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Russland: Dmitri Medwedew - der stumme Präsident

Seit einem Jahr regiert Medwedew als Nachfolger von Putin im Kreml – doch zu Reformen kann er sich nicht durchringen.

Heute vor genau einem Jahr legte Präsident Dmitri Medwedew seinen Amtseid auf die russische Verfassung ab. Das Amtsjubiläum und die zurückliegende 100-Tage-Bilanz von US-Präsident Barack Obama liefern Beobachtern in Russland einen Grund, einen Vergleich zwischen den beiden Staatschefs anzustellen. Der Kremlchef kommt dabei nicht gut weg. Obama, sagt beispielsweise Dmitri Oreschkin vom Forschungszentrum Mercator, habe innen- und außenpolitisch bereits in den ersten Tagen damit begonnen, den Augiasstall auszumisten, den sein Vorgänger ihm hinterließ. Medwedew dagegen habe bisher nur Signale gegeben, die man bestenfalls als Reformbereitschaft deuten könne.

Aus diesem Grund zeigen Liberale und Menschenrechtler, die Medwedew zunächst sogar in die Nähe Gorbatschows rückten, immer weniger Nachsicht mit dem Präsidenten. Denn ein Viertel der Amtszeit des neuen Kremlchefs ist bereits verstrichen. Medwedew wagte bisher nur kosmetische Korrekturen an einem System, das in den acht Jahren der Regentschaft seines Vorgängers Wladimir Putin erstarrt war. Und wenn Medwedew sich zu Korrekturen aufraffe, dann gehorche er oft nur der Not, fürchtet Boris Nemzow, einer der führenden Politiker von Solidarnost, des Bündnisses der liberalen Opposition.

Für Solidarnost war Nemzow Ende April auch bei den Bürgermeisterwahlen in Sotschi, wo 2014 die Olympischen Winterspiele stattfinden sollen, angetreten und hatte trotz massiver Behinderung fast 14 Prozent aller Stimmen eingesammelt. Andere Oppositionsführer waren in den letzten Jahren nicht einmal auf die Hälfte gekommen. Nemzow erklärt seinen Erfolg auch mit der Krise und liegt damit durchaus richtig. Schließlich braucht die Bevölkerung ein Ventil zum Dampfablassen. Vor diesem Part aber drücken sich die kommunistischen Oppositionspolitiker ebenso wie die Gewerkschaften. Zwangsläufig bekommt dadurch die liberale Opposition eine Chance. Ob sie etwas daraus machen kann, ist fraglich. Vom Kreml seit Jahren marginalisiert und von internen Rivalitäten gebeutelt, bewegt sie sich gegenwärtig hart am Rande der statistischen Wahrnehmbarkeit.

Bei den Wahlen in Sotschi war zu besichtigen, wie jene Sonderform des Rechtstaates funktioniert, die Putin Russland als „souveräne Demokratie“ verpasst hat: Um ihren Kandidaten durchzudrücken, setzte die Moskauer Machtelite alle verfügbaren Mittel ein: Gängelung der Medien, Manipulationen, Drohungen und Einschüchterungen.

Medwedew aber blieb stumm, obwohl sich zunehmend Widerstand gegen die in der Ära Putin verabschiedeten Gesetze formiert. Aus gutem Grund: Die Provinzchefs, die von Moskau ein- und abgesetzt werden, nehmen auf die Interessen ihrer Regionen wenig Rücksicht. Dadurch aber wachsen separatistische Tendenzen, wie beispielsweise der ehemalige Präsident Inguschetiens, Ruslan Auschew, befürchtet. In seinem ehemaligen Machtbereich herrscht inzwischen völliges Chaos.

Auch die Entspannung im russisch-amerikanischen Verhältnis und die Abrüstungsverhandlungen schreiben Kritiker Medwedews vor allem Obama und der Krise zu. Außerdem habe, so argumentieren sie, der Georgienkrieg im vergangenen August deutlich gemacht, dass Medwedew die Außenpolitik Putins fortsetzt, die auf die Wiederherstellung des russischen Machtbereichs ausgerichtet war.

Beobachter erklären die bisher schwache Leistung des neuen Kremlchefs mit dessen begrenzter Souveränität. In der Tat verfügt in Russland derjenige über die Macht, der den Apparat im Griff hat. Dessen Schlüsselstellen aber sind nach wie vor mit Putins Leuten besetzt. Das Tandem Medwedew/Putin werde bald auseinanderfallen, orakelt dennoch die russische Ausgabe des Magazins „Newsweek“. Ob dies tatsächlich so ist, dürfte sich in Kürze zeigen. Auch Putin wagte sich im Verhältnis zu seinem Vorgänger Boris Jelzin erst ein Jahr nach der Machtübernahme aus der Deckung.

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