zum Hauptinhalt

Ruprecht Polenz: "Da stehen noch Reformen aus"

CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz spricht mit dem Tagesspiegel über die Aussichten der Türkei und weiterer EU-Beitrittskandidaten.

Der Außenminister hält die Türkei derzeit für nicht beitrittsfähig und die EU ihrerseits für nicht aufnahmefähig. Der britische Premierminister beklagt hingegen eine Verschleppung der EU-Aufnahme der Türkei. Wer hat recht?

Außenminister Westerwelle hat sicherlich recht damit, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Türkei die Kopenhagener Beitrittskriterien (Demokratie, Rechtsstaat, Marktwirtschaft, Übereinstimmung mit den Zielen der Wirtschafts- und Währungsunion) noch nicht in vollem Umfang und vor allem auch nicht in der gelebten Alltagspraxis erfüllt und deshalb jetzt nicht beitreten kann. Da stehen noch Reformen aus. Auf der anderen Seite hat auch der britische Premierminister etwas recht, dass die Europäische Union bei den Verhandlungen den Eindruck erweckt, als spielten zumindest einige Länder auf Zeit.

Ist das verstärkte Engagement der Türkei im Mittleren Osten ein Zeichen der Abwendung von Europa? Hat die Regierung in Ankara die Hoffnung aufgegeben, das Land jemals in die EU bringen zu können?

Nein. Nach wie vor ist die Orientierung auf Europa und auf den EU-Beitritt vorrangige Priorität türkischer Außenpolitik. Allerdings ist bei der jetzigen Regierung das Bemühen hinzugekommen um einen Ausgleich mit den Nachbarn und eine stärkere Rolle in der Region. Das liegt aber auch im europäischen Interesse.

Auch andere Länder sind als mögliche Mitglieder im Gespräch. Die Chancen Kroatiens stehen nicht schlecht. Eine gute Option?

Ja, denn wir haben im Stabilitätspakt für den Balkan allen Ländern des früheren Jugoslawien eine EU-Perspektive eröffnet und damit Reformprozesse in Gang gesetzt sowohl in den Ländern selbst als auch in der Region, von denen wiederum Europa insgesamt profitiert, weil dadurch Chancen entstehen, den ewig unruhigen Balkan dauerhaft zu befrieden.

Bleiben wir auf dem Balkan. Der Bundesaußenminister hat Serbien und das Kosovo nach dem Spruch des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag auf ihre europäische Perspektive hingewiesen und zur Zusammenarbeit aufgefordert. Müssen die beiden nicht erst einmal definitiv ihre Konflikte abräumen, bevor man über Europa reden kann?

Die Hoffnung geht dahin, dass durch einen solchen Prozess ein Ausgleich und die Verständigung zwischen Belgrad und Pristina erleichtert wird. Wir müssen allerdings aufpassen, dass die Hoffnung diesmal auch erfüllt wird und nicht geschieht, was im Falle Zypern geschah, wo man ja auch hoffte, durch den Beitritt eine Lösung des Konfliktes zu erreichen und dieser dann ungelöst blieb. Anders ausgedrückt: Ohne eine Anerkennung des Kosovo als selbstständigen Staat wird Serbien der EU nicht beitreten können.

Damit spielen Sie darauf an, dass im Fall Zypern die Volksabstimmung über eine Föderation zwischen beiden Teilen der Insel erst stattfand nach der Aufnahme der Republik Zypern in die EU und die Abstimmung dann im griechischen Teil prompt negativ verlief …

Ja, so ist es …

Island wird offenkundig als ein relativ unproblematischer Beitrittskandidat gesehen. Am Walfang wird es kaum scheitern. Aber dürfen wir ein Land mit einer so exorbitanten Staatsverschuldung ernsthaft in die EU holen?

Es geht ja nicht darum, dass das Land sofort Mitglied des Euro-Raumes würde. Dafür sind die Kriterien auf absehbare Zeit nicht erfüllt. Aber es ist ein sehr kleines Land, das deshalb für die EU auch keine unlösbaren Probleme mitbringt. Ich würde allerdings das Walfangthema von seiner emotionalen Seite her in der Bedeutung nicht unterschätzen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Island seine bisherige Walfangpraxis beibehalten und Mitglied der Europäischen Union werden kann. Es wird sich hier ändern müssen.

Das Gespräch führte Gerd Appenzeller

Zur Person

Ruprecht Polenz (64) sitzt seit 1994 für die CDU im Bundestag und ist seit 2005 Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false