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Politik: Russische Präsidentenwahl: Verbrannte Stimmzettel und "tote Seelen"

Anders als Boris Jelzin gibt der farblose Wladimir Putin nur wenig für Witze her. Die wenigen, die mittlerweile dennoch kursieren, haben es dafür in sich.

Anders als Boris Jelzin gibt der farblose Wladimir Putin nur wenig für Witze her. Die wenigen, die mittlerweile dennoch kursieren, haben es dafür in sich. Zum Beispiel dieser: Am Morgen nach der Präsidentschaftswahl Ende März, bei der Putin offiziell rund 53 Prozent aller Stimmen einfuhr, erscheint der Chef des Präsidentenamtes, Alexander Woloschin, bei seinem Dienstherrn mit einer guten und einer schlechten Nachricht: KP-Chef Gennadij Sjuganow habe 70 Prozent bekommen. Wie das, empört sich Putin, wir hatten doch vorgesorgt. Beruhigen Sie sich, tröstet Woloschin, Sie haben 71 Prozent eingefahren.

Sjuganow monierte gleich nach bekannt werden des vorläufigen Wahlergebnisses massive Fälschungen in mindestens zehn von insgesamt 89 Regionen. Unter anderem in den Wolga-Gebieten Saratow und Samara. Als absoluten Spitzenreiter bei den Manipulationen machte die KP jedoch Russlands Armenhaus aus - die Teilrepublik Dagestan im Nordostkaukasus.

Schon Jelzin korrigierte jedoch bei seiner Wiederwahl im Sommer 1996 den dagestanischen Wählerwillen in Größenordnungen.

Damals bewirkten islamische Geistliche, die in den Moscheen für Jelzin agitierten, das Wunder. Putin dagegen setzt offenbar auf handfestere Methoden. Jewgenija Borissowa, die für die englischsprachige "The Moscow Times" schreibt, hat in akribischen Recherchen vor Ort Belastungsmaterial zusammengetragen.

So bekamen Wähler 50 Rubel (umgerechnet vier Mark), wenn sie den im Wahllokal erhaltenen Stimmzettel draußen bei Putin-Fans leer ablieferten. Für die wurden später Wahlscheine, auf denen neben Putins Namen bereits ein Kreuz gemacht war, in die Urnen gekippt. In den Wählerlisten sollen zudem "tote Seelen" gewesen sein - längst Gestorbene oder Verzogene. In einem Stimmbezirk kamen daher 110 Prozent zusammen. Ein Polizeioffizier, so das Blatt weiter, kontrollierte drei Wochen nach der Wahl Säcke, die aus dem Sitz der Regierung in Dagestans Hauptstadt Machatschkala geschleppt wurden. Inhalt: Stimmen für Sjuganow. Die wurden verbrannt.

Hier zu Lande regt das niemanden sonderlich auf: Reformer Grigorij Jawlinskij, der Putin ebenfalls Stimmenklau vorwarf, brachte es auf den Punkt, als das Staatsfernsehen ihn zu möglichen Wahlfälschungen in Jugoslawien befragte: Russische Wahlen hätten mehrfach gezeigt, dass, wenn offizielle Stellen sich gezwungen sehen, oppositionellen Kandidaten 48 Prozent zu bescheinigen, für diesen in Wahrheit die absolute Mehrheit gestimmt habe.

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