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Politik: Russische Truppen außerhalb von Grosny eingekesselt - Putin in Erklärungsnöten

Tschetschenische Kämpfer haben am Sonntag einen Überraschungsangriff auf russische Stellungen nahe der Hauptstadt Grosny gestartet. In mehreren Außenbezirken Grosnys kam es außerdem trotz der von den Russen verkündeten Feuerpause zu Gefechten mit den tschetschenischen Verteidigern.

Tschetschenische Kämpfer haben am Sonntag einen Überraschungsangriff auf russische Stellungen nahe der Hauptstadt Grosny gestartet. In mehreren Außenbezirken Grosnys kam es außerdem trotz der von den Russen verkündeten Feuerpause zu Gefechten mit den tschetschenischen Verteidigern. Russische Kampfhubschrauber unterstützten aus der Luft die Bodentruppen im nordwestlichen Stadtteil von Grosny, Staropromyslowski, und an der zweiten Frontlinie nahe der heftig umkämpften Konservenfabrik im Norden der tschetschenischen Hauptstadt. Das meldete die Nachrichtenagentur Interfax unter Berufung auf das Hauptquartier der russischen Truppen in Mosdok.

Bei dem Angriff auf einen russischen Kontrollposten bei Schali, 20 Kilometer südöstlich von Grosny, seien am Sonntagmorgen zwei russische Milizionäre getötet und ein weiterer verletzt worden, teilte der Militärstab des Ostabschnitts mit. Der tschetschenische Militärsprecher Mowladi Udugow sagte in einem Interview mit dem Radiosender "Echo Moskwy", eine russische Panzerkolonne habe sich in Richtung Schali in Bewegung gesetzt. Auch um die nahe gelegene Stadt Argun gebe es neue Kämpfe. Trotz der schlechten Wetterverhältnisse setzten russische Kampfflugzeuge nach Militärangaben die Luftangriffe auch auf Rebellenstellungen in den Bergen Tschetscheniens und nahe der Grenze zu Georgien fort. In den Bergen seien die Truppen im Gebiet der eingekesselten Ortschaft Wedeno verstärkt worden, teilte das Militär mit.

Schlüssige Erklärungen für den einstweiligen Stopp der Operation zur "Befreiung" der tschetschenischen Hauptstadt Grosny und für die Ablösung der Generäle Schamanow und Troschew blieb Moskau unterdessen weiter schuldig. Begründungen, wie sie der amtierende Präsident Wladimir Putin in der Nacht zum Samstag der wartenden Presse zuwarf, klangen alles andere als überzeugend: Die Umbesetzungen seien eine "rein technische Frage", er, Putin, könne sich nicht einmal erklären, warum die Fragen dazu überhaupt gestellt würden. Die Feuerpause in Grosny gar erklärte Putin mit rein humanitären Erwägungen: Am Freitag begannen in Russland die zwölf heiligen Tage nach Christi Geburt, die, weil die Orthodoxe Kirche nach wie vor am alten, julianischen Kalender festhält, am 7. Januar gefeiert wird. Am Abend des gleichen Tages begann zudem das Bayram-Fest, mit dem der islamische Fastenmonat Ramadan zu Ende geht. "Wir", sagte der Neuchrist Putin (der das Schlagen des Kreuzes sichtlich noch üben muss) nach der Mitternachtsmesse in der Moskauer Erlöserkirche, "verneigen uns vor den Gefühlen der Gläubigen."

Die wahren Hintergründe sind weitaus prosaischer. Wegen schlechter Witterungsbedingungen haben Luftwaffe und schwere Artillerie seit Tagen Probleme bei der Zielerkennung in Grosny. Zu Recht fürchtet Moskau daher weitere Kritik des Westens wegen der Unverhältnismäßigkeit seiner Methoden bei der Terrorismusbekämpfung. Immerhin sollen sich in der Stadt nach Angaben unabhängiger Medien noch immer bis zu 20 000 Zivilisten aufhalten.

Doch selbst wenn die Europäische Union, wie angedroht, mit ersten Sanktionen gegen Russland Mitte Januar Ernst machen sollte, ist die vorläufige Schonung der Zivilbevölkerung handfesten militärischen wie politischen Erwägungen geschuldet. Zumal Feuerpause und Umbesetzung der Kommandoposten in Zusammenhang stehen.

Zwar nannte Putin die Ablösung beider Generäle, die Boris Jelzin erst Ende Dezember mit dem Stern des "Helden der Russischen Föderation" auszeichnete, eine Beförderung. Direkten Einfluss auf die Kampfhandlungen aber werden sie nicht mehr haben. Im Falle von Hardliner Schamanow mögen, wie der russische Dienst des US-Auslandssenders "Radio Liberty", vermutet, wegen der erdrückenden Beweislage die Anklagen wegen des Massakers in Alchan-Jurt Anfang Dezember eine Rolle gespielt haben. Ausschlaggebend dürfte jedoch gewesen sein, dass Moskau mit seiner Kriegskunst am Ende ist.

Von leichten Anfangssiegen berauscht und seit Mitte Dezember mit den Hauptkräften in Grosny engagiert, wo es zu ersten realen Gefechten mit den Tschetschenen kam, haben die Russen nicht bemerkt, dass der Gegner ihnen im Hinterland den gefürchteten Guerillakrieg aufgezwungen hat. Längst "befreite" Orte, wie der strategisch wichtige Bahnknotenpunkt Tscherwljonnaja oder Schaly, das Einfallstor in den bergigen Süden, sind offenbar wieder in der Hand der Tschetschenen. Nicht die "tschetschenischen Terroristen" sind eingekesselt, sondern eher die Russen, die vor sich im Süden die Hauptstellungen der Tschetschenen haben und im Rücken ein unruhiges Hinterland. Es sind Fehler, für die Moskau schon in Afghanistan und im ersten Tschetschenien-Krieg büßem nusste. Nichts aber könnte Putin im Vorfeld der Wahlen gefährlicher werden als Meldungen über hohe Verluste in den eigenen Reihen. Sollten die sich nicht mehr verheimlichen lassen, was bisher, wenn auch mit Verrenkungen gelang, hält er sich mit der Abschiebung der Hardliner außerdem die Hintertür für Verhandlungen frei, was einen Befreiungsschlag an der außenpolitischen Front bedeutet.

Mindestens genau so schwer dürfte zu Buche schlagen, dass Putin sich mit den Umbesetzungen von jenem Teil der Generalität emanzipieren möchte, die erhebliche Aktien an dem spektakulären Machtwechsel im Kreml hatte. Grund zum Aufatmen für Demokraten gibt es dennoch nicht. Die "Kaderpolitik" des Ex-KGB-Manns Putin lässt deutlich erkennen, dass Schlüsselfunktionen künftig bevorzugt mit ehemaligen Kollegen besetzt werden.

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