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Russland: Alle Macht dem Zentrum

Weniger Einfluss für die Provinzfürsten, mehr Macht für Moskau: Nach dieser Formel will Russlands neuer Präsident Dmitri Medwedew die Gewichte im russischen Riesenreich neu verteilen – zu seinen Gunsten.

Wo nichts sei, könne man nichts kommentieren, hieß es am Dienstag bei der Regierung von Tatarstan, einer Teilrepublik an der mittleren Wolga. Gemeint war ein Gesetzentwurf, mit dem in den 21 nationalen Gebietseinheiten Russlands das Amt des Regionalpräsidenten abgeschafft werden soll. Tatarstan ist dabei als Testballon vorgesehen, wie die Moskauer Tageszeitung „Gaseta“ berichtet. Die nötigen Verfassungsänderungen soll das Parlament der Republik bereits Anfang Juli beschließen. Das Dementi aus der Hauptstadt Kasan ist dabei nach Meinung von Experten unerheblich: Umstrittene Vorhaben würden in der Regel erst mal dementiert, um die Öffentlichkeit schonend auf Veränderungen vorzubereiten, meint Dmitri Oreschkin vom Forschungszentrum Mercator in Moskau.

Das Vorhaben läuft in der Tat auf eine partielle Neukonfiguration der Macht hinaus und soll, wie Oreschkin und andere glauben, Russlands Präsident Dmitri Medwedew in den Regionen jene Hausmacht verschaffen, die er gegenwärtig nicht hat. Bisher dem Präsidenten direkt unterstellt, der sie seit Anfang 2005 mit Zustimmung der Regionalparlamente auch ernennen und entlassen kann, müssen Russlands Provinzfürsten seit dem Machtwechsel im Kreml Anfang Mai vor dem Regierungschef Rechenschaft ablegen: Vor Wladimir Putin, der diese Neuregelung mit einem seiner letzten Erlasse als Präsident durchsetzte. Jetzt holt Medwedew offenbar zum Gegenschlag aus: Die Verwaltungschefs der nationalen Republiken sollen künftig kaum mehr Kompetenzen haben als die Gouverneure der territorialen Gebietseinheiten und dazu auf den Titel „Präsident“ künftig verzichten.

Präsident, so die Publizistin Julia Latynina, könne in Russland stets nur einer sein. Auch wolle Medwedew die Rolle des Zentrums in den Regionen stärken. Vor allem dort, wo ethnische und religiöse Minderheiten dominieren. Ihnen hatte Boris Jelzin gleich nach seiner Wahl zum Präsidenten Russlands 1990 angeboten, sich von Moskau „so viel Souveränität zu nehmen, wie Sie verkraften können“. Tschetschenien verabschiedete sich daraufhin in die Unabhängigkeit, Tatarstan trat der Russischen Föderation erst Anfang 1994 bei und ließ sich den Anschluss mit maximaler Autonomie vergolden. Darunter auch der Verfügungsgewalt über Öl- und Gasvorkommen.

Weil das Beispiel Schule machte, konnte nicht einmal Putin sein zentralistisches Staatsmodell in vollem Umfang restaurieren. Auch, weil lokale Beamte sich bei Loyalitätskonflikten nicht für Moskau, sondern für ihren Fürsten entschieden. Medwedew, dem bisher die Autorität seines Vorgängers fehlt, muss mit noch größerem Widerstand rechnen. Vor allem in Tschetschenien, wo Moskaus Einfluss mit dem selbstherrlichen Ramzan Kadyrow steht und fällt. Auf äußere Insignien der Macht bedacht wie alle orientalischen Despoten, dürfte dieser sich den Verzicht auf die Präsidentenwürde nur mit neuen Zugewinnen an realer Macht abkaufen lassen.

Für ähnlich problematisch halten Experten auch die Neuregelung von Status und Kompetenzen des Nationalen Sicherheitsrates. Von Putin zum bloßen Beratergremium ohne reale Befugnisse degradiert, sollen seine Beschlüsse künftig Gesetzeskraft haben und für alle Ebenen der Exekutive, einschließlich der Regierung und deren Chef bindend sein. Das Gremium soll zudem über die Besetzung von Spitzenämtern entscheiden. Eine Gruppe von Senatoren, die einschlägige Änderungen der Duma im Herbst zur Beschlussfassung vorlegen will, hat nach eigenen Worten bereits das Mandat einflussreicher Figuren aus Medwedews Umgebung, darunter auch von Alexander Bortnikow, dem neuen Geheimdienstchef.

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