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Ulrich

© dpa

Saar-Grüne: Die Vertrauensfrage

"Verräter" schimpfen sie Hubert Ulrich, "Mafioso". Weil der Grüne an der Saar jetzt Jamaika macht. Hat er die Sozialdemokraten gelinkt? Nein, sagt er, ich bin mit mir im Reinen.

Wenn man den Sozialdemokraten Heiko Maas richtig verstanden hat, dann nimmt an diesem Abend beim Italiener in Saarlouis ein Verräter Platz, kalt, berechnend und feige bis ins Mark. Glaubt man dem Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit, dann gilt es in den nächsten zwei Stunden, schwer auf der Hut zu sein, um sich beim Gespräch nicht einwickeln zu lassen von einem, der mindestens eine „zweifelhafte Persönlichkeit“, wenn nicht gar ein „Mafioso“ ist.

Hubert Ulrich bestellt Pizza „Vier Jahreszeiten“ und eine kleine Apfelsaftschorle. Er ist ohne Personenschutz gekommen. Das ist keine Selbstverständlichkeit mehr, seit der Landes- und Fraktionschef der Grünen vor acht Tagen dafür gesorgt hat, dass das Saarland in Zukunft von der bundesweit ersten Jamaika-Koalition anstatt von Rot-Rot-Grün regiert wird. In der Geschäftsstelle der Partei und in der Fraktion sind danach Morddrohungen eingegangen.

Ulrich, 51 Jahre alt, gelernter Werkzeugmacher, Wirtschaftsingenieur und vierfacher Familienvater, hat mit seiner Entscheidung für den CDU-Ministerpräsidenten Peter Müller und gegen den SPD-Mann Heiko Maas die politischen Koordinaten der Republik verschoben. Manche bei den Grünen und viele bei SPD und Linkspartei sehen darin eine Schandtat. Ulrich beteuert, er habe keine andere Wahl gehabt: „Ich habe einen notwendigen Schritt getan.“

Kann man ihm das abnehmen?

Die Frage stellt sich auch deshalb, weil in diesen Tagen viele Geschichten über Hubert Ulrich im Umlauf sind. Geschichten, die im Saarland so oder ähnlich seit Jahren erzählt werden und mit denen sich jetzt Politik machen lässt. Im Kern geht es um den Vorwurf, Ulrich habe sich Anfang der 90er Jahre mit fingierten Parteimitgliedschaften in seinem Heimatverband Saarlouis die Macht über den Landesverband der Grünen verschafft. Bewiesen wurde dieser Verdacht trotz mehrfacher Überprüfungen nie. Aber er wird derzeit wieder eifrig ins Gespräch gebracht. Von innerparteilichen Gegnern wie Daniel Cohn-Bendit – und von enttäuschten Genossen.

Heiko Maas atmet tief durch. Er steht am offenen Fenster seines Büros im zweiten Stock des Saarländischen Landtages. Es ist der Mittwoch vergangener Woche, drei Tage nachdem Ulrich auf dem Parteitag der Saar-Grünen den Traum des Sozialdemokraten vom Ministerpräsidentenamt zunichte gemacht hat – womöglich für immer. „Das ist, wie wenn der Ball schon auf dem Elfmeterpunkt liegt, man anläuft und plötzlich der Schiri das Spiel abpfeift“, sagt Maas.

Draußen ist es schon winterkalt, aber Maas braucht jetzt dringend frische Luft. Ulrich war gerade da, um zu erklären, was Maas nicht verstehen kann. Über eine halbe Stunde hat das Gespräch gedauert. Ulrich hat unter anderem versichert, dass ihm die Entscheidung sehr schwer gefallen sei. Maas hat Ulrich reden lassen, ihm aber kein Wort geglaubt. Er ist auch nicht laut geworden, als er am Ende mit dem Grünen gebrochen hat. „Wenn man laut wird, dann ist ja noch irgendwas da“, sagt Maas nach der Auseinandersetzung. „Aber da ist nichts mehr.“

Was einmal war, beschreibt Maas als „freundschaftliches Verhältnis“ zweier professioneller Politiker: „Wir haben Respekt voreinander gehabt.“ Manchmal trafen sich die Familien Maas und Ulrich zum Essen. Es gab einen „engen Draht“, sagt der Sozialdemokrat. Er dachte, es sei klar, dass er und Ulrich einmal „eine Koalition machen, wenn es reicht“. Nun sieht sich Heiko Maas arglistig getäuscht.

Mit der Empörung des Betrogenen berichtet er von etlichen Anrufen Ulrichs kurz vor der Wahl. Die Grünen mussten damals um den Einzug in den Landtag zittern, Ulrich habe in diesen Tagen bei ihm und anderen SPD-Leuten „um Leihstimmen gebettelt“. Maas erinnert sich, gesagt zu haben: „In Ordnung Hubert, ich mach das. Aber ich sammle keine Stimmen, damit Müller doch Ministerpräsident wird.“ Auf der Abschlusskundgebung seiner Partei erklärte Maas dann, die Grünen würden für den Wechsel im Saarland gebraucht. Am Wahlabend kam Ulrichs Truppe auf 5,9 Prozent.

Haben Sie Heiko Maas gelinkt, Herr Ulrich, hatten Sie von Anfang an Jamaika im Sinn?

Hubert Ulrich legt Messer und Gabel beiseite. Er ist ein großer Mann mit riesenhaften Händen. Schon als Junge nannten sie ihn wegen seiner hünenhaften Gestalt „Panzer“, als junger Mann spielte er bei den „Saarlouis Wölfen“ American Football. Jetzt malträtiert er mit seinem Zeigefinger die Tischplatte. „Das ist ein riesengroßer Quatsch. Es gab von mir nie eine Zusage an Heiko Maas für Rot-Rot-Grün.“ Und die Leihstimmen? „Die hat mir Maas angeboten. Ich habe nicht Nein gesagt, aber ich habe nie darum gebeten.“

Tatsache ist, dass Ulrich im Wahlkampf weder eine Koalition mit SPD und Linkspartei noch ein Jamaika-Bündnis mit CDU und FDP ausgeschlossen hatte. Stattdessen sprach er sich für Heiko Maas als Ministerpräsidenten einer Ampelkoalition von SPD, Grünen und FDP aus – eine von vornherein wenig realistische Variante. Sie diente Ulrich vor allem dazu, nicht bindende Bekenntnisse zugunsten von Heiko Maas abzulegen. Auf diese Weise hielt er rot-grüne Wechselwähler bei der Stange, ohne die Tür zu Peter Müller zuzuschlagen. Man kann das prinzipienlos nennen. Oder geschickt.

Beim Italiener in der Altstadt von Saarlouis streut Ulrich großzügig Chili-Flocken über seine Pizza. Er sagt, er sei völlig mit sich im Reinen. „Kein Gramm Ypsilanti“ stecke in der Entscheidung für die Jamaika-Koalition, von Verrat könne keine Rede sein. Wieder stößt sein Zeigefinger auf die Tischplatte ein. Dass er schon vor der Wahl zum Bündnis mit Union und Liberalen entschlossen gewesen sei und die sechswöchigen Sondierungsgespräche mit SPD und Linkspartei nur zum Schein geführt habe – „Quatsch, alles Quatsch“. Überhaupt trage ein anderer die Verantwortung für Schwarz- Gelb-Grün an der Saar: „Der Vater von Jamaika heißt nicht Hubert Ulrich, sondern Oskar Lafontaine“, sagt Hubert Ulrich.

Wahrscheinlich ist es aber so, dass der Vater von Jamaika Andreas Pollak heißt.

Man muss einen Ausflug in Hubert Ulrichs Vergangenheit unternehmen, um das zu verstehen. 1999 sitzen drei Grünen-Abgeordnete im Saarbrücker Landtag: Ulrich, Gabriele Bozok und Andreas Pollak. Zu Anfang der Wahlperiode 1994 sind Ulrich und Pollak noch enge Weggefährten. Da weiß Ulrich noch nicht, dass sein Freund Pollak wegen Betrugs jahrelang im Gefängnis gesessen hat. Als obendrein bekannt wird, dass Pollak in einem Baumarkt drei Badematten nicht bezahlt hat, kommt es zum Zerwürfnis. 1999 gerät Ulrich dann selbst unter erheblichen Druck. Er soll mit Behördenrabatt bei Ford günstig Autos gekauft und mit Gewinn wieder veräußert haben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt eineinhalb Jahre wegen Betrugs, bevor das Verfahren eingestellt wird. Damalige Vertraute berichten, Ulrich habe seinerzeit Pollak für die Vorwürfe gegen ihn verantwortlich gemacht. Es sei für Ulrich „eine traumatische Erfahrung“ gewesen, dass Pollak es fast geschafft hätte, seine politische Karriere zu zerstören.

Zehn Jahre später, nach der Saarlandwahl 2009, muss Ulrich befürchten, erneut in Abhängigkeit von Pollak zu geraten. Für die Linkspartei ziehen Ralf Georgi und die Ex-Grüne Barbara Spaniol in den Landtag ein. Georgi ist ein Mitarbeiter Pollaks, Spaniol Pollaks Ehefrau. Ulrich verlangt von Lafontaine öffentlich, „das Problem“ zu lösen. Der verspricht intern, sich später darum zu kümmern, doch das genügt Ulrich nicht. „Das Vertrauen habe ich nicht gehabt“, sagt er beim Italiener. „Lafontaine hätte vor der Parteitagsentscheidung der Grünen mindestens einen von beiden wegkriegen müssen. Dann hätte Rot-Rot-Grün eine stabile Mehrheit gehabt.“

Bei der SPD halten sie das für einen Vorwand. Für Heiko Maas und seine Genossen hat sich Ulrich als politischer Hütchenspieler erwiesen, dem es das Handwerk zu legen gilt. Ulrich sagt: „Maas braucht einen Schuldigen, und das bin ich.“ Von seiner Pizza ist jetzt nichts mehr übrig, das Gespräch steuert auf sein Ende zu. Warum nennt Daniel Cohn-Bendit Sie einen Mafioso, Herr Ulrich? „Da lach’ ich drüber“, sagt Hubert Ulrich. Aber er lacht nicht. Er weiß, die Geschichte von den fingierten Mitgliedschaften wird er nicht mehr los, auch wenn er noch so viele plausible Erklärungen anbieten kann.

Mafioso? Politischer Trickbetrüger? Nach dem Essen zeigt Hubert Ulrich auf dem Weg zum Bahnhof die Mietskaserne, in der er seine Kindheit verbracht hat, ein Ort, den man heute „sozialer Brennpunkt“ nennen würde. „Geld war nie da, sagt Ulrich. „Aber ich hab’ mich nie gefühlt wie jemand, dem irgendwas fehlt.“

Ein früherer Weggefährte von den Grünen führt Ulrichs Politikstil dennoch auf dessen Herkunft zurück. „Er hat die Power von Leuten, die ganz unten anfangen und nach oben müssen. Er kann sich ganz und gar auf einen Ziel konzentrieren. Und er hat keinerlei Skrupel, sich durchzusetzen.“ Im Grund mache Hubert Ulrich Politik wie einst Helmut Kohl: „Er baut auf persönliche Beziehungen und Loyalitäten anstatt auf Argumente.“ Auf diese Weise lasse sich auch die fast 80-prozentige Zustimmung zu Jamaika auf dem Grünen-Parteitag erklären. „Das ist nicht die politische Kultur, die ich mir wünsche“, sagt der ehemalige Mitarbeiter von Ulrich. „Aber es ist keine illegitime Art von Politik.“

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