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Russlandbesuch: Wulff und Medwedew: Liebe auf den ersten Blick

Die Präsidenten Wulff und Medwedew scheinen sich gut zu verstehen – und besprechen sensible Themen.

Ein „ganz besonderer“ Besuch, eine „Atmosphäre gegenseitigen Vertrauens“ – als Russlands Staatspräsident Dmitri Medwedew am Dienstagnachmittag mit seinem deutschen Gast, Bundespräsident Christian Wulff, vor die Presse trat, reizte er ganz gegen seine Gewohnheit das Nettigkeitspotenzial der russischen Sprache restlos aus. Wulff verharrte zwar in etwas steifer Haltung, blieb dem Gastgeber rhetorisch jedoch nichts schuldig. Dank für den herzlichen Empfang für ihn und Ehefrau Bettina folgten Komplimente für die „legendäre Gastfreundschaft“ der Russen: ein Geschenk, das Deutschland angesichts der Leiden durch Hitlers Überfall auf die Sowjetunion besonders zu schätzen wisse. Mehr noch: „Unsere gegenseitige Sympathie und unser Interesse aneinander“, sagte Wulff gleich zu Beginn seines Vier-Augen-Gesprächs mit dem Kremlchef im Roten Salon, „bestätigen, wie nahe unsere Völker einander sind“.

Die Chemie zwischen beiden Präsidenten stimmt also. Und das erklärt man sich in Russland vor allem damit, dass Medwedew und Wulff der gleichen Generation angehören. Andererseits, ätzten russische Deutschlandexperten, wolle der Bundespräsident wohl den zuweilen mit seinem Amt überforderten deutschen Außenminister entlasten.

Neben der Vertiefung der Zusammenarbeit auf humanitärem und kulturellem Gebiet ging es nämlich beim Treffen der beiden Präsidenten auch um hohe Politik. Um internationale Probleme, Moskaus Verhältnis zur Europäischen Union und zur Nato und vor allem um Russlands Modernisierungspläne, bei denen Medwedew Deutschland als Schlüsselpartner sieht.

Nach dem Einbruch infolge der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise, so der Kremlchef, hätten sich in diesem Jahr nicht nur der gegenseitige Warenaustausch, sondern auch die Investitionen um 40 Prozent erhöht. Und dies in beide Richtungen. Nie seien die Zeiten für neue Projekte daher günstiger gewesen als gerade jetzt. Vorrang hätten dabei energieeffiziente Technologien. In Deutschland konzipierte Sparmodelle für ganze Städte würden gegenwärtig als Pilotprojekt erprobt, sagte der russische Staatspräsident. Unter anderem in Uljanowsk, dem 700 Kilometer östlich von Moskau gelegenen Geburtsort Lenins, wo Wulff am Donnerstag eintrifft.

Auch die „weitere Entwicklung der menschlichen Komponente“, so Medwedew, habe große Bedeutung für die bilateralen Beziehungen. Dazu zähle auch die Arbeit zivilgesellschaftlicher Gruppen. Der Bundespräsident hatte die Behinderung von Nichtregierungsorganisationen durch russische Behörden offenbar angesprochen und war damit der Aufforderung mehrerer Organisationen nachgekommen. Allerdings löste die Moskauer Polizei auch am Dienstag wieder gewaltsam eine friedliche, aber nicht genehmigte Demonstration von Regierungsgegnern auf, mindestens 30 Menschen wurden festgenommen.

Gesprochen wurde auch über Visafreiheit zwischen Russland und der EU. Er, so Wulff, würde das begrüßen, im Gegenzug müsste Moskau EU-Bürgern jedoch mehr Freizügigkeit der Bewegung in Russland einräumen. Lettlands Botschafter in Moskau hatte das Prozedere für die obligatorische Registrierung von Ausländern in Russland kürzlich als „entwürdigend“ kritisiert.

Auch für seinen schon kurz nach Amtsantritt im Mai 2008 vorgelegten Entwurf eines Europäischen Sicherheitsvertrages fand Medwedew bei Wulff offene Ohren: Die Nato müsse Russlands spezifische Interessen berücksichtigen. Medwedew verfolgt mit dem Projekt die Absicht, der Nato eine Rolle als eine von vielen Organisationen für Sicherheit und Stabilität in Europa zuzuweisen. Gebraucht wird aus seiner Sicht eine Plattform, die Nato, OSZE und die „Organisation des Vertrags für kollektive Sicherheit“ – das Verteidigungsbündnis der UdSSR-Nachfolgegemeinschaft GUS – in die Lage versetzt, sich auf gemeinsame Positionen zu verständigen.

Gestern Nachmittag traf Wulff Medwedews Vorgänger im Amt, Premier Wladimir Putin, am heutigen Mittwoch steht unter anderem eine Begegnung mit Patriarch Kyrill, dem Oberhaupt der russisch-Orthodoxen Kirche, auf dem Programm, dann besucht er die Städte Twer, St. Petersburg und Uljanowsk.

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