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Russland: Die gedopte Großmacht

Deutschland und Europa dürfen Russland durchaus einmal seine Grenzen aufzeigen

Europa hat sehr viel Langmut gegenüber Russland bewiesen. Dabei ergeben die russischen Zumutungen seit Wladimir Putins Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz eine lange Liste: Russische Generäle drohen Tschechien und Polen, zu Zielen russischer Raketen zu werden, wenn sie den amerikanischen Abwehrschirm unterstützen. Dann will Moskau den KSE-Vertrag kündigen, obwohl selbst russische Generäle zugeben, dass die US-Raketenabwehr die russische Abschreckung nicht gefährdet. Trotz mehrfacher Ermahnungen aus Brüssel blockiert Moskau weiter Fleischimporte aus Polen. Hinzu kommen der Streit um das sowjetische Kriegerdenkmal in Estland und die russischen Sanktionen gegen das kleine EU-Land. Vom Kosovo ganz zu schweigen, wo Moskau die von UN und EU vorgeschlagene Lösung weiter blockiert.

US-Verteidigungsminister Robert Gates traf in München seinerzeit den Ton, als er mit Ironie auf Putins Provokationen reagierte. Cool bleiben war die Devise, schließlich braucht man Moskaus Kooperation zur Lösung vieler Weltprobleme. Weil die Angriffe aus dem Kreml aber immer aggressiver werden, lassen sie sich nicht mehr ignorieren. Inzwischen spricht sogar der Moskau wohlgesinnte deutsche Außenminister von einer Konfliktsituation zwischen EU und Russland. Auch Brüssel reagiert zunehmend verärgert. EU-Handelkommissar Peter Mandelson meint gar, das Unverständnis zwischen Europa und Russland sei seit Ende des Kalten Krieges nie so groß gewesen. Nun ist man in Europa gerne bereit, Russland zu psychologisieren. Schließlich war der Zusammenbruch des eigenen Imperiums eine traumatische Erfahrung. Zuweilen hochkommende Phantomschmerzen wird man den Russen da schon zubilligen können. Hinter der Pose des Russlandverstehens lauert aber eine andere unbequeme Wahrheit: Wegen der knappen Energieressourcen brauchen wir Russland zurzeit mehr, als es uns braucht – anders als zu Zeiten von Boris Jelzin, der nur mit westlichen Krediten überleben konnte. Und Wladimir Putin hat offenbar beschlossen, uns diese Abhängigkeit deutlich spüren zu lassen, um seinem Volk das Gefühl weltpolitischer Bedeutung zurückzugeben. Der Pipeline-Deal mit Turkmenistan und Kasachstan zeigt zudem, dass Putin Russlands Rolle als wichtigster Energieversorger Europas und das damit einhergehende Machtpotenzial nicht aus der Hand geben will.

Europa ist in einer schwierigen Lage. Einerseits muss es versuchen, den Konflikt nicht unnötig anzuheizen. Andererseits gilt es, Stoppsignale zu setzen. Regierung und Öffentlichkeit in Russland scheinen sich gerade zu einer Stimmung nationaler Selbstüberschätzung hochzuschaukeln. Die Europäer sollten Putin deshalb daran erinnern, dass Moskaus außenpolitische Muskeln künstlich gedopt sind. Russlands wachsende Staatseinnahmen wie wirtschaftliche Kraft sind vor allem den hohen Energiepreisen geschuldet, der Rest der Wirtschaft ist weiter wenig konkurrenzfähig. Wenn die Energiepreise sinken, fällt auch Moskaus Großmachtgebaren schnell in sich zusammen. Dann wird man im Kreml froh sein, wenn man die europäischen Partner nicht gänzlich vergrätzt hat.

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