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Russlands Ministerpräsident Putin hat einen Schuldigen für die Proteste im eigenen Land gefunden.

© dpa

Russland: Putin macht USA für Wahl-Proteste verantwortlich

Obwohl bereits 1500 Regierungsgegner in Haft sind, kündigt die russische Opposition neue Proteste an. Ministerpräsident Putin ergeht sich in Verschwörungstheorien in der Rhetorik des Kalten Kriegs.

Russlands Regierungschef Wladimir Putin hat die USA für die Proteste gegen die umstrittenen Parlamentswahlen vom Sonntag mitverantwortlich gemacht. US-Außenministerin Hillary Clinton habe „das Startsignal“ für die Proteste gegeben, sagte Putin am Donnerstag. Die Demonstranten in Russland hätten zudem die „Unterstützung“ des US-Außenministeriums. Zugleich warf er dem Ausland vor, Hunderte Millionen Dollar eingesetzt zu haben, um die Wahlen in Russland zu beeinflussen.

Ob es einer solchen Unterstützung überhaupt bedarf, sei angesichts der wachsenden Zahl prominenter russischer Unterstützer dahingestellt. Friedensnobelpreisträger und Altsowjetpräsident Michail Gorbatschow forderte nach der von Fälschungsvorwürfen überschatteten Parlamentswahl in Russland Neuwahlen. Immer mehr Russen würden das Wahlergebnis anzweifeln. Die öffentliche Meinung zu ignorieren, würde die Lage weiter destabilisieren. „Die Führung des Landes muss anerkennen, dass es zahlreiche Verstöße und Manipulationen gegeben hat, und dass die veröffentlichten Ergebnisse nicht den Willen der Wähler wiedergeben“, sagte der einstige Kremlchef am Mittwoch der Agentur Interfax in Moskau. „Eine Lüge tötet die Glaubwürdigkeit einer Regierung“, sagte der 80-jährige Gorbatschow.

Die Wahlleitung hatte der von Wladimir Putin geführten Regierungspartei „Einiges Russland“ mit knapp 50 Prozent der Stimmen den Sieg bei der Abstimmung am Sonntag zugesprochen. Seit Wochenbeginn haben vor allem in Moskau und St. Petersburg viele Russen gegen das Ergebnis und gegen Wahlverstöße protestiert. Hunderte wurden festgenommen.

Sowohl „Einiges Russland“ als auch die drei Oppositionsparteien, die die Siebenprozentsperrklausel nahmen, ließen jedoch bereits wissen, sie würden ihre Mandate nicht zurückgeben. Ohne Schulterschluss zwischen parlamentarischer und außerparlamentarischer Opposition aber sinken die Chancen für eine gewaltfreie Beilegung der Krise erheblich. Gorbatschow hat die Politik von Regierungschef Putin wiederholt kritisiert. Anders als im Westen ist Gorbatschow in seiner Heimat allerdings als „Totengräber der Sowjetunion“ stark umstritten.

Nach den Protesten sitzen mittlerweile rund 900 Menschen allein in Moskau in den Arrestzellen der Polizei. 300 waren bereits Montagabend nach einem von den Behörden genehmigten Meeting festgenommen worden. Weitere 600 Protestler, die sich an nicht genehmigten Kundgebungen beteiligt hatten, sind seit Dienstagabend in Haft. Anwälte hatten zunächst keinen Zutritt zu ihren Mandanten, viele klagen über menschenunwürdige Haftbedingungen. Häufig müssen sich demzufolge mehrere Häftlinge eine Matratze zum Schlafen teilen, oft bekommen sie weder Wasser noch Essen. Beköstigung, so ein Sprecher, gehöre nicht zu den Obliegenheiten der Polizei.

Unter den Festgenommen sind auch Oleg Orlow, Gründungsmitglied von Memorial, der ältesten und größten russischen Menschenrechtsgruppe, sowie der kritische Blogger und Rechtsanwalt Alexei Nawalny. Er hatte für Putins Hausmacht „Einiges Russland“ den Begriff „Partei der Diebe und Gauner“ in Umlauf gebracht und auf seinem Internetportal die krassesten Fälle von Korruption der Einheitsrussen dokumentiert.

Vorgeworfen wird den Protestierenden Widerstand gegen die Staatsgewalt und Beteiligung an nicht genehmigten Kundgebungen. Die Vorwürfe seien haltlos, ließ Ilja Jaschin wissen, einer der Führer der Bewegung „Solidarnost“, die den Protest am Montag organisiert hatte. Das Meeting sei genehmigt gewesen. Ein anschließender, nicht genehmigter Marsch zur Zentralen Wahlkommission, Vorwand für die Festnahmen, habe nicht stattgefunden. Vielmehr hätten die Organisatoren die Teilnehmer aufgefordert, größere Gruppen zu bilden, die geordnet und nacheinander zur nächsten Metrostation gehen, um Gedränge zu vermeiden.

Jaschin, Nawalny und die meisten anderen Protestteilnehmer wurden am Mittwoch zu fünfzehn Tagen Arrest verurteilt, der Höchststrafe für das, was ihnen zur Last gelegt wird. Für Samstag hat „Solidarnost“ zu einem weiteren Protest auf dem Moskauer „Platz der Revolution“, benannt nach der sozialistischen Revolution 1917, aufgerufen. Die Kundgebung ist genehmigt, die Teilnehmerzahl von der Moskauer Stadtregierung auf 300 festgesetzt. Über Facebook sollen sich jedoch bereits mehr als 15 000 angemeldet haben. Samstag, glauben Beobachter, werde sich entscheiden, ob der Protest Kreml und Regierung zu Kompromissen zwingt. (mit AFP/dpa/rtr)

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