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Russland: Chodorkowski-Prozess -210 Ordner mit Akten

280 Verhandlungstage, 210 Ordner mit Akten und insgesamt 81 Zeugen. 52 davon hatte die Staatsanwaltschaft aufgeboten, 29 die Verteidigung. Im Prozess gegen Chodorkowski fordert die Staatsanwaltschaft 14 Jahre Haft.

Begonnen hatte der neue Prozess gegen Michail Chodorkowski und dessen Juniorpartner Platon Lebedew – beiden gehörte der inzwischen zerschlagene und quasi verstaatlichte Ölgigant Jukos – vor anderthalb Jahren. Die Staatsanwälte fordern nun für die Angeklagten 14 Jahre Haft, dabei soll aber die bisherige Haft angerechnet werden. Beiden wird Diebstahl von 218 Millionen Tonnen Rohöl, Unterschlagung sowie Geldwäsche vorgeworfen. Chodorkowski, einst reichster Mann Russlands, war 2005 bereits zu acht Jahren Haft verurteilt worden. Damals wurden ihm Betrug und Steuerhinterziehung vorgeworfen.

Kritische Beobachter im In- und Ausland gehen in beiden Verfahren von politischen Motiven aus. Chodorkowski hatte mit Teilen der Erlöse, die Jukos – damals ein Vorzeigeunternehmen und Russlands erfolgreichster Ölkonzern – ihm in die Taschen spülte, oppositionelle Parteien unterstützt. Eine Jukos-nahe Stiftung versuchte in mehreren Regionen mit alternativen Bildungsprogrammen, künftige Wähler für einen liberalen Wertekanon zu begeistern. So sieht das auch der Anfang 2004 als Regierungschef entlassene Michail Kasjanow, der inzwischen zu den schärfsten Kritikern Putins gehört und der sich als Entlastungszeuge zur Verfügung stellte. Putin, so Kasjanow in einem Exklusivinterview für Radio Liberty nach seiner Vernehmung durch das Gericht Ende Mai, sei vor allem wütend gewesen, weil Chodorkowski nicht nur die mitgliederschwache liberale Opposition, sondern auch die Kommunistische Partei unterstützte. Kasjanow sagte, er habe den damaligen Kremlchef darauf hingewiesen, dass Chodorkowski legale Parteien bezuschusst, wofür keine „Geheimgenehmigung des Präsidenten“ erforderlich sei. Auch mit dem Rückgriff auf Steuersparmodelle habe Chodorkowski den Boden des Gesetzes nicht verlassen. Für die Diebstahl- und Geldwäsche-Vorwürfe, um die es im zweiten Prozess ging, gebe es ebenfalls keine Indizien, sagte Kasjanow, damals zweitmächtigster Mann in Russland. Ähnlich äußerte sich auch Vizepremier Viktor Christenko, der in Kasjanows Kabinett Industrieminister war.

Die Staatsanwälte ließen sich davon nicht beeindrucken. Ihr mehrtägiges Abschlussplädoyer – Radio „Echo Moskwy“ sprach von „vierstimmiger monotoner Litanei“ – war im Wesentlichen mit der zu Prozessbeginn verlesenen Anklageschrift identisch. Nicht mal geografische Irrtümer und andere offenkundige Fehler, so ein Gerichtsreporter, seien korrigiert worden. Das und die Tatsache, dass Viktor Danilkin, der Vorsitzende Richter, so gut wie alle Anträge der Verteidigung abschmetterte, lässt aus Sicht von Bürgerrechtlern befürchten, dass er auch bei der Urteilsverkündung Ende des Jahres den Forderungen der staatlichen Anklage folgen wird.

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