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Die USA stehen nach Informationen des Forschungsinstituts Sipri mit einem Militärbudget von 544 Milliarden Euro weiter an der Spitze der Länder mit den höchsten Verteidigungsausgaben. Zum ersten Mal seit 1998 gaben sie allerdings weniger aus als im Vorjahr.

© dpa

Rüstungsbericht: Schulden bremsen Militärausgaben

Wegen der Finanzkrise sinken die Militärausgaben der westlichen Industriestaaten – aber Russland und China legen deutlich zu. Die USA drängen auf eine gerechtere Lastenverteilung in der Nato: Europa soll mehr Verantwortung übernehmen. Es knirscht in der Allianz.

Von Michael Schmidt

Die Krise macht es möglich, der Druck zur Haushaltsdisziplin wirkt: Erstmals seit 13 Jahren sind die weltweiten Militärausgaben kaum gestiegen. Sie lagen 2011 bei insgesamt 1320 Milliarden Euro – ein Plus von nur 0,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, wie das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri am Dienstag mitteilte. Zuvor hatte es Jahr für Jahr eine Steigerung der Militärausgaben um durchschnittlich 4,5 Prozent registriert. Je nach Weltregion jedoch fällt die aktuelle Bilanz sehr unterschiedlich aus. Die USA und Europa sparen, China und Russland dagegen erhöhen die Ausgaben.

China gab mit 109 Milliarden Euro 6,7 Prozent mehr aus und liegt damit auf Platz zwei der internationalen Sipri-Rangliste. Russlands Militärhaushalt legte im vergangenen Jahr um 9,3 Prozent auf 55 Milliarden Euro zu. Das ist Rang drei auf der Liste, die nach wie vor von den USA mit einem Militärbudget von 543,7 Milliarden Euro angeführt wird. Dennoch gilt: Zum ersten Mal seit 1998 senkten die Vereinigten Staaten ihre Verteidigungsausgaben – nachdem die sich unter dem Eindruck der Terroranschläge der Al Qaida am 11. September 2001 verdoppelt hatten. Ein wichtiger Grund sind nach Angaben der Friedensforscher die langwierigen Verhandlungen im Kongress über den Haushalt für 2011.

Auch die von der europäischen Schuldenkrise besonders betroffenen Länder Griechenland, Spanien, Italien und Irland senkten ihre Ausgaben für das Militär im vergangenen Jahr. Insgesamt sechs der Länder mit den höchsten Militärausgaben kürzten ihre Mittel: Deutschland, Frankreich, Brasilien, Indien, Großbritannien und die USA. Deutschland gehört, gemessen am Militärhaushalt, international immer noch zu den Top Ten. Es rutschte aber in der Länderliste vom achten auf den neunten Platz. Insgesamt seien die Ausgaben in Deutschland um 3,5 Prozent auf geschätzte 35,7 Milliarden Euro geschrumpft, teilte Sipri mit.

Der Sparzwang im Angesicht der Krise bleibt also nicht ohne Folgen. Geostrategische Gewichtsverlagerungen kommen hinzu. Zusammengenommen führen beide Entwicklungen zu erheblichen Reibungen im transatlantischen Verhältnis. Nach den Abermilliarden verschlingenden Kriegen im Irak und in Afghanistan richtet sich der Blick Washingtons auf die Hauptstädte Europas: Jenseits des großen Teichs erwartet man schlichtweg eine andere Lastenverteilung. In einem Papier der Stiftung Wissenschaft und Politik „Europa ohne Verteidigung“ heißt es zum Beispiel zum Libyen-Einsatz, der zum Sturz des Gaddafi-Regimes im vergangenen Jahr führte, „blind und taub“ wäre das europäische Militär gewesen, hätte es sich nicht auf amerikanische Technik stützen können: „Rund 90 Prozent der Militäraktionen in Libyen wären ohne Washingtons Hilfe nicht möglich gewesen.“

Ein Zustand, den die Obama-Administration nicht länger hinnehmen will. Zumal aus Sicht des Pentagon Europa an sich zunehmend an Bedeutung verliert. Amerikas Aufmerksamkeit gehört seit geraumer Zeit schon zuallererst Asien. In den Worten des Vorsitzenden der Vereinigten Stabschefs, General Martin Dempsey: „Alle Trends, die demografischen Trends, die geopolitischen Trends, die wirtschaftlichen Trends und die militärischen Trends, gehen in Richtung Pazifik.“

Für die Europäer heißt das vor allem: mehr Eigenverantwortung. Und schon knirscht es vernehmlich im Gebälk der Nato. Wer kommt für was auf? Wer bringt was an Fähigkeiten und Gerät mit ein? Wer zahlt was? Amerikas Anteil an den globalen Militärausgaben beläuft sich, wie die aktuelle Sipri-Studie zeigt, auf 41 Prozent – der US-Anteil an den Militärausgaben der Allianz sogar auf 75 Prozent. Die restlichen 25 Prozent teilen sich die anderen 27 Nato-Staaten. Vom vereinbarten Ziel der Mitgliedsländer, mindestens zwei Prozent des Bruttosozialprodukts für das Militär auszugeben, sind die meisten nach wie vor weit entfernt. Nur die USA, Großbritannien, Frankreich, Griechenland und Albanien erreichten es bisher.

Die USA sehen das mit wachsendem Unmut. Sie wollen und sie können nicht länger Weltpolizist spielen, weil sie ihrerseits hochverschuldet sind. Vor diesem Hintergrund geriet dem damaligen US-Verteidigungsminister Robert Gates im vergangenen Jahr seine Abschiedsrede zu einer Abrechnung mit den Nato-Partnern. Gates warnte sie vor „kollektiver militärischer Irrelevanz“, sollten sie ihre Anstrengungen nicht deutlich erhöhen. „Wenn aktuelle Trends zum Niedergang der europäischen Verteidigungsressourcen nicht gestoppt und rückgängig gemacht werden, könnten künftige US-Führer – für die der Kalte Krieg nicht wie für mich eine einschneidende Erfahrung war – die amerikanische Investition in die Nato nicht länger als lohnend ansehen“, fügte er hinzu.

Der Graben wird breiter. Die USA müssen weiter sparen: Sipri verweist auf die Truppenreduzierung in Afghanistan, den Abzug aus dem Irak und das 2011 in den USA verabschiedete Gesetz zur Haushaltskontrolle. Die amerikanische Kostendebatte wird also nicht aufhören. Damit auch nicht die Debatte zwischen Amerika und dem Rest der Nato. Und damit wiederum die Debatte innerhalb Europas. Experten sprechen bereits vom Zwang zu einer verstärkten „Interoperabilität“. Gemeint ist eine noch viel stärkere grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Armeen. Schon heute sind Auslandseinsätze fast durchgehend multilaterale Einsätze der Nato und der EU. Zusammenarbeit ist mithin auch heute schon nötig – aber erst die Finanzkrise und die damit einhergehenden Sparzwänge haben den politischen Druck so erhöht, dass jetzt mit substanziellen Schritten zu rechnen ist. Die Bereitschaft wächst, die Krise macht es möglich, über Pooling und Sharing nachzudenken – also die Zusammenlegung und das Teilen militärischer Fähigkeiten.

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