zum Hauptinhalt
Medwedjew

© AFP

Russland-Wahl: Ein Mann gewinnt Profil

Noch vor Monaten gab sich Dmitri Medwedjew als Putin light: gleiche Gestik, gleiche Mimik, gleiche Intonation. – Doch jetzt setzt der wahrscheinliche Nachfolger des russischen Präsidenten ganz eigene Zeichen.

Dmitri Medwedjew scheint mit einer Art politischem Baukasten zu arbeiten, mit einer überschaubaren Anzahl von Basiselementen, die seine Ghostwriter und die Polittechnologen im Kreml je nach Anlass und Publikum miteinander kombinieren. Ob im sibirischen Krasnojarsk, in Ufa im grünen Grasland der Baschkiren oder in Nischni Nowgorod an der Wolga – die Botschaft des Fast-schon-Präsidenten ist immer gleich: Alles wird gut, vieles besser.

Medwedjew trägt meist einen dunklen Zweireiher, Hemden, die leidlich dazu passen, dezente Krawatten und ein Gesicht, in dem selten ein Muskel zuckt. Er formuliert flüssig, schlüssig und leidenschaftslos. Mit den oft emotional aufgeladenen Verbalattacken von Nochpräsident Wladimir Putin können seine Ansprachen kaum mithalten. Putin, sagt die Fliesenlegerin Ljudmila Barabanowa, könne jeder Russe zitieren – Medwedjew dagegen, „das ist keiner von uns“.

In der Tat: Medwedjew wuchs in einer uralten Petersburger Gelehrtenfamilie heran, die auf Etikette hielt und die Sprache von Nationaldichter Puschkin pflegte. Putin wurde in der gleichen Stadt groß, aber als Proletarierkind in einer Mietskaserne. Im postkommunistischen Russland, das schnell zur Ständeordnung der Zarenzeit zurückfand, fühlen sich Aufsteiger wie Putin tief im Innersten stets als Underdog und tun sich schwer damit, Macht wieder abzugeben. Allein diese Konstellation reicht als Sprengsatz für ein Tandem, mit dem das stets autoritär regierte Russland sich auf absolutes Neuland vorwagt: Medwedjew wird Präsident, Putin Premier mit gegenwärtig noch ungeklärten Kompetenzen.

Das beginnt mit scheinbaren Petitessen: Wer hängt sich wessen Bild über den Schreibtisch? Putin Medwedjew oder Medwedjew Putin? Wer fährt zu wem zum Rapport? Das Volk kennt nur einen Zaren, und der hat die gesamte Macht, das größte Auto, den prächtigsten Landsitz und die stehend und barhäuptig zu absolvierenden Begrüßungszeremonielle – Byzantinismen, an denen Putin eisern festhielt.

Medwedjew studiert an der gleichen Fakultät wie Putin

Vor 43 Jahren in St. Petersburg geboren, studierte Medwedjew dort an der gleichen juristischen Fakultät der Staatsuniversität wie Putin. Dieser holt ihn, als Vizebürgermeister der Newa-Stadt, 1992 in den außenwirtschaftlichen Ausschuss der Stadtregierung. Medwedjew ist damals knapp 25, hat aber schon seinen Doktor gemacht. Beide mögen sich und bleiben in Kontakt, als Putin 1996 nach Moskau geht. Als Jelzin ihn 1999 als Thronfolger aus dem Hut zaubert, zieht auch Medwedjew an die Moskwa und leitet Putins Wahlkampfstab. Er wird zum Ersten Vizechef der Kreml-Administration, später Leiter des Präsidentenamtes. Geld verdient er bei Gasprom, an dem der russische Staat 51 Prozent der Anteile hält. 2002 wird er auf Vorschlag Putins Aufsichtsratsvorsitzender. Im Herbst 2005 wird er gemeinsam mit Ex-Verteidigungsminister Sergej Iwanow Vizepremier – damit gelten sie als Putins Kronprinzen, der nach der Verfassung nach zwei Legislaturperioden nicht wieder kandidieren kann. Glatter könnte eine Beamtenkarriere kaum verlaufen. Aber Beamte sind Staatsdiener, Ausführende, Taktiker. Strategische Entscheidungen und Verantwortung für die Folgen wurden von Medwedjew bisher nicht gefordert. Er gilt als guter Manager und Aktenfresser – außenpolitisch ist er ein unbeschriebenes Blatt, Tiefenkenntnis der Probleme in den Regionen geht ihm ebenfalls ab.

Dort aber liegen die Herausforderungen: Vom Kosovo über den Iran bis zur Stationierung US-amerikanischer Raketenabwehrstellungen im einstigen Ostblock – es liegen wieder Welten zwischen Moskaus und dem Westen, und das Verhältnis zu den ehemaligen Sowjetrepubliken ist extrem gespannt. Auch die allmächtigen Geheimdienste, Militär, Polizei und das Außenamt unterstehen laut Verfassung dem Präsidenten. Zu all diesen Themen lässt sich Medwedjew keine Silbe entlocken, obwohl er den Hauptteil der abendlichen Nachrichtensendungen fast allein bestreitet. Seine Mitbewerber kommen nur als komische Alte vor. In Umfragen kommt Medwedjew auf mehr als 70 Prozent Zustimmung.

Putins Hündin könne Präsidentin werden

Opposition und Bürgerrechtler, allen voran Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow und Sergej Kowaljow, der schon zu Sowjetzeiten zur Dissidentenbewegung gehört und die Wahlen als „Farce“ bezeichnet, erklären das Phänomen mit Apathie und politischer Unmündigkeit der Massen: Das Rennen mache, wen immer Putin zum Nachfolger ernenne – und sei es Conny, seine schwarze Labradorhündin.

Medwedjew sah das offenbar ähnlich illusionslos und präsentierte sich beim Wahlkampfstart als Putin light: gleiche Gestik, gleiche Mimik, gleiche Intonation. Der Medwedjew auf der Zielgeraden des Wahlkampfs ist ein anderer. Jetzt werden Ansätze einer eigenen Meinung erkennbar. In St. Petersburg setzte er die Rektorin der Staatsuniversität – eine bekennende Putinistin – ab und ernannte den liberalen Dekan der juristischen Fakultät zum Nachfolger. Auch dürfen Regimegegner am Montag nach der Wahl erstmals mit Genehmigung der Stadtregierung in der City demonstrieren. Medwedjew, sagt der Schriftsteller Viktor Jerofejew, habe prominenten Intellektuellen bei einem Treffen „im kleinsten Kreis“ mehr Freiheit versprochen. „Die Hoffnung“, sagt die junge Historikerin Irina Sjomina, „stirbt immer zuletzt“. Und Medwedjew lasse immerhin hoffen. Um innere Wirren zu beenden und äußere Bedrohungen abzuwenden, brauche Russland periodisch Rambos mit eiserner Faust: Typen wie Iwan den Schrecklichen, Stalin, Putin. Deren Nachfolger hätten die Zügel dann stets mehr oder minder wieder gelockert.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false