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Russland: Wie frei sind die Präsidentschaftswahlen?

In Moskau wurde schon am Sonntagnachmittag eine Siegesfeier für Putin vorbereitet. Die Opposition erhebt bereits am frühen Abend massive Fälschungsvorwürfe.

Am Roten Platz in Moskau wurde lange vor der Schließung der Wahllokale bereits eine Siegesfeier vorbereitet. Die kremlnahe Jugendorganisation „Naschi“ („Die Unsrigen“) will am Sonntagabend die Rückkehr Wladimir Putins ins höchste Staatsamt feiern. Denn an seinem Sieg zweifeln selbst seine erbitterten Gegner nicht. Acht Jahre lang hat Putin sein Land bereits vom Kreml aus regiert, seit 2008 vertrat ihn Dmitri Medwedew als Statthalter im Kreml, während Putin das Amt des Regierungschefs ausübte. Mit einem Wahlsieg könnte Putin für weitere sechs Jahre in den Kreml einziehen.

Doch seit der Parlamentswahl im Dezember erlebt Russland eine Protestwelle, deren Ausmaß die Machthaber selbst überraschte. Zehntausende gingen auch bei eisiger Kälte auf die Straße, um gegen Manipulationen bei der Wahl zu protestieren – viele von ihnen forderten auch ein „Russland ohne Putin“. Zugleich mobilisierte der Regierungschef seine eigenen Anhänger, die ebenfalls für ihren Kandidaten auf die Straße gingen. In dieser ungewöhnlich aufgeheizten Atmosphäre waren am Sonntag im größten Land der Welt rund 109 Millionen Menschen aufgerufen, einen neuen Präsidenten zu wählen.

Was war neu bei dieser Wahl?

Kreml und Regierung waren im Vorfeld der Wahlen heftig bemüht, Vorwürfen der Opposition wegen Fälschung der Ergebnisse bei den Parlamentswahlen durch maximale Transparenz zu begegnen. Wladimir Putin hatte dazu selbst die Aufstellung von Webcams in jedem der rund 96 000 Wahllokale landesweit angeregt, die Zentrale Wahlkommission setzte dies in rekordverdächtigem Tempo um. Fast alle Wahllokale wurden mit jeweils zwei Webcams ausgerüstet: Eine verfolgt die Ausgabe der Stimmzettel und später das Auszählen. Eine zweite hält die Stimmabgabe fest. Das Projekt, das Wladimir Putin nach den Vorwürfen im Zusammenhang mit der Parlamentswahl auf den Weg brachte , kostete den Steuerzahler rund 13 Milliarden Rubel, umgerechnet rund 25 Millionen Euro. Ein Drittel der Urnen war zudem aus Glas.

Wie verlief die Abstimmung?

Am Sonntag waren im ganzen Land rund 30 000 Wahlbeobachter allein für die russische Nichtregierungsorganisation Golos („Stimme“) unterwegs. Die von ihnen und anderen Bürgern gemeldeten Verstöße wurden auf der Webseite von Golos dokumentiert. Auch andere Organisationen sowie Oppositionsparteien schickten Freiwillige an die Wahlurnen. Wie bei früheren Abstimmungen entsandte auch die OSZE eine Gruppe von Beobachtern, die Ergebnisse werden an diesem Montag erwartet. Russische Wahlbeobachter meldeten bereits am Sonntag zahlreiche Verstöße gegen die Wahlgesetzgebung. Nach Angaben von Golos wurde im gleichen Ausmaß gefälscht wie bei den Parlamentswahlen im Dezember. Eine schon bei der Parlamentswahl an vielen Orten dokumentierte Manipulationsart ist das sogenannte „Wahlkarussell“: Mit Bussen wird eine Gruppe von Personen von einem Wahllokal zum nächsten gefahren, wo sie jedes Mal eine Stimme abgeben. Außerdem wurde von Fällen berichtet, in denen gleich mehrere Stimmzettel in die Urne geworfen wurden.

Regimekritiker befürchteten allerdings, dass viele Fälschungen nicht bei der eigentlichen Stimmabgabe passieren, sondern bei der Übermittlung der Ergebnisse. Die meisten Mitglieder der Wahlkommissionen sind Lehrer und Staatsbedienstete. Auch standen die Verwaltungschefs der Regionen offenbar unter massivem Druck. Mehrere Provinzfürsten, in deren Region die Regierungspartei „Einiges Russland“ bei den Parlamentswahlen Ergebnisse erzielte, die unter dem Landesdurchschnitt lagen, wurden in den vergangenen Wochen von Präsident Dmitri Medwedew entlassen.

Wie fair war der Wahlkampf?

Die Methoden, mit denen Druck auf die Wähler ausgeübt wird, seien in diesem Wahlkampf vorsichtiger eingesetzt worden als im Vorfeld der Parlamentswahl im Dezember, erklärte Golos in einer Bilanz vor der Abstimmung. So hätten deutlich weniger Staatsbeamte offen Werbung für Wladimir Putin gemacht. Allerdings habe es auch diesmal in den Regionen „Planvorgaben“ zur Wahlbeteiligung und zum Stimmenanteil für einen bestimmten Kandidaten gegeben.

Zudem gibt es auch subtilere Arten, Einfluss auf das Wahlergebnis zu nehmen: In vielen Betrieben wurden Wahllokale eingerichtet, der freie Sonntag einfach zum Arbeitstag erklärt. Soldaten und Milizionäre stimmen ohnehin stets geschlossen ab. Auf die Wähler werde „psychologischer Druck“ ausgeübt, sagte die Direktorin von Golos, Lilija Schibanowa. Die Angst, die noch aus sowjetischer Zeit stamme, sei zumindest bei den Älteren nach wie vor verbreitet. Oppositionelle, unabhängige Medien und Nichtregierungsorganisationen seien unter Druck gesetzt worden, kritisierten die Wahlbeobachter.

Putin habe seine Privilegien als Regierungschef für den Wahlkampf genutzt. Im Staatsfernsehen ist der Premier ohnehin weit überdurchschnittlich präsent, eine Teilnahme an Fernsehduellen lehnte er allerdings ab. Sein Wahlprogramm veröffentlichte er in einer Reihe von Aufsätzen in verschiedenen regierungsnahen Zeitungen. „In dieser Situation war es nicht möglich, einen Wahlkampf zu führen. Das ist der Wahlkampf eines einzelnen Mannes, der das Gesetz nicht einhält“, sagte Schibanowa. Die Europäische Union müsse sich die Berichte über Manipulationen genau ansehen und daraus Schlussfolgerungen über den Charakter der Präsidentenwahl ziehen, forderte die Direktorin von Golos.

Wie will die Opposition nun vorgehen?

Den Tag nach der Wahl halten viele Beobachter für bedeutsamer als den der Abstimmung selbst. Die außerparlamentarische Opposition plant für diesen Montagabend im Zentrum von Moskau eine neue große Protestkundgebung. Zugelassen sind 10 000 Teilnehmer.

Die Verhandlungen dazu mit der Stadtregierung gestalteten sich extrem schwierig. Auch ist der Tonfall auf beiden Seiten in den vergangenen Tagen erheblich eskaliert. Russlands Oberster Wahlleiter Wladimir Tschurow, dessen Absetzung zu den Kernforderungen der Proteste gehören, drohte mit „sanftem Druck“, falls Beobachter den Wahlverlauf stören. Und Putin argwöhnte öffentlich, die Opposition wolle offenbar ein rituelles Opfer in Gestalt eines prominenten Politikers aus ihren Reihen, um einen plausiblen Anlass für die Anwendung von Gewalt zu haben.

Moskaus Polizeichef Wladimir Kolokolzew warnte die Opposition vor Gewalt: Wer eine Kraftprobe mit den Ordnungskräften suche, werde sie bekommen. Zehntausende Beamte – darunter auch Hilfstruppen aus anderen Regionen – würden allein in Moskau während und nach den Wahlen für Ordnung sorgen.

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