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Politik: „Russland will uns schlucken“

Putin schlägt eine Vereinigung mit Weißrussland vor – der Opposition in Minsk und Lukaschenko geht das zu weit

Von Elke Windisch, Moskau

Erst sprachen russische Medien von einer Sensation, wenige Stunden später von einem Skandal. Akteure sind zwei Präsidenten: der Russe Wladimir Putin und der Weißrusse Alexander Lukaschenko. Weltbewegendes würde nicht geschehen, hatten beide vor ihrem Arbeitstreffen verkündet. Wieder einmal sollte es um den schon 1997 von Boris Jelzin ausgehandelten russisch-weißrussischen Unionsstaat gehen, der bislang nur aus der Geldvernichtungsmaschine in Form eines Rates besteht. Doch schon beim Protokolltermin für die Bildreporter ging der Herr des Kremls zur Attacke über: Die gegenwärtige Stagnation im bilateralen Verhältnis könnte am besten durch ein Referendum überwunden werden, bei dem die Bürger beider Staaten schon im nächsten Mai über die definitive Fusion der beiden Slawenstaaten abstimmen. Wichtigste Frage: Sind Sie damit einverstanden, dass für den Einheitsstaat die Verfassung der Russischen Föderation gilt? Im Klartext: Statt Vereinigung Bei- tritt des kleineren Partners.

Weißrusslands Verfassung, so bescheinigte Putin dem bekennenden Hitler-Verehrer Lukaschenko, der Opposition und kritische Medien brutal verfolgt, sei indes beispielgebend, weil die eines demokratischen Staates. Konsequenzen eben dieser Beispielwirkung fürchten russische Bürgerrechtler.

Putin indes begründete Ambitionen, den slawischen Bruderstaat einfach zu schlucken, mit staatsrechtlichen Argumenten: Weißrussland sei ein Einheits-, Russland dagegen ein Bundesstaat aus 89 Regionen, dem sieben weißrussische nach der Fusion als Föderationssubjekte gleichgestellt würden.

Schon im Mai kommenden Jahres, so Putin weiter, sollten die Bürger beider Staaten in einem Volksentscheid darüber abstimmen, im Dezember ein gemeinsames Parlament und im März 2004 ein gemeinsames Staatsoberhaupt wählen. Beide Termine hatte Moskaus Zentrale Wahlkommission ohnehin für eigene Wahlen geplant.

Das und die Vorverlegung der für 2005 geplanten Währungsunion werten Beobachter denn auch als Frühstart im Moskauer Wahlkampf. Ein slawischer Bund ist beim russischen Wahlvolk durchaus populär. Der Traum von neuer imperialer Größe verstellt jedoch den Blick für die wirtschaftlichen Risiken des Unterfangens: Minsk hinkt Moskau bei marktwirtschaftlichen Reformen um Jahre hinterher, der russische Rubel hätte für Minsk die gleichen Konsequenzen wie 1990 die Währungsunion für die DDR-Wirtschaft hatte.

Lukaschenko nickte Putins Vorschläge im Kreml zwar ab, bezeichnet sie aber inzwischen als unannehmbar. Doch es gibt generell noch Vorbehalte, die Putin zum Nachverhandeln zwingen: vor allem wegen der Ostsee-Exklave Kaliningrad, die vom Mutterland nicht nur durch die EU-Beitrittskandidaten Polen und Litauen, sondern auch durch Weißrussland getrennt ist. Zudem könnte nach Lukaschenko, der sich in zwei Jahren der Wiederwahl stellen muss, eine Regierung ans Ruder kommen, die sich um Integration mit dem Westen bemüht.

Die Opposition in Minsk protestierte indes gegen einen Zusammenschluss mit Moskau. „Das ist eine unschöne Politik Russlands. Sie lässt sich nur mit einem Präsidenten wie Lukaschenko durchführen, der gegen die Interessen Weißrusslands arbeitet“, sagte der ehemalige Staatschef Stanislaw Schuschkjewitsch nach Angaben der Agentur Interfax. „Faktisch will Russland Weißrussland schlucken“, kritisierte er. Sollte die weißrussische Führung den Vorschlag Russlands ablehnen, sei ihr der volle Rückhalt vieler Oppositionsparteien sicher, betonte der Vorsitzende der Liberaldemokratischen Partei Weißrusslands, Sergej Gajdukjewitsch.

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