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Putin bleibt – sein Rivale Medwedew (rechts) bleibt Episode: Plakatekleben im südrussischen Krasnodar.

© REUTERS

Russland vor der Wahl: Putin bleibt: Ein Tschekist bleibt ein Tschekist

Es gibt kaum Zweifel, dass die Ära Putin noch zwölf Jahre dauern wird – Russland heute ähnelt immer mehr dem untergegangenen Sowjetreich.

„Wir brauchen keine großen Erschütterungen, wir brauchen ein großes Russland“ – die Worte stammen von Pjotr Stolypin, dem „eisernen Ministerpräsidenten“, der Anfang des 20. Jahrhunderts Russland nach seinem Bilde formte und den schwachen Herrscher Zar Nikolaus II. dazu verdammte, seinen Ehrgeiz auf Glamour-Galas zu beschränken. Premier Wladimir Putin, der Amtsvorgänger Stolypin nicht nur gern und oft zitiert, sondern auch dessen autoritären Regierungsstil kopiert, ist so ähnlich mit Dmitri Medwedew umgesprungen, dem Präsidenten auf Abruf, der im März den Chefsessel im Kreml erneut für Putin frei machen muss.

Während aber Stolypin zuweilen vom Parlament gebremst wurde – weshalb er 1911 genervt zurücktrat –, winkt die heutige Duma Putins Vorhaben problemlos durch. Seine Hausmacht „Einiges Russland“ verfügt über die Zweidrittelmehrheit. „Andere Länder wählen ein Parlament und dieses eine Regierung“, sagte 2003 Wladislaw Surkow, Putins Chefideologe, vor den Dumawahlen. „Wir müssen dafür sorgen, dass die Regierung endlich das Parlament bekommt, das sie verdient.“ Tatsächlich sind die hinderlichen und ewig nörgelnden Liberalen seitdem nicht mehr in der Duma vertreten.

Für sie hat sich selbst in kritischen Medien inzwischen der Begriff der „Opposition, die außerhalb des Systems steht“, durchgesetzt. Eine stigmatisierende Wortschöpfung, die an Untergrund und Extremisten denken lässt. Als ihr Autor steht ebenfalls Surkow in Verdacht, dem schon andere Schlüsselworte der Putin-Ära eingefallen sind: „gelenkte Demokratie“ etwa oder die „souveräne Demokratie, die sich in Putins zweiter Amtszeit als offizielle Sprachregelung durchsetzte. Oder auch „straffe Machtvertikale“, was bedeutet: Befehle werden ohne Reibungsverluste von oben nach unten, Informationen in umgekehrter Richtung durchgestellt.

All dies kennzeichnet perfekt das System, das Putin Russland in den acht Jahren seiner Präsidentschaft in mehreren Schüben überstreifte, das er in den vier Jahren seiner Amtszeit als Regierungschef mit Klauen und Zähnen gegen gelegentliche Demontageversuche Medwedews verteidigte. Nach seiner Rückkehr in den Kreml dürfte er es schöpferisch weiterentwickeln – so wie einst KP-Chef Leonid Breschnew Lenins Revolutionstheorie.

Mit Breschnew wird Putin, der den Zusammenbruch der Sowjetunion als „eine der größten Tragödien des 20. Jahrhunderts“ bezeichnete, immer häufiger verglichen. Selbst Ex-Rivale Medwedew erinnerte einst daran, dass wie in der Breschnew-Ära Stabilität, neben bescheidenen sozialen Wohltaten, in Stagnation umschlagen könne.

Warum die Zeit der roten Zaren in Russland noch lange nicht vorbei ist.

Ähnlichkeiten des Heute mit der Zeit der roten Zaren gibt es ohnehin in Fülle: Russlands Verfassung stattet den Präsidenten nicht nur mit einer ähnlich unumschränkten Machtfülle aus wie sie; er darf künftig auch ähnlich lange herrschen. Putin hat im Falle einer Wiederwahl die als sicher gilt, zwölf weitere Jahre. Die straffe Machtvertikale schanzt dem Präsidenten Verantwortung für alles zu. Flugzeugabstürze und Waldbrände, U-Boot-Katastrophen und Geiseldramen kann er für weitere autoritäre Umbauten nützen: Die Geiselnahme in einer Schule in Beslan im Herbst 2004 – Scherbengericht einer verfehlten Minderheitenpolitik im Nordkaukasus – hätte in anders verfassten Staaten deren Chefs das Amt gekostet.

Putin dagegen setzte in der Folge wichtige Grundrechte außer Kraft, verfügte, dass seither die Verwaltungschefs der Provinzen nicht mehr direkt gewählt, sondern vom Kreml ernannt und die Zulassung neuer Parteien an quasi unerfüllbare Auflagen gebunden wurden. Medien und Zivilgesellschaft liegen ohnehin an sehr kurzer Leine, nicht staatliche Organisationen gelten Putin als „Schakale“, die um westliche Botschaften streunen und schnorren.

Aber auch mit Sprüchen wie diesen fährt Putin seine enormen Zustimmungsraten ein und sie dürften dem „Einigen Russland“ bei den Parlamentswahlen im Dezember trotz geringer Akzeptanz erneut die Zweidrittelmehrheit bescheren. Nicht der telegenere Medwedew, sondern Putin, auch nach dem Lifting kein Adonis, beflügelt die sexuellen Fantasien junger Russinnen.

Kreischende Teenies reißen sich für ihn öffentlich die Kleider vom Leib, reifere Damen wünschen sich einen Schwiegersohn wie ihn. Geld soll er auch genug haben durch Beteiligungen an russischen Unternehmen, die offiziell seine Freunde halten. Die meisten lernte er schon im KGB kennen, wo Loyalität oberste Bürgerpflicht war.

Oligarchen mit eigenen politischen Ambitionen zeigt er dagegen schnell die Grenzen. Ex-Jukos-Chef Michail Chodorkowski sitzt in Haft, und Michail Prochorow, der an der Spitze einer Satellitenpartei das Großkapital auf Putin einschwören sollte, dann aber zu selbstständig wurde, ist gestürzt. Mit einer Raffinesse, die an Sonderoperationen vom Sowjetgeheimdienst KGB in dessen Glanzzeiten erinnert, wurde Prochorow rechtzeitig vor den Wahlen ausgeschaltet.

Ein Tschekist, heißt es, bleibt immer ein Tschekist. Ironie des Schicksals: Putin beendete seine Laufbahn als Kundschafter an der unsichtbaren Front ausgerechnet dort, wo sein Vorbild Stolypin 1862 geboren wurde: in Dresden.

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