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Politik: Russland: Angst um den eigenen Einfluss

Rusland will mit der Nato gemeinsam gegen den Terrorismus vorgehen. In einer beim Nato-Russland-Rat zwei Tage nach den Anschlägen in den USA angenommenen Erkärung heißt es: "Die Verantwortlichen dieses unmenschlichen Aktes dürfen nicht straffrei davonkommen.

Rusland will mit der Nato gemeinsam gegen den Terrorismus vorgehen. In einer beim Nato-Russland-Rat zwei Tage nach den Anschlägen in den USA angenommenen Erkärung heißt es: "Die Verantwortlichen dieses unmenschlichen Aktes dürfen nicht straffrei davonkommen." Die Allianz und die russische Regierung fordern die internationale Gemeinschaft zugleich auf, sich im Kampf gegen den Terrorismus zu vereinigen. Trotzdem fürchtet Moskau den Vergeltungsschag der USA. Nachdem internationale Hilfsorganisationen ihre Mitarbeiter aus Afghanistan abgezogen haben, gehen Moskauer Experten mit "an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" davon aus, dass die Amerikaner, nun zusammen mit ihren Nato-Verbündeten, den ersten Schlag gegen das Land am Hindukusch führen werden.

Russlands Medien sind sich einig, dass die Supermacht USA eine derartige Demütigung wie die Terrorangriffe vom Dienstag nicht hinnehmen kann - auch wenn diese "zum Teil hausgemacht" seien. So erklärte bei allem Mitgefühl Russlands Oberster Mufti, Talgat Tadschuddin, die USA hätten "sich zu oft und zu viel in innere Angelegenheiten anderer Staaten" eingemischt, ohne die Folgen genau abschätzen zu können. Sowohl bin Ladin als auch die Taliban waren zunächst Schützlinge Washingtons. Dem saudischen Milliardärssohn bin Laden übertrugen US-Strategen Anfang der Achtziger die Koordinierung der Unterstützung für die afghanischen Mujahedin im Kampf gegen die sowjetischen Invasoren. Der radikale Flügel der Mujahedin ist heute Kern der Taliban-Streitmacht. Auch an deren Entstehung haben neben Pakistan die USA einen großen Anteil: US-Konzerne planten 1995 den Bau einer Pipeline für den Transport turkmenischen Gases nach Südasien. Als Transitland kam nur Afghanistan in Frage. Den dortigen Bürgerkrieg, so das damalige US-Kalkül, würden die Taliban beenden.

Angesichts militärischer Erfolge der afghanischen Nordallianz, hinter der die von den Taliban gestürzte Rabbani-Regierung steht, kam das Pipeline-Projekt im Sommer erneut ins Gespräch. Zeitgleich drängten die USA Russland, aber auch Iran und Indien, zu verstärkter militärischer Hilfe für die Taliban-Gegner. Fraglich, ob das nach dem Anschlag auf Ahmed Schah Massud noch Sinn macht. Der Tod oder eine lange Kampfunfähigkeit ihres Führers stellen die Zukunft der Nordallianz selbst in Frage. Daran ändert wenig, dass die Allianz inzwischen den Ex-Sicherheitsminister der Rabbani-Regierung, Mohamed Fahim (44), zu Massuds Nachfolger als Militärchef ernannt hat.

Mit einer militärischer Präsenz in Afghanistan aber begeben sich die USA unweigerlich auf den Kriegspfad mit Russland. Der zwischen beiden noch bestehende Terrorismus-Konsens wird hinfällig angesichts der Gefahr für Moskau, vermeintlich angestammte Einflussgebiete definitiv zu verlieren. Mit der Berufung auf humanitäre Folgen erklärten russische Politiker daher bereits fraktionsübergreifend, Russland werde Vergeltungsschläge gegen "ganze Staaten" nicht hinnehmen. Details sollen auf einem Treffen von Außenministern Russlands, Irans, Indiens und eventuell Chinas spätestens nächste Woche in Tadschikistans Hauptstadt Duschanbe beraten werden. Der Interessenkonflikt um Afghanistan könnte die befürchtete Achse Moskau-Teheran-Delhi-Peking Wirklichkeit werden lassen.

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