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Kriegsmüde: Ein ukrainischer Soldat in der Region Luhansk an der Grenze zu Russland.

© Reuters

Russland und Ukraine im Krieg: Kiew startet "Aktion Heimatschutz"

Die Waffen schweigen – doch Kiew misstraut dem Frieden. Daher wird die Grenze zu Russland verstärkt. Die "Aktion Heimatschutz" soll die territoriale Integrität der Ukraine schützen.

Im Westen schauen derzeit viele auf den Waffenstillstand in der Ostukraine. Die Europäische Union hofft, dass die Feuerpause hält und Gespräche zur Bildung eines dauerhaften Friedensplanes aufgenommen werden können.

Allerdings ist in Kiew der Wahlkampf in Gang gekommen, und die meisten Politiker misstrauen der Waffenruhe. Die Regierung will die Ostgrenze der Ukraine zu Russland ab sofort von Soldaten und militärischen Festungsanlagen sichern lassen.

Bereits im Frühjahr ist vereinzelt damit begonnen worden, bis zu sieben Meter tiefe Gräben an der ukrainisch-russischen Grenze im Gebiet Donezk auszuheben. Die Arbeiten wurden damals von Gouverneur Sergej Taruta in Auftrag gegeben – als Schutzmaßnahmen gegen eine russische Invasion.

Präsident Petro Poroschenko sprach sich vor dem Kabinett in Kiew nun dafür aus, die Arbeit an den Gräben auf rund 1500 Kilometern Länge wiederaufzunehmen und fertigzustellen. Das Militär soll 4000 Unterstände und 8000 Stellungen zur Beobachtung und Verteidigung an der Grenze zu Russland einrichten. Vor allem an Grenzabschnitten in der Region Lugansk und im Süden des Gebietes Donezk plant die ukrainische Regierung spezielle Vorrichtungen, die mit herkömmlichen Mitteln nur sehr schwer bis gar nicht zu zerstören sind.

Neben diesen Vorhaben – denen, wie es Poroschenko bei seiner Rede am Mittwoch in Kiew formulierte, „höchste Priorität zukommt“ – kündigte das Staatsoberhaupt eine Änderung der Verteidigungsstrategie an. Derzeit werde an der Bildung von Spezialkräften gearbeitet, die einen Guerillakrieg führen könnten. Die Ukraine wolle sich dabei auf „Expertise aus dem Ausland verlassen“. Tatsächlich hat Präsident Poroschenko eine Reihe von Beratern, die sich bereits seit dem Sommer mit diesem Thema beschäftigen.

Eine Schutzmauer soll her

Langfristig soll an der Grenze zwischen der Ukraine und Russland eine etwa 2300 Kilometer lange Mauer entstehen. Diesen Plan hatte der ukrainische Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk vor ein paar Tagen bekannt gegeben und damit vor allem in Westeuropa Kopfschütteln ausgelöst. Während bei vielen Erinnerungen an die Berliner Mauer wachgerufen werden, hat man in Kiew die modernen Schutzwälle in den USA und in Israel vor Augen.

Jazenjuk sagte in Kiew, der Bau der Schutzmauer werde so schnell wie möglich beendet und „kostengünstig“ vollzogen. Vor ein paar Tagen hatte sich Jazenjuk mit der Arbeitsgruppe getroffen, die den Bau einer Schutzmauer entlang der ukrainisch-russischen Grenze erarbeitet. Insgesamt soll an der Grenze ein 25 Meter breiter Sicherheitsstreifen entstehen. Neben einem vier Meter breiten und drei Meter tiefen Wassergraben sollen auf dem Gebiet auch elektronische Sicherheitssysteme installiert sowie ein Betonwall und eine fünf Meter breite Schutzzone aus Beton gebaut werden.

Die gesamte Anlage soll mit Wachtürmen sowie moderner Überwachungstechnik bestückt werden. Insgesamt müssten 2200 Kilometer durch die Mauer gesichert werden. Das Gebiet um die Mauer würde zum Sperrgebiet erklärt – Zugang hätten nur Personen und Fahrzeuge mit Sondererlaubnis oder das Personal der ukrainischen Grenzschützer.

Auch in Odessa, Mykolajiw und Cherson zeigt sich die Ukraine nervös

Was der Bau kosten wird, ist noch unbekannt. Im Frühjahr hatte der Gouverneur von Dnipropetrowsk, Igor Kolomoisky, mit dem Bau einer Mauer an der Grenze seiner Region zur Russischen Föderation gedroht. Die dafür notwendigen Ausgaben in Höhe von umgerechnet 100 Millionen Euro wollte der Oligarch und Multimilliardär aus eigener Tasche bezahlen. Es ist anzunehmen, dass auch das neueste Mauerprojekt mit Hilfe von Kolomoisky zustande kommen würde.

Oleg Medwedew, Erster politischer Berater von Präsident Poroschenko, erklärte am Donnerstag im ukrainischen Fernsehen: „Unser Schutzwallprojekt soll nicht bedeuten, dass in Europa eine neue Festung entsteht. Die Fertigstellung dieses Vorhabens wird Jahre in Anspruch nehmen.“ Die Mauerpläne seien auch nicht neu, sondern lägen bereits seit mehreren Jahren in der Schublade, sagte Medwedew. Derzeit stehe die Ukraine jedoch vor einer der schwersten Bewährungsproben ihrer jüngeren Geschichte – das „Durchspielen verschiedener Abschreckungsszenarien“ dürfe da niemanden verwundern.

Wie nervös die Stimmung in der Ukraine ist, zeigen die Aktionen in den südlichen Regionen Odessa, Mykolajiw und Cherson. Dort hätten die Regionalverwaltungen dazu aufgerufen, Freiwillige für die territoriale Verteidigung zu rekrutieren, schreibt die größte ukrainische Tageszeitung „Segodna“. Die jungen Männer erhielten durch Mitarbeiter des Innenministeriums, des Grenzschutzes sowie des Verteidigungsministeriums eine „umfassende Ausbildung“, vor allem würden Kenntnisse aus den Bereichen „militärische Angelegenheiten, Topografie, Guerillakrieg sowie der Umgang mit verschiedenen Waffengattungen vermittelt“, schreibt die Zeitung. Eine Zahl, wie viele Rekruten sich derzeit in der Ausbildung befinden, wurde nicht genannt. Die zuständigen Ministerien waren für eine Stellungnahme nicht erreichbar.

Kiew musste derweil zugeben, dass die prorussischen Aufständischen im Osten des Landes ihr Einflussgebiet bis ans Asowsche Meer ausgeweitet haben. Die dortigen Grenzabschnitte zu Russland würden derzeit „von prorussischen Söldnern kontrolliert“, sagte der Militärsprecher Andrej Lissenko. Die Aufständischen hatten im August im Südosten der Ukraine eine Offensive gestartet, am Freitag trat die Waffenruhe in Kraft. (mit AFP)

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