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Wladimir Putin.

© AFP

Russland: Worte statt Wasser

In der Feuerkatastrophe erweist sich der russische Staat als überfordert – hunderte Dörfer sind bereits niedergebrannt. Premier Putin muss sich als Manager in der Krise beweisen.

Seine gefürchteten verbalen Derbheiten, sonst Markenzeichen von Russlands starkem Mann, verkniff sich Wladimir Putin, als er am Freitag in der Wolgaregion Nischni Nowgorod die lokalen Verwaltungschefs wegen ihres Versagens bei der Waldbrandkatastrophe – der schlimmsten seit Beginn der meteorologischen Aufzeichnungen vor 130 Jahren – vor laufender Kamera niedermachte. Militärisch kurz legte er ihnen dafür den Rücktritt nahe. Ein Landrat zog bereits die Konsequenz, muss vorerst jedoch weitermachen: Das Kreisparlament kann den Rücktritt nicht entgegennehmen. Alle Abgeordneten wurden zum Einsatz bei der Brandbekämpfung verdonnert.

Insgesamt 180 000 Mann – Katastrophenschützer und andere Paramilitärs, Berufsfeuerwehr und deren freiwillige Helfer sowie ganze Einheiten der regulären Armee – versuchen derzeit, den Feuersturm zu bändigen, der seit Tagen über Zentralrussland hinwegrast. Bis Dienstagmittag kamen 41 Menschen in den Flammen um. Hunderte liegen mit Verbrennungen und Rauchvergiftungen in den Krankenhäusern, 350 Dörfer sind bereits niedergebrannt, über 2500 Familien obdachlos. Insgesamt wurden rund 560 000 Hektar Wald und fast tausend Hektar Torfmoor vom Feuer erfasst, vor allem rund um Moskau. Zu den bereits lokalisierten und teilweise sogar gelöschten Brandherden – einige Nachrichtenagenturen jonglierten mit Zahlen von weit über tausend – kamen allein in der Nacht zum Montag knapp 800 neue hinzu.

Besonders dramatisch ist die Lage südöstlich von Moskau. In den Regionen Tula, Woronesch, Wladimir, Jaroslawl, Rjasan und Nischni Nowgorod. Dort nähert sich das Feuer inzwischen sogar der Atomwaffenschmiede Sarow, zu Sowjetzeiten Arsamas-16. Dort entstand nach dem Zweiten Weltkrieg ein geheimes Institut für Kernphysik, wo Stalin unter Leitung des späteren Dissidenten und Friedensnobelpreisträgers Andrei Sacharow die ersten sowjetischen Atombomben bauen ließ.

Das Ausmaß der Katastrophe sei noch weit schlimmer als staatstreue Medien zugeben. Sagen jedenfalls Umweltschützer, allen voran Greenpeace, dessen Aktivisten im Juli vergeblich um Staatsmittel für Sommerlager baten, in denen Jugendliche die Verhütung und Bekämpfung von Waldbränden mit einfachen Mitteln lernen sollten. Von kritischen Experten und unabhängigen Medien müssen Kreml und Regierung sich zudem Chaos bei Lösch- und Rettungsarbeiten, mangelnde Koordination und logistische Fehlleistungen vorhalten lassen.

Eine Online-Zeitung, die Einwohner des niedergebrannten Dorfes Werchnjaja Wereja bei Nischni interviewte, berichtet, die Dörfler seien nicht benachrichtigt und von der heranrückenden Feuerwand überrascht worden. Drei Tage hätten sie mit Schaufeln und Eimern gegen die Flammen gekämpft, auf ihre Hilferufe per SMS hätte man ihnen statt Technik lediglich Essen versprochen, und nicht einmal das sei geliefert worden. Die Evakuierung, von der im Staatsfernsehen die Rede war, sei faktisch eine panische Flucht vor dem Feuer gewesen, das die Siedlung in weniger als zwanzig Minuten dem Erdboden gleichgemacht habe. Auch habe das Staatsfernsehen Putins Begegnung mit den Opfern in einem zum Notfallcamp umfunktionierten Ferienlager so zurechtgeschnitten, dass Wutausbrüche der Abgebrannten und deren Kritik am Versagen des Staates dabei außen vor blieben.

Zu den selbst verschuldeten kommen allerdings auch objektive Probleme. Durch den Qualm ist die Sicht eingeschränkt, Löschflugzeuge bleiben daher meist am Boden. Auch sind viele Fernverkehrsstraßen wegen des Feuers gesperrt. Schwere Technik rückt daher oft mit großer Verspätung an oder kann gar nicht erst in Marsch gesetzt werden. Und in viele Walddörfer führt bis heute nicht einmal eine asphaltierte Straße.

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