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© EPA

Russland: "Gerichte unter Druck der Politik"

Der ehemalige russische Ölmagnat Michail Chodorkowski rechnet mit Russlands Justiz ab. Es sei Praxis, Gerichtsfälle künstlich in Kriminalfälle zu verwandeln.

Moskau - Chodorkowski hat schwere Vorwürfe gegen das Justizsystem seines Landes erhoben. In einem Interview mit der „Welt“ und der russischen Ausgabe des Magazins „Newsweek“ sagte der ehemalige Chef des Ölkonzerns Jukos: „Die Praxis, zivile oder Schiedsgerichtsfälle künstlich in Kriminalfälle zu verwandeln, wie es an uns erprobt wurde, hat Dutzende und Hunderte neuer Jukos-Fälle kleineren Umfangs geschaffen.“ Kaum jemand zweifele heute daran, dass ein Gericht in Russland „unter politischem Druck ungesetzliche Entscheidungen fällen kann“, sagt der 46-Jährige, der von 2005 bis Anfang dieses Jahres im sibirischen Straflager Krasnokamensk einsaß.

Chodorkowski war 2003 festgenommen und im Mai 2005 in einem ersten Prozess wegen Finanzbetrugs und Steuerhinterziehung zu acht Jahren Haft verurteilt worden. Derzeit wird dem Kremlkritiker, der nun in einem anderen Gefängnis inhaftiert ist, in einem neuen Betrugsverfahren erneut der Prozess gemacht, weil er Öl für umgerechnet etwa 20 Milliarden Euro beiseite geschafft und illegal weiterverkauft haben soll. Kritiker vermuten dahinter einen Versuch, Chodorkowskis Freilassung in absehbarer Zeit zu verhindern. Chodorkowski beteuert wie im ersten Prozess seine Unschuld. „Die Anklage baut darauf, dass das Gericht jedes Dokument, jedes Gesetz im Sinne der Obrigkeit interpretiert“, sagte Chodorkowski. Die Schuld für ein „nicht existierendes Verbrechen“ anzuerkennen, sei für ihn „unannehmbar“. Rückblickend machte Chodorkowski dem einstigen russischen Präsidenten und heutigen Ministerpräsidenten Wladimir Putin und dessen Stellvertreter Igor Setschin schwere Vorwürfe. Beide seien in der Anfangsphase am Fall Jukos beteiligt gewesen: „Sie haben den politischen Willen geformt.“ Nun werde das Verfahren von Bürokraten vorangetrieben.

Über die Rolle des seit 2008 amtierenden Präsidenten Dmitri Medwedew sagte Chodorkowski: „Ich glaube, Dmitri Medwedew unterscheidet sich tatsächlich von Wladimir Putin, aber gleichzeitig habe ich keine Zweifel, dass der aktuelle Präsident völlig loyal gegenüber dem vorhergehenden ist.“ Erneut forderte Chodorkowski eine „echte, vollwertige Gerichtsreform“. Zudem kritisierte er den Einfluss des Staates in der Wirtschaft. Die Folge seien hohe Kosten, geringe Produktivität, Intransparenz und Korruption. AFP

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