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Dmitri Medwedew

© dpa

Russland: Hoffen auf mehr Konkurrenz

Russlands Präsident Dmitri Medwedew hält seine Rede an die Nation – die Opposition erwartet ein Plädoyer für mehr Demokratie.

Selten hingen die Erwartungen der Nation an eine Jahresbotschaft des russischen Präsidenten so hoch wie bei derjenigen, die Dmitri Medwedew heute im Großen Kremlpalast vor beiden Häusern des Parlaments – Duma und Senat – vortragen wird. Vollmundigen Ankündigungen seiner Vorgänger – Boris Jelzin, der das Ritual in den Neunzigern eingeführt hatte, und Wladimir Putin – folgte nie jener Ruck, den viele erwarteten. Auch der als Reformer angetretene Medwedew enttäuschte bisher. Umso irritierter zeigten sich die Regierungspartei „Einiges Russland“ und die Opposition, als der Kremlherrscher in der vergangenen Woche in seinem Videoblog das derzeitige politische System einer vernichtenden Kritik unterzog.

Stabilität drohe in Stagnation umzuschlagen. Das sei für die Opposition wie für die Partei der Macht gefährlich. Daher müsse „das Niveau der politischen Konkurrenz“ angehoben werden. „Wenn die Opposition bei fairen Wahlen auch nicht die geringsten Chancen auf einen Sieg hat, verkommt sie zu einer marginalen Größe“, so Medwedew wörtlich. „Wenn jedoch die Regierungspartei nirgendwo Chancen hat zu verlieren, erstarrt sie zu Bronze und degradiert sich letztendlich. So wie jeder Organismus, der sich nicht bewegt.“

Nie zuvor war Medwedew seinen Mentor Putin – den Erfinder einer straffen Machtvertikale, mit der die politische Opposition und kritische Medien zurückgestutzt wurden – derart frontal angegangen. Denn seine Kritik richtete sich ausdrücklich an Putins Hausmacht, die Partei „Einiges Russland“. Diese verfügt nicht nur in der Duma über eine satte Zweidrittelmehrheit, die jeden Vorstoß der Opposition blockiert. Ähnlich eindeutig ist die Sitzverteilung in allen 83 Regionalparlamenten und in den Stadtverordnetenversammlungen. Eine absolute Mehrheit von „nur“ 52 Prozent gilt bereits als schlecht, Gouverneure, die derartig schwache Ergebnisse organisieren, bangen um Amt und Pfründe.

Die liberale Opposition, die seit 2003 nicht mehr im Parlament vertreten ist, hofft daher, Medwedew werde das Thema „politische Konkurrenz“ an prominenter Stelle in seiner Jahresbotschaft behandeln. Besonders kühne Beobachter wagten sich sogar bereits mit Hochrechnungen für die Sitzverteilung in der Duma nach den nächsten Parlamentswahlen 2011 aus der Deckung.

Die Oppositionsführer selbst sind zurückhaltender und konnten sich bisher nicht einmal zu offener Unterstützung für Medwedews Forderungen nach mehr politischer Konkurrenz aufraffen. Um ihren Konflikt mit Putin nicht weiter eskalieren zu lassen, solange nicht klar ist, ob dieser oder Medwedew bei den Präsidentenwahlen 2012 kandidieren wird: Dass die Entscheidung dazu noch aussteht, machte Putin erst bei seinem Deutschlandbesuch Ende vergangener Woche klar. Einerseits.

Andererseits bleibt Medwedew nicht mehr viel Zeit, die Gestaltungskompetenz zu nutzen, die Russlands Verfassung dem Präsidenten zuschiebt, und sich dadurch in den Annalen der Geschichte zu verewigen. Obwohl Medwedew bereits zwei Drittel seiner Amtszeit hinter sich habe, nörgeln Kritiker, führe er sich nach wie vor wie ein Präsidentschaftskandidat oder ein Staatschef auf Abruf auf. Vielversprechenden Worten seien bisher selten konkrete Taten gefolgt. Die heutige Jahresbotschaft ist daher für Medwedew die vorerst letzte Chance, das Image eines Herrschers abzustreifen, der Angst vor der eigenen Courage hat. Denn die nächste Jahresbotschaft fällt bereits in die heiße Phase des Wahlkampfs – und der könnte ohne Medwedew stattfinden.

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