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Von Deauville nach Moskau: Russlands Präsident Dmitri Medwedew.

© dpa

Russland: Genug gekränkt

In Russland wächst die Erkenntnis, dass eine Zusammenarbeit mit dem Westen unverzichtbar ist – etwa in Afghanistan.

Es war an der französischen Atlantikküste, wo sich Präsident Nicolas Sarkozy am Dienstag mit seinem russischen Amtskollegen Dmitri Medwedew und Bundeskanzlerin Angela Merkel traf, nur wenig wärmer als in Moskau. Dort tagte fast zeitgleich das „Security Conference Core Group Meeting“ der Münchner Sicherheitskonferenz (MSK): 50 hochkarätige Außen- und Sicherheitspolitiker, die vor dem Nato-Gipfel in Lissabon Mitte November und dem OSZE-Treffen Anfang Dezember in Kasachstans Hauptstadt Astana Kernfragen der globalen Sicherheit erörterten. Um die ging es auch beim Dreiergipfel in Deauville – und dessen Ergebnisse bedachte Kremlchef Medwedew, noch bevor er der die Sicherheitsexperten am Mittwochnachmittag empfing, mit ungewohnt warmen Worten.

Es sei um eine Modernisierungspartnerschaft, die Zusammenarbeit mit der Nato und um Russlands Rolle „bei der Definition europäischer Sicherheitsparameter“ gegangen, die Gespräche seien „sehr wichtig, sehr inhaltsreich und sehr nützlich“ gewesen, lobte Medwedew. Den Sinneswandel des russischen Präsidenten erklärt MSK-Chefkoordinator Wolfgang Ischinger zum einen mit dem Neustart der russisch-amerikanischen Beziehungen. Zum anderen sei auch in Russland die Erkenntnis gewachsen, „dass wir bei Herausforderungen globaler Art – Nichtweiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen, Terrorismus, Iran oder der Krise in Afghanistan – alle in einem Boot sitzen“, sagte er dem Tagesspiegel. Daher sei jetzt ein guter Zeitpunkt, eine euroatlantische Sicherheitsgemeinschaft zu schaffen.

Selbst Moskaus Nato-Botschafter Dmitri Rogosin, ein notorischer Scharfmacher, sieht das ähnlich. Für den Lissabonner Nato-Gipfel, an dem auch Medwedew teilnehmen will, kann er sich neben der Sondierung von Möglichkeiten für ein gemeinsames Krisenmanagement in Afghanistan sogar den „Beginn eines Dialogs zur Harmonisierung der Doktrinen vorstellen“ – also der strategischen Konzepte Moskaus und der Allianz. Sowohl Russland als auch die Nato nehmen den jeweils anderen unterschwellig nach wie vor als Bedrohung wahr.

Wie Rogosin dem Radiosender Echo Moskwy sagte, ist der direkte Austausch mit dem Westen über diese Probleme für Russland extrem wichtig. Der Gipfel in Lissabon, wo neben den 28 Staats- und Regierungschefs der Nato-Mitgliedsländer Russland mit am Tisch sitzt, sei daher kein reines Treffen der Militärallianz, sondern ein Nato-Russland-Gipfel, sagte Rogosin. Unterschwellig schwang da erneut eine Kränkung über die Unterbewertung von Russlands internationalem Gewicht mit.

Irina Kobrinskaja vom Institut für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen der Russischen Akademie der Wissenschaften weist unterdessen darauf hin, dass eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen Russland und der Nato bisher stets daran gescheitert sei, dass großen Worten des Westens keine konkreten Taten folgten. Das würde auch am Mechanismus der Konsultationen liegen, die beide Seiten zu nichts verpflichten. Das Format müsse daher geändert werden.

Auch deshalb will Medwedew, der in Deauville erneut für seinen Entwurf eines Vertrages über die europäische Sicherheitsstruktur warb und dies auch in Lissabon tun möchte, „das Prinzip der Unteilbarkeit von Sicherheit zwischen Vancouver und Wladiwostok“ in „juristisch verbindlicher Form festschreiben“ lassen.

Beim Aufbau eines Raketenabwehrschildes verlangt Moskau zudem detaillierte Informationen. Mit Allgemeinplätzen, warnte Nato-Botschafter Rogosin, werde man sich nicht abspeisen lassen. Beteuerungen von Bundesaußenminister Guido Westerwelle, wonach das neue Projekt – anders als der früher geplante Raketenschild – vom gesamten Bündnis getragen und mit einem Mitwirkungsangebot an Russland verbunden sein wird, reichen da wohl nicht. Und den Satz von Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen, wonach integrierte – sprich multinationale – Abwehrsysteme effizienter als nationale sind, deuteten Experten in Russland angesichts der Ebbe in den Verteidigungshaushalten der meisten Nato-Länder auch als Versuch, die Kosten für den Schild auf möglichst viele Beteiligte umzulegen und einen Gutteil davon Moskau aufzubürden.

Europas Emanzipation, sagte Alexander Konowalow vom Institut für strategische Bewertungen dem Sender Radio Liberty, sei wegen des „gigantischen Übergewichts“ der USA ohne Russland nicht möglich. Diese Allianz würde jedoch keine antiamerikanische Stoßrichtung haben. Vielmehr würde Moskau dadurch realer Partner von Nato und EU, ohne Mitglied zu sein.

MSK-Chefkoordinator Ischinger sieht das ähnlich. Es gebe seit fast einem Jahr eine hochkarätig besetzte russisch-amerikanisch-europäische Initiative zur Schaffung eines gemeinsamen euroatlantischen Sicherheitsraums, die bei Regierungen, Medien und Gesellschaft „das Bewusstsein dafür schärfen soll, dass gemeinsames Handeln zwischen Russland und dem Westen die Regel und nicht mehr die Ausnahme sein darf. Die Deutschen könnten hier aus eigenem Interesse eine führende Rolle spielen“, glaubt Ischinger.

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