zum Hauptinhalt
Deniz Baykal sagt der Politik 'Auf Wiedersehen'.

© AFP

Rücktritt: Türkischer Oppositionschef stolpert über Sex-Affäre

Kurdenpolitik hin, Verfassungsänderungen her - nichts fesselt die Öffentlichkeit eines Landes so wie ein Sex-Skandal um einen führenden Politiker. In der Türkei musste deshalb jetzt Oppositionschef Deniz Baykal zurücktreten.

Baykal wurde bei einem Schäferstündchen mit seiner außerehelichen Geliebten gefilmt. Am Montag trat er deshalb zurück, zumindest vorerst. Nun rätselt die politische Klasse, wer das Video ins Internet gebracht hat. War es die Regierung von Premier Recep Tayyip Erdogan, die ihren schärfsten Kritiker demontieren will? Waren es innerparteiliche Gegner Baykals? War es gar das böse Ausland? Und tritt Baykal am Ende vom Rücktritt wieder zurück? Mit Wonne geben sich die Türken ihrem Hang zu Verschwörungstheorien hin.

Für eine ganze Generation von Türken ist eine Polit-Szene in Ankara ohne den 71-jährigen Deniz Baykal etwas völlig Neues. Baykal sitzt seit 1973 im Parlament, er war kurzzeitig Außenminister und Vize-Premier, mit einigen Unterbrechungen stand er fast 20 Jahre an der Spitze der linksnationalistischen Partei CHP. Als Oppositionschef in Ankara führte Baykal in den vergangenen Jahren den Widerstand gegen die religiös-konservative Regierung Erdogan an, fuhr dabei aber einen destruktiven und nationalistischen Kurs, der selbst viele CHP-Mitglieder abschreckte. Nicht wegen, sondern trotz Baykal erhalte die CHP rund 20 Prozent der Wählerstimmen, lautet ein oft gehörter Spruch in Ankara.

Nun stolperte Baykal über ein Sex-Video, mit versteckter Kamera aufgenommen in einem Schlaf- oder Hotelzimmer. Die Aufnahmen, die am Wochenende im Internet auftauchten, zeigen den seit Jahrzehnten verheirateten Baykal mit Nesrin Baytok, seiner Sekretärin, die auch für die CHP im Parlament sitzt. Spektakulär sind die körnigen Aufnahmen nicht gerade, doch sieht man Baykal und Baytok halbnackt durchs Zimmer laufen.

Baykal bestätigte die Echtheit des Clips: Er sprach von "frischen" Aufnahmen und einem ebenso illegalen wie unmoralischem Eingriff in die Intimsphäre. Erdogan selbst und führende Regierungspolitiker zeigten sich bestürzt und versprachen, alles zur Aufklärung des Skandals zu tun. Baykal selbst hält das für ein Täuschungsmanöver. Er sieht das Sex-Band als Teil eines Komplotts der Regierung. In den vergangenen Wochen hatten sich Baykals CHP und Erdogans Regierungspartei AKP einen erbitterten Streit um Verfassungsänderungen geliefert, in denen die CHP einen Versuch einer islamistischen Machtergreifung sieht. Der Sex-Clips ziele nicht auf eine Person, sondern auf den Widerstand "gegen den zivilen Staatsstreich", der gerade ablaufe, sagte Baykal.

Die Tränen, die von CHP-Granden vergossen wurden, könnten auch Freudentränen gewesen sein

Doch Erdogan hat kaum ein Interesse daran, Baykal loszuwerden, im Gegenteil. Mit seiner Fundamentalopposition hatte Baykal die CHP immer unattraktiver werden lassen. Einen besseren Oppositionsführer kann sich Erdogan kaum wünschen. Wahrscheinlicher ist da schon eine andere Theorie. Kurz vor dem CHP-Parteitag in zwei Wochen hätten interne Baykal-Kritiker den Vorsitzende abservieren wollen, kommentierten einige Zeitungen. Die Tränen, die von CHP-Granden am Montag in den Live-Sendungen der Nachrichtensender vergossen wurden, könnten auch Freudentränen gewesen sein.

Zülfü Livanelli, ein Komponist, früherer CHP-Abgeordneter und Zeitungskommentator, vertrat sogar die These, möglicherweise stecke das Ausland hinter dem Sex-Band. Nach diesem recht abenteuerlichem Szenario könnten finstere Kräfte im Westen versuchen, zuerst Baykal und dann Erdogan abzuservieren, um die Türkei von ihrer Annäherung an den Iran und ihrer Kritik an Israel abzubringen.

Auch was die politischen Konsequenzen von Baykals Rücktritt angeht, schossen die Spekulationen ins Kraut. Obwohl der Veteran den Führungsgremien der CHP gegenüber erklärte, er werde am Parteitag nicht teilnehmen, ließ er sich die Möglichkeit eines Rücktritts vom Rücktritt offen. Er sei bereit, jede Aufgabe zu übernehmen, die ihm übertragen werde, sagte er. In Ankara darf munter weiter an Konspirationstheorien gebastelt werden.

Zur Startseite