrunde im Dezember und Januar bei den Fraktionen des Bundestages hatte er darauf hingewiesen, dass er immer gegen eine Beschäftigung früherer Stasi-Mitarbeiter bei der Behörde gewesen ist, schon wegen der symbolischen Wirkung. Andererseits machte Jahn nach seiner Wahl klar, dass er für eine differenzierte Aufarbeitung eintritt. Selbst in der Birthler-Behörde könne „nicht jeder jeden Tag überprüft werden“, meinen viele dort. Diese Einschätzung dürfte auch Jahn teilen.

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