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Politik: Rürup fordert 200 Euro Kassenbeitrag für alle

Sozialexperte: Auch Beamte und Selbstständige könnten beteiligt werden/ Nur noch gegen Gebühr zum Arzt?

Berlin (HB/pet/dpa). Einen radikalen Kurswechsel in der Gesundheitspolitik hat der Vorsitzende der neuen Reformkommission der Bundesregierung, Bert Rürup, gefordert. Die Krankheitskosten sollten von den Löhnen abgekoppelt werden, um die „Beschäftigungsbremse“ steigende Lohnnebenkosten zu lösen, sagte Rürup dem „Handelsblatt“.

Statt der lohnbezogenen Beiträge soll nach Rürups Konzept künftig jedes erwachsene Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse eine einheitliche Kopfprämie zahlen. Um den Wettbewerb zu stärken, müsse die Prämie von jeder Kasse individuell festgelegt werden. Im Schnitt ergebe sich derzeit eine Monatsprämie von etwa 200 Euro, rechnete Rürup vor. Dabei sollen Kinder weiterhin beitragsfrei mitversichert sein. Nicht erwerbstätige Ehegatten sollen jedoch im Unterschied zur bisherigen Regelung eine eigene Prämie bezahlen.

Um Überforderungen zu vermeiden, sieht Rürup eine Belastungsgrenze in Höhe von 15 Prozent des Haushaltseinkommens vor. Liegt die Kopfprämie über dieser Grenze, soll es einen Zuschuss aus Steuermitteln geben. Die Prämie könne auch für Beamte und Selbstständige erhoben werden, sagte Rürup der Zeitung „Darmstädter Echo“.

Um den Wettbewerb zu befördern, will Rürup die Kassenärztlichen Vereinigungen abschaffen. Stattdessen sollten Krankenkassen die Preise mit Ärzten und Kliniken direkt aushandeln. Dies müsse mit dem „Hausarztprinzip“ kombiniert werden. „Das heißt: kein teurer Facharztbesuch ohne entsprechende Überweisung.“ Denkbar sei auch eine Gebühr von zehn Euro für jeden nicht präventiven Arztbesuch. „Das wäre ein Anreiz, Bagatellkrankheiten wieder verstärkt selbst zu behandeln.“ PatientenChipkarte, transparente Arztrechnungen und eine Positivliste für Medikamente sollten ebenfalls eingeführt werden. Auch beim Arzneivertrieb sieht Rürup „massiven Deregulierungsbedarf“. Das reiche von der Aufhebung der Preisbindung über die Zulassung des Internethandels bis zur Möglichkeit, Apothekenketten zu bilden.

Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi bezeichnete Rürups Forderungen als „Schnellschuss“. Der Vorschlag, Kopfpauschalen einzuführen, sei „eine völlig verfehlte Maßnahme“, sagte Verdi-Gesundheitsexperte Herbert Weißbrodt-Frey dem Tagesspiegel. Die Umsetzung würde viel zu lange dauern. Statt das System grundlegend zu verändern, müsse dessen Qualität verbessert werden. Weißbrodt-Frey warf Rürup vor, die Komplexität des Gesundheitssystems nicht zu durchschauen. „Man merkt, dass er nicht aus der Gesundheitspolitik kommt.“

In Sachen Rente hält Rürup mehr als eine Reform für erforderlich. „Wir werden noch eine Reihe von Rentenreformen vor uns haben“, sagte er im ZDF. Er bekräftigte seine Forderung, das Renteneintrittsalter schrittweise von 65 auf 67 Jahre anzuheben. Wenn es etwas gebe, um die Folgen der alternden Gesellschaft zu verteilen, „ist es die Verlängerung der Lebensarbeitszeit". Bundesarbeitsminister Wolfgang Clement (SPD) nannte die Debatte darüber „nicht sinnvoll“. Zunächst gehe es darum, Arbeitssuchende zu vermitteln. SPD-Generalsekretär Olaf Scholz lehnte in der „Berliner Zeitung“ grundlegende Änderungen am Rentensystem ab. Über die große Rentenreform von 2000 hinaus seien nur „Einzelmaßnahmen“ nötig, um den Beitrag unter 20 Prozent zu sichern.

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