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Türkische Polizei liefert sich Kämpfe mit den Kurden: im Sommer wurde noch über Frieden verhandelt.

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Update

Russland, Syrien, Türkei: Wladimir Putin nähert sich Kurden an - für Erdogan fatal

Russland bekundet Sympathie für kurdische Autonomiebestrebungen, Außenminister Lawrow empfängt kurdische Spitzenpolitiker. Was bedeutet das für die Türkei?

Die schon zuvor unübersichtliche Gemengelage im Nahen Osten ist seit dem Abschuss eines russischen Kampfjets durch die Türkei Ende November endgültig verworren. Eine aus Sicht Ankaras wirklich fatale Entwicklung droht aber im Falle einer engeren Verbindung zwischen Moskau und den Kurden – eine historisch erprobte Beziehung.

Sollte Russland kurdische Autonomiebestrebungen unterstützen, wie es zuletzt diplomatisch schon angeklungen war, wäre das für Ankara ein absoluter Albtraum. Im Südosten der Türkei führen Regierungstruppen seit Wochen offene Gefechte mit den Kurden, nachdem im Sommer noch über Frieden verhandelt worden war. Bei der Militäroffensive gegen die verbotene Kurdische Arbeiterpartei PKK in starben inzwischen mehr als 100 Menschen.

Wie ist das Verhältnis der Türkei mit anderen Akteuren der Region?
„Null Probleme mit den Nachbarn“: Das war die politische Maxime von Ahmet Davutoglu, als er 2009 das Außenministerium in Ankara übernahm. Sechs Jahre später – Davutoglu ist inzwischen Ministerpräsident – könnte man sagen: Die Türkei hat nicht null, sondern nur Probleme mit ihren Nachbarn. Mit fast allen liegt sie im Streit, darunter früheren Verbündeten wie Israel und Ägypten. Im Nahen Osten und Nordafrika hat sie ihren Einfluss weitgehend verloren.

Zuletzt lieferten sich Ankara und Moskau Stellvertreter-Konflikte um Einflusssphären in der Region. Die türkische Armee sorgte mit ihrer Präsenz im nordirakischen Mossul für Verstimmung in Bagdad. Die irakische Regierung drohte gar damit, Moskau um Hilfe zu bitten. Das würde wiederum die Gerüchte anheizen, Putin wolle nach Syrien auch im Irak intervenieren. Der türkische Premier Ahmet Davutoglu kündigte dennoch an, türkische Truppen in Mossul zu belassen, bis der „Islamische Staat“ (IS) von dort vertrieben sei.

Über vier Staaten verteilt: Die Kurden sind im Irak, Iran, in Syrien und in der Türkei präsent. Doch von einem eigenen Staat sind sie weit entfernt. Am nächsten dran sind sie noch in ihren Autonomen Gebieten im Nordirak.
Über vier Staaten verteilt: Die Kurden sind im Irak, Iran, in Syrien und in der Türkei präsent. Doch von einem eigenen Staat sind sie weit entfernt. Am nächsten dran sind sie noch in ihren Autonomen Gebieten im Nordirak.

© Tsp/Anna Schmidt

Welche historischen Verbindungen gibt es zwischen Ankara und Moskau?

Die Türkei und Russland haben nach dem Ende des Kalten Krieges enge wirtschaftliche Beziehungen geknüpft. Russland ist der wichtigste Energielieferant der Türkei, die ihrerseits wiederum den Russen als Korridor für Gaslieferungen nach Westeuropa dienen könnte. Für die türkischen Exporteure und Baukonzerne ist Russland ein wichtiger Markt. Auch politisch kam man sich näher. Viele Beobachter glaubten sogar eine Wesensverwandtschaft des „Sultans“ Recep Tayyip Erdogan mit dem „Zaren“ Wladimir Putin zu erkennen. Unähnliche Charaktere sind die beiden jedenfalls nicht – was ihre neue Feindschaft jetzt so unerbittlich macht.

Der Syrienkonflikt hat die jahrhundertealte Rivalität beider Länder wieder erwachen lassen. Präsident Erdogan hat sich früh auf den Sturz Assads festgelegt, vor allem, weil Assad nicht in sein Konzept einer „sunnitischen Achse“ passt, die er unter Führung der Türkei im Nahen Osten und Nordafrika zu gründen versucht. Russland stützt dagegen seinen traditionellen Verbündeten in Damaskus, um seine Militärstützpunkte in Syrien zu verteidigen, darunter die einzige russische Marinebasis im Mittelmeer.

Welchen aktuellen Schritte unternehmen die beiden Länder gegeneinander?

Die Türkei hat Russland für den ihm zugeschriebenen Angriff auf die syrische Rebellenhochburg Idlib heftig kritisiert. Das syrische Staatsgebiet dürfe nicht Teil „russischer imperialistischer Ziele“ werden, sagte Ministerpräsident Davutoglu am Dienstag vor Abgeordneten der regierenden AK-Partei. Bei dem Angriff am Wochenende waren nach Angaben von Rettungskräften und Anwohnern Dutzende Menschen getötet worden. Die mindestens sechs Luftschläge, die Anwohnern zufolge von russischen Kampfjets ausgeführt wurden, trafen demnach einen gut besuchten Markt im Zentrum, zahlreiche Regierungsgebäude und Wohnviertel. Sie galten dem der russischen Militärstrategie nach dem IS.

Gleichzeitig will Russland seine Sanktionen um ein Importverbot für türkische Produkte ausweiten. Das Ministerium für Industrie und Handel schlage vor, die Einfuhr von bis zu 80 Prozent der Waren zu stoppen, sagte Vizeminister Viktor Jewtuchow am Dienstag in Moskau. Weitere Details nannte er zunächst nicht.

Was unternimmt Russland konkret?

Außenminister Sergej Lawrow hat am Mittwoch in Moskau mit dem Chef der türkischen Kurdenpartei HDP, Selahattin Demirtas, über die Konflikte im Zusammenhang mit dem IS gesprochen. Der russischen Regierung sei bewusst, dass irakische und syrische Kurden gegen die "Bedrohung" durch den IS "und andere extremistische Gruppen" kämpften, sagte Lawrow laut einer Mitteilung des russischen Außenministeriums. Russland sei bereit, aktiv mit jenen zusammenzuarbeiten, die gegen diese Bedrohung kämpften.

Demirtas ist der erste einflussreiche Politiker aus der Türkei, der nach Russland reiste, seit die türkischen Streitkräfte am 24. November an der Grenze zu Syrien einen russischen Kampfjet abschossen. Die Reise von Demirtas nach Moskau wurde von der türkischen Regierung kritisiert. Die HDP suche die Zusammenarbeit "mit allen, die mit der Türkei in Konflikt stehen", sagte Ministerpräsident Ahmet Davutoglu am Dienstag. Lawrow sagte, die HDP fördere die "Einheit" der Türkei, indem sie die Rechte einzelner Volksgruppen vertrete. Die Moskauer Sanktionen gegen die Türkei sollten nicht die "Beziehung zum türkischen Volk" stören.

Was wollen die Kurden?

Der brisanteste Faktor in diesem Geflecht widerstreitender Interessen sind die syrischen Kurden und ihre dominierende politische Bewegung, die Partei der Demokratischen Union (PYD). Ihr Ziel ist eine kurdische Selbstverwaltung im Norden Syriens an der Grenze zur Türkei. In Ankara fürchtet man, dass dies neuen Autonomiebestrebungen der türkischen Kurden wecken könnte – zumal die PYD ein direkter Ableger der verbotenen PKK ist.

Die PYD gilt in Ankara deshalb als genauso große Bedrohung wie die IS-Terrormiliz, wenn nicht sogar als noch gefährlicher. Zusätzlich kompliziert wird die Gemengelage dadurch, dass die bewaffneten Kämpfer der PYD sich in Syrien erfolgreich dem IS entgegenstellen. In der türkischen Hauptstadt horchte man daher auf, als der russische Vizeaußenminister Alexei Meschkow jetzt erklärte, die Kurden dürften von den Verhandlungen über einen Friedensprozess in Syrien nicht ausgeschlossen werden, zumal sie „in Syrien und im Irak der terroristischen Bedrohung so erfolgreich begegnen“. Meschkows Äußerung kann als Unterstützung für die PYD und damit für die PKK interpretiert werden. Das ist historisch kein Novum.

Schon in den 1980er Jahren unterstützten die damalige Sowjetunion und das Assad-Regime, Moskaus engster Verbündeter im Nahen Osten, die PKK. Nordöstlich von Moskau unterhielt die PKK sogar noch in den 90er Jahren ein Trainingslager. Die Frage ist, ob es jetzt bei politischen Solidaritätsadressen bleibt. Würde Russland darüber hinausgehen und die PKK militärisch unterstützen, bekäme der gerade wieder aufflammende Kurdenkonflikt in der Südosttürkei eine ganz neue Dimension.

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