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Wladimir Putin.

© REUTERS

Update

Russischer Kampfjet abgeschossen: Wladimir Putin droht Türkei mit "ernsthaften Konsequenzen"

Nach dem Abschuss eines russischen Kampfjets an der Grenze zu Syrien attackiert Wladimir Putin die Türkei. Eine US-Quelle sagt, der Jet habe nur für Sekunden den Luftraum verletzt.

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Der abgeschossene russische Kampfjet hat nach Informationen aus US-Kreisen nur für kurze Zeit den türkischen Luftraum verletzt. Das berichtet die Nachrichtenagentur Reuters. Dies habe wenige Sekunden gedauert, bevor das türkische Militär den Su-24-Kampfjet abgeschossen habe, sagte am Dienstag ein Insider, der nicht genannt werden wollte. Die USA untersuchten noch immer den Zwischenfall, sagte der Insider.

Nach Angaben aus türkischen Regierungskreisen sind die beiden an der syrischen Grenze abgeschossenen russischen Piloten vermutlich noch am Leben. Offenbar seien sie in der Gewalt syrischer Aufständischer, erfuhr die Nachrichtenagentur Reuters von einem Insider.

US-Präsident Barack Obama hat Russland und den Nato-Partner Türkei zur Zurückhaltung aufgerufen. Beide Länder müssten eine Eskalation vermeiden, sagte Obama am Dienstag in Washington in einer Pressekonferenz mit dem französischen Präsidenten Francois Hollande. „Die Türkei hat wie jedes Land das Recht, ihr Territorium und ihren Luftraum zu verteidigen“, sagte Obama. „Für uns ist es sehr wichtig klarzumachen, dass Russen und Türken jetzt miteinander sprechen und herausfinden, was genau geschehen ist, und dass sie jede Art der Eskalation vermeiden.“ Ein US-Regierungsbeamter stellte zuvor klar, dass die USA nichts mit dem Angriff auf den russischen Kampfbomber zu tun hätten.

Die USA schließen eine verstärkte militärische Zusammenarbeit mit Russland im Kampf gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) nicht aus. Bei einem „Strategiewechsel“ Moskaus gebe es „große Möglichkeiten“ zur Kooperation, sagte US-Präsident Barack Obama nach einem Treffen mit Frankreichs Präsident François Hollande am Dienstag im Weißen Haus. „Russland ist willkommen, Teil unserer breiten Koalition zu sein.“

Vorher müsse Moskau sich bei Luftangriffen in Syrien aber auf den IS als Ziel statt auf die gemäßigten Rebellen konzentrieren und einen politischen Wandel in Damaskus unterstützen. Russland müsse aktiv einen Waffenstillstand und den Wechsel zu einer demokratisch gewählten Regierung unterstützen. Die USA stünden nach den Pariser Terrorattacken in „totaler Solidarität“ zu dem Verbündeten Frankreich.

Die Nato-Staaten haben dem Bündnispartner Türkei nach dem Abschuss eines russischen Kampfjets im türkisch-syrischen Grenzgebiet ihre Solidarität zugesichert. Gleichzeitig warnten sie allerdings vor einer weiteren Zuspitzung der Lage. „Ich rufe zu Ruhe und zu Deeskalation auf“, sagte Generalsekretär Jens Stoltenberg am Dienstagabend nach einer von der Türkei beantragten Sondersitzung des Nato-Rates in Brüssel.

Russische Außenminister sagt geplanten Türkei-Besuch ab

Der russische Außenminister Sergej Lawrow hat seinen für Mittwoch geplanten Besuch in der Türkei wegen des Abschusses des russischen Kampfjets abgesagt. Lawrow riet am Dienstag seinen Landsleuten zudem, die Türkei derzeit nicht zu besuchen. Die Terrorbedrohung in der Türkei sei nicht geringer als in Ägypten, argumentierte der Außenminister in Sotschi. Dort war Ende Oktober über der Halbinsel Sinai eine russische Passagiermaschine abgestürzt, alle 224 Menschen an Bord starben. Die radikal-islamische IS-Miliz hatte erklärt, sie habe an Bord der Maschine eine Bombe zur Explosion gebracht.

Russlands Präsident Präsident Wladimir Putin droht der Türkei wegen des Abschusses eines russischen Kampfjets im Grenzgebiet zu Syrien ernsthafte Konsequenzen an. Die russischen Piloten schonten sich im Kampf gegen den Terror nicht, sagte Putin am Dienstag live im russischen Fernsehen. "Doch der heutige Verlust ist ein Stoß in den Rücken, begangen von Helfershelfern von Terroristen", sagte Putin bei einem Treffen mit dem jordanischen König Abdullah II. in Sotschi.

Das russische Flugzeug Su-24 habe bei seinem Kampfeinsatz gegen Terroristen in Syrien keine Gefahr für die Türkei dargestellt. Es sei von einem türkischen Kampfjet einen Kilometer innerhalb syrischen Luftraums getroffen worden. Die Absturzstelle liege vier Kilometer innerhalb Syriens.

Wladimir Putin warnt vor ernsthaften Konsequenzen

"Das tragische Ereignis wird ernsthafte Auswirkungen auf die russisch-türkischen Beziehungen haben", sagte Putin. "Wir werden niemals dulden, dass solche Verbrechen wie das heutige begangen werden." Nach dem Abschuss habe sich die Türkei nicht etwa an Russland gewandt, sondern eine Sondersitzung der Nato einberufen.

Am Dienstagmorgen hatten türkische Kampfflugzeuge an der syrischen Grenze einen russischen Militärjet vom Typ Su-24 abgeschossen. Türkische Fernsehsender zeigten Aufnahmen von der brennenden Maschine, die an der Grenze der türkischen Provinz Hatay zu Syrien abstürzte. Vertreter der Nato-Staaten kommen noch im Laufe des Tages zu einer Sondersitzung zusammen. Das Treffen werde um 17 Uhr beginnen, teilte die Nato mit.

Piloten konnten sich mit Fallschirmen retten

Die amtliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete, der Kampfjet sei vor dem Abschuss in den türkischen Luftraum eingedrungen. Zudem sei die Besatzung des russischen Flugzeugs mehrfach gewarnt worden. Die Maschine sei vor dem Abschuss durch Abfangjäger zehnmal binnen fünf Minuten gewarnt worden, dass sie den türkischen Luftraum verletze, hieß es aus dem türkischen Präsidialamt. Die Agentur veröffentlichte eine Radaraufnahme der türkischen Armee, die nach türkischer Darstellung die Grenzverletzung klar bewies.

Bilder eines TV-Senders zeigen den im syrisch-türkischen Grenzgebiet abgeschossenen russischen Kampfjet
Bilder eines TV-Senders zeigen den im syrisch-türkischen Grenzgebiet abgeschossenen russischen Kampfjet

© dpa/EPA/Haberturk TV Channel

Das russische Verteidigungsministerium erklärte dagegen der Nachrichtenagentur Interfax zufolge, einer ihrer Jets sei offenbar vom Boden aus über Syrien abgeschossen worden. Man könne beweisen, dass die Su-24 den syrischen Luftraum nicht verlassen habe.

Auf Videoaufnahmen in türkischen Medien war zu sehen, wie sich zwei Piloten mit dem Fallschirm retteten. Über ihr Schicksal gab es zunächst widersprüchliche Angaben. Dem Sender CNN Türk zufolge befand sich einer in der Gewalt turkmenischer Kämpfer, die mit der Türkei verbündet sind, in Syrien, nach dem anderen werde noch gesucht.

Schicksal der Russen zunächst unklar

Nach Angaben von Rebellen ist dagegen einer der Piloten tot. Eine Gruppe mit dem Namen "Zehnte Brigade" verbreitete am Dienstag über das Internet ein Video, das den Leichnam zeigen soll. Zu sehen ist eine leblose Person in Uniform. Dazu heißt es, sie sei "durch die Hände von Rebellen" umgekommen. Auch aus Kreisen nahe der moderaten Freien Syrischen Armee (FSA) hieß es, einer der Piloten sei ums Leben gekommen. Türkische TV-Sender berichteten, beide Männer seien tot.

Erst in den vergangenen Tagen hatte die Türkei die russische Regierung wegen fortgesetzter Angriffe auf Siedlungsgebiete der Turkmenen unmittelbar an der türkischen Grenze gewarnt. Am Mittwoch wollen die Außenminister beider Länder über Syrien sprechen.

Eigentlich hatten beide Seiten nach mehrfachen Luftraumverletzungen durch russische Jets seit September vereinbart, einen Zusammenstoß an der Grenze zu vermeiden – doch im Nordwesten Syriens eskalieren die Kämpfe, weil sich die Konfliktparteien vor einem möglichen Waffenstillstand in den kommenden Wochen noch Geländegewinne sichern wollen. In Syrien kämpfen zahlreiche Länder mit Luftangriffen gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS), darunter auch die USA und Frankreich. Auch Russland fliegt Angriffe gegen Gegner von Syriens Machthaber Assad.

Mit der Türkei und Russland gerieten nun ausgerechnet jene beiden Staaten militärisch aneinander, die im Syrienkonflikt und dem Kampf gegen den "Islamischen Staat" (IS) politisch die am weitesten auseinanderliegenden Positionen vertreten, sagte Markus Kaim von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik dem Tagesspiegel. Die Türkei, die sagt: Assad muss weg; und Russland, das sagt: Assad muss mindestens Teil einer Übergangslösung sein.

Politikwissenschaftler Kaim: Kampf gegen Terror nun noch schwieriger

Die Konfrontation mache die Bemühungen des französischen Präsidenten Francois Hollande, der nach den Anschlägen von Paris mit Nachdruck an einer neuen internationalen Allianz gegen den IS arbeite, "noch schwieriger", sagte Kaim. Und sie unterstreiche das Problem der Koordination gleichzeitiger, unkoordiniert nebeneinander her laufender Operationen verschiedener Akteure in ein und demselben Luftraum: die internationale Allianz unter Führung der USA, mit Beteiligung der Franzosen und künftig gegebenenfalls auch Großbritanniens - und zuletzt Russland. Und sie unterstreiche damit auch die Notwendigkeit besserer Absprachen, engerer Kooperation, für alle bindender Regelungen über Mindestabstände und anderes.

Die große Frage sei die nach dem "Warum?" für die aktuelle Eskalation. Stimme die türkische Variante, dann sei es "mindestens fahrlässig" von russischer Seite, trotz mehrfacher Versuche der De-Eskalation nach Vorfällen ähnlicher Art in der jüngeren Vergangenheit, die Ernsthaftigkeit türkischer Absichten derart auf die Probe zu stellen. Stimme die russische Variante, wonach das Flugzeug über syrischem Boden abgeschossen wurde, stehe die Frage im Raum, weshalb die Türkei die Eskalation weiter vorantreibe.

Wie reagiert Moskau?

Nun lautet die Frage, wie die Nato und Russland mit dem Fall umgehen. Die Türkei kann als Mitglied der Allianz den Beistand ihrer Partner einfordern. Zwar hatte Moskau in den vergangenen Wochen mehrfach signalisiert, dass Russland nicht an einer direkten Konfrontation mit dem Westen in Syrien interessiert sei. Doch ist der Verlust der Maschine durch den türkischen Beschuss eine psychologische Niederlage für die Regierung von Putin, die ihr Militärengagement in Syrien seit September auch als Machtdemonstration gegenüber der Nato versteht. Wenn Russland sich dazu entschließen sollte, Vergeltung für den Abschuss zu üben, "dann wird’s übel", kommentierte der türkische Politikwisenschaftler Sedat Laciner auf Twitter.

Die Türkei ist von russischem Erdgas abhängig

Insbesondere die Abhängigkeit der Türkei von russischen Erdgaslieferungen hatte bisher schärfere Reaktionen Ankaras auf die Intervention Moskaus in Syrien verhindert. Die ressourcenarme Türkei erhält 57 Prozent ihres Erdgases aus Russland; der Iran - ein weiterer Verbündeter des syrischen Präsidenten und türkischen Erzfeindes Baschar al Assad - ist mit 20 Prozent der zweitwichtigste Lieferant. Einige türkische Kommentatoren warnten am Dienstag, Moskau werde nun möglicherweiter den Gashahn zudrehen.

Angesichts fortgesetzter russischer Luftangriffe in Grenznähe wollte es die türkische Armee aber offenbar nicht länger bei Warnungen an Russland belassen. Der regierungsnahe türkische Journalist Ibrahim Karagül schrieb auf Twitter, die Türkei werde in Syrien keine "Besatzung" durch Russland und den Iran hinnehmen.

Einige Experten gingen am Dienstag davon aus, dass die Türkei und Russland auch weiterhin versuchen werden, ihre Beziehungen nicht in eine Krise schlittern zu lassen. Weder Ankara noch Moskau sei an einer Eskalation interessiert, kommentierte der US-Nachostexperte Howard Eissenstat.

Russlands Außenminister sagt offenbar Besuch in Ankara ab

Doch es gab auch Entwicklungen, die auf weiter wachsende Spannungen hindeuten könnten. So sagte der russische Außenminister Sergej Lawrow nach Medienberichten einen seit längerem für diesen Mittwoch geplanten Besuch in der Türkei ab. Unterdessen bestellte das türkische Außenamt den russischen Geschäftsträger in Ankara ein. Der türkische Botschafter in den USA, Serdar Kilic, warnte Russland auf Twitter, die "Worte und Warnungen" der Türkei müssten ernst genommen werden. Ohne Moskau direkt zu nennen, fügte der Diplomat hinzu: "Stellt unsere Geduld nicht auf die Probe."

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Sondertreffen der Nato

Ein Nato-Sprecher erklärte auf Anfrage, bei dem Treffen handele es sich nicht um Konsultationen nach Artikel 4 des Nordatlantikvertrages. Nach diesem konsultieren sich die Bündnismitglieder, "wenn nach Auffassung eines von ihnen die Unversehrtheit des Gebiets, die politische Unabhängigkeit oder die Sicherheit einer der Parteien bedroht ist". Anders als beim Bündnisfall nach Artikel fünf sind unmittelbare Folge nur Beratungen, eine konkrete Reaktion der Nato ist aber möglich.

Seit Gründung der Allianz 1949 wurde Artikel 4 fünf Mal in Anspruch genommen - davon vier Mal durch die Türkei. Zuletzt berief sich Ankara im Juli auf die Bestimmung, als es um die Bedrohung durch Anschläge und Angriffe vor dem Hintergrund des Konflikts in Syrien und im Irak ging. (mit AFP,dpa,Reuters)

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