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Hier ist Putin von Pappe - aber in der Realität nicht unbedingt.

© dapd

Russland: Gesetze mit Putins Handschrift

Organisationen, die Geld aus dem Ausland bekommen, gelten in Russlands künftig als "ausländische Agenten". Ein entsprechendes Gesetz hat die Duma am Freitag beschlossen. Und greift damit in die demokratischen Grundrechte ein. Was wird damit beabsichtigt - und welche Rolle spielt Putin?

Die Opposition in Russland sieht sich ein weiteres Mal unter Druck gesetzt, das Ausland ist alarmiert: Am Freitag verabschiedete das von der Kreml-Partei „Einiges Russland“ dominierte Parlament, die Duma, zwei Gesetze, die nach Ansicht der Kritiker demokratische Grundrechte massiv einschränken.

Was sehen die Gesetze vor?

Zum einen werden nichtstaatliche Organisationen, die sich teilweise oder ganz mit Geld aus anderen Staaten finanzieren, künftig offiziell als „ausländische Agenten“ geführt und müssen sich bei Massenveranstaltungen auch als solche zu erkennen geben. Sie werden zudem in ein entsprechendes Register eingetragen. Staatliche Stellen sollen ihre Tätigkeit und ihr Finanzgebaren fortan streng kontrollieren, bei Unregelmäßigkeiten drohen Strafen.

Die Duma beschloss das in rekordverdächtiger Eile. Vor einer Woche hatten die Abgeordneten die Vorlage, eingebracht von der Regierungspartei „Einiges Russland“, die 238 der insgesamt 450 Mandate kontrolliert, gleich in erster und zweiter Lesung bestätigt. Gestern, am letzten Sitzungstag vor der Sommerpause, besorgten sie den Feinschliff in dritter Lesung – trotz massiver Kritik im In- und Ausland.

Ebenfalls am Freitag beschloss die Duma, dass bei Verleumdung erneut das Strafrecht greift. Sie wird mit bis zu 500 000 Rubel (12 500 Euro) Geldstrafe belegt. Damit machten die Abgeordneten die von ihren Vorgängern beschlossene Liberalisierung des Paragrafen wieder rückgängig. Die Lockerung hatte Russlands damaliger Präsident Dmitri Medwedew initiiert. Unter dem Druck von Massenprotesten nach den umstrittenen Parlamentswahlen im Dezember hatte er weitere innenpolitische Zugeständnisse gemacht. Dass die Gesetzgebung sie wieder verwässerte, erklären Regimekritiker mit der Einflussnahme des heutigen Präsidenten Wladimir Putin, der auch bei seinem Gastspiel in der Rolle des Regierungschefs die Macht nie aus den Händen gegeben hatte.

Was bedeutet die Bezeichnung „Agenten“?

Zu einem Teil ist die Aufregung einem sprachlichen Missverständnis geschuldet. Das Wort Agent meint in diesem Kontext keineswegs Spione, sondern Vertreter, etwa im Sinne von Versicherungsagenten. Man habe, so sagte Russlands Außenminister Sergei Lawrow in der vergangenen Woche nach den Konsultationen mit seinem Amtskollegen Guido Westerwelle, wo das Thema ebenfalls eine Rolle spielte, das Wort aus einem ähnlichen, 1938 in den USA verabschiedeten Gesetz übernommen und dabei auch dessen Inhalt weitgehend kopiert.

Rachel Denber, Vizechefin der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch und deren Expertin für den postsowjetischen Raum, verbat sich indes derartige Parallelen zu ihrem Vaterland. Damit würden die Machthaber in Russland die Bevölkerung in die Irre führen. Unterschiede sind in der Tat nicht zu übersehen. Das US-Gesetz wird auf alle ohne Unterschied angewandt – auf die Schützer von Demokratie und auf die von Delfinen. Von den russischen Neuregelungen dagegen sind lediglich sogenannte politische Organisationen betroffen – solche, die sich für Menschenrechte engagieren.

So macht das neue Gesetz sogar Michail Fedotow, dem Chef des Beirates für Zivilgesellschaft und Menschenrechte beim Präsidenten, Bauchschmerzen. Er forderte bereits Nachbesserungen. Das Wort „Agent“ müsse durch die Formulierung „Organisationen, die aus dem Ausland Geld zur Realisierung politischer Tätigkeit bekommen“ ersetzt werden. Ein linguistisches Lifting, für das Fedotow seinen Chef auch bei dessen jüngster Begegnung mit Vertretern der Zivilgesellschaft zu begeistern suchte.

Wie reagiert die Zivilgesellschaft?

Selbst wenn Fedotows Vorstoß zur Präzisierung des Begriffs Erfolg haben sollte, was wenig wahrscheinlich ist: Das von ihm vorgeschlagene Konstrukt schaffe die Diskriminierung von regimekritischen Organisationen der Zivilgesellschaft nicht aus der Welt, empörten sich gleich mehrere prominente Menschenrechtler, darunter auch Mitglieder von Fedotows Beirat. Fast die Hälfte hat inzwischen ihren Austritt aus dem Gremium erklärt. Darunter Ljudmila Alexejewa, die schon in der Sowjetunion ein Urgestein der Dissidentenbewegung war, und die mehrfach für den Friedensnobelpreis nominierte Swetlana Gannuschkina, die ein Hilfswerk für Kriegsflüchtlinge und Migranten leitet. Sie, so Gannuschkina, wolle mit Putin nicht zusammenarbeiten, weil der die Meinung der Zivilgesellschaft ignoriere.

Unabhängige Experten vermuten, die Neuregelungen seien Teil jener asymmetrischen Antwort, mit der das russische Außenamt drohte, sollte der Kongress in Washington den sogenannten Act Magnitzki bestätigen. Er sieht Einreiseverbot und Sperrung von Konten für russische Spitzenbeamte vor, die sich bei der Verfolgung von Vorkämpfern für Versammlung-, Meinungs- und Glaubensfreiheit in Russland hervortaten.

Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löhning, sprach von einer Stigmatisierung der Nichtregierungsorganisationen. Der Europaabgeordnete Werner Schulz, der Vizevorsitzender des Parlamentarischen Kooperationsausschusses EU -Russland ist, sagte, das Parlament habe „regelrechte Ermächtigungsgesetze zur behördlichen Willkür“ beschlossen.

Welche Rolle spielt Putin?

Seit Beginn von Putins dritter Amtszeit Anfang Mai werden die auch in Russland durch die Verfassung garantierten Grundrechte mehr und mehr ausgehebelt. Das „Agenten“-Gesetz ist dabei nur die Spitze des Eisbergs. In den gut sechzig Tagen seither verabschiedete das ihm nach wie vor hörige Parlament bereits vier Gesetze, die dem Spielraum seiner Gegner enge Grenzen setzen. Dahinter steckt vor allem Angst vor neuen Massenprotesten im Herbst. Denn dabei geht es nicht um abstrakte Bürgerrechte, sondern um Rebellion gegen soziale Grausamkeiten. Die sollten ursprünglich schon im Januar greifen, wurden, um Putins Wiederwahl nicht zu gefährden, jedoch auf Juli verschoben. Im Juni beschloss die Duma ein Gesetz, das Ordnungswidrigkeiten bei Massenkundgebungen mit drakonischen Strafen ahndet. Und am vergangenen Mittwoch brachte sie ein Gesetz auf den Weg, das das Internet de facto unter staatliche Zensur stellt. Angeblich sollen Heranwachsende damit vor „anstößigen Inhalten“ geschützt werden. Da der Begriff nicht exakt definiert wurde und klare Spielregeln fehlen, befürchten User wie Experten, die Lex werde auch auf virtuelle soziale Netzwerke angewandt. Denn vor allem über sie organisierte sich der landesweite Protest der vergangenen Monate.

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