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Politik: Ruhe, bitte

Foto: Rückeis / Montage: DP HINTER DEN LINDEN Wer einmal in einem Sanierungsgebiet gewohnt hat, der wirft bekanntermaßen jede Symphatie für Bauarbeiter über Bord. Schon morgens um sieben laufen grölende Baubrigaden in der Nachbarschaft auf und werfen wie zum Zeichen ihres geschäftigen Treibens alle ihnen zur Verfügung stehenden Folterinstrumente gleichzeitig an.

Von Antje Sirleschtov

Foto: Rückeis / Montage: DP

HINTER DEN LINDEN

Wer einmal in einem Sanierungsgebiet gewohnt hat, der wirft bekanntermaßen jede Symphatie für Bauarbeiter über Bord. Schon morgens um sieben laufen grölende Baubrigaden in der Nachbarschaft auf und werfen wie zum Zeichen ihres geschäftigen Treibens alle ihnen zur Verfügung stehenden Folterinstrumente gleichzeitig an. Da werden Wackersteine rumpelnd gemischt, damit der Mauermörtel hinterher frei von klumpigen Überresten ist. Da wird noch in der morgendlichen Schlummerstunde mit böllernden Hämmern der Rest von bröckeligen Wänden abgetragen und natürlich krachend durch Fallrohre vier Etagen tief in den Container geschickt. Und das alles während man nebenan noch schlaftrunken den ersten Morgenkaffee aufgießt. Erst gegen halb neun – das scheint im bundesweiten Bau-Tarifvertrag so festgelegt – kehrt zur Frühstückspause wieder Ruhe ein. Gerade recht also, wenn wir ohnehin zur Arbeit gehen. Nur einer im Land setzt sich gegen solche Unbill offenbar erfolgreich zur wehr: Der erste Mann im Staate, der Bundespräsident. Denn seit Wochen schon wird im Schloss Bellevue gehämmert, gesägt, geschraubt und gestampft – der Amtssitz des Bundespräsidenten unterscheidet sich im Inneren durch nichts von einem herkömmlichen Sanierungsgebiet. Nur ein klitzekleiner Unterschied beweist, dass hier kein Geringerer als das deutsche Staatsoberhaupt residiert: Der Hausherr bestimmt, zu welcher Tageszeit hier welcher Hammer erdröhnt. Einmal in der Woche informiert das Präsidialamt die Baukolonnen darüber, welche Gäste Johannes Rau im Berliner Schloss in den kommenden Tagen empfangen wird. Je nach Wichtigkeit des Besuchers muss dann „Ruhe“ oder „strenge Ruhe“ eingehalten werden. Wie auf Befehl legen die Maurer, kaum dass die schwarzen Limousinen um die Ecke biegen, ihre Kellen ab, bleiben Presslufthämmer stehen und ist es bei Strafe des Auftragsverlustes verboten, quietschende Schrauben in irgendwelche Wände zu drehen. Erst wenn der Präsident zum Abschied an der Pforte winkt, beginnt das Getöse wieder von vorn. Ach, wäre doch nur jeder von uns ein Präsident, wenn auch nur ein kleiner. Antje Sirleschtov

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