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Sachsen-Anhalt: Wieder gravierende Polizeipannen in Halberstadt

Im Juni 2007 ließen Beamte bei dem rechtsextremen Angriff auf Theaterschauspieler mutmaßliche Täter entkommen. Jetzt steht die Polizei in Halberstadt erneut in der Kritik. Bei Ermittlungen zu einer ähnlichen Straftat kam es wieder zu schwerwiegenden Pannen.

Von Frank Jansen

Es klingt nach einem besonders üblen Déjà-vu-Erlebnis: Im Juni 2007 zog die Polizei in Halberstadt (Sachsen-Anhalt) bundesweit Empörung auf sich, als sie rechtsextreme Schläger nach einem Überfall auf Theaterschauspieler entkommen ließ. Jetzt werden in einem ähnlich brutalen Fall wieder Pannen bekannt. Bei den Ermittlungen zu einem Angriff einer Frau und zweier Männer auf eine 19-Jährige in einem Halberstädter Park haben Beamte Fehler gemacht. Nach Informationen des Tagesspiegels trifft zumindest ein Teil der Vorwürfe zu, die von der Mobilen Beratung für Opfer rechter Gewalt in Sachsen-Anhalt gegen die Polizei in Halberstadt erhoben werden.

Am 21. Dezember 2007 griffen Antje W. (22), Patrick P. (25) und David S. (28) die junge Frau an. Antje W., früher schon mit einer rechtsextremen Straftat aufgefallen, hielt die 19-Jährige für eine Linke und schlug massiv zu. Die Komplizen halfen. Das Opfer erlitt so schwere Kopfverletzungen, dass die linke Gesichtshälfte teilweise taub ist und das Auge möglicherweise erblindet.

Polizei hatte nicht korrekt über die Rechte belehrt

Die Polizei nahm die drei Angreifer rasch fest und filmte sie im Gewahrsam, um das "Nachtat-Verhalten“ zu dokumentieren. Das 35 Minuten lange Video mit Aussagen von Antje W. und Bildern von Blutspuren an ihren Händen und Turnschuhen leitete die Polizei jedoch erst nach dem Start des Prozesses gegen die drei Angreifer dem Amtsgericht Halberstadt zu. Die Hauptverhandlung hatte Ende März begonnen, sie musste Anfang April wegen des plötzlich aufgetauchten Videos unterbrochen werden. Und dann stellte das Gericht fest, der Film sei nicht in der Beweisaufnahme zu verwerten, da die Polizei vor Drehbeginn Antje W. nicht korrekt über ihre Rechte belehrt hatte.

Außerdem sagte im Prozess ein Polizist aus, er habe nach der Abgabe einer Ermittlungsakte an die Staatsanwaltschaft noch einen Angeklagten vernommen. Die Staatsanwaltschaft hatte aber die Ermittlungen bereits abgeschlossen und erfuhr nichts. Dem Gericht lag dann nur die unvollständige Originalakte vor.

Justizkreise bestätigten am Donnerstag dem Tagesspiegel, dass diese Vorwürfe der Mobilen Opferberatung, die den Prozess beobachtet hatte, zutreffen. In der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Nord, für Halberstadt zuständig, hieß es allerdings, die Behördenleitung habe erst jetzt von den Vorgängen erfahren, die nun geprüft würden. Später wies die Direktion alle Vorwürfe zurück. Das Innenministerium des Landes teilte mit, die Ermittlungstätigkeit der Polizei in diesem Verfahren sei kein Gegenstand interner Untersuchungen.

"Nachholbedarf an Professionalität“

Bei der Mobilen Opferberatung schütteln sie den Kopf. "Wir sind bestürzt, dass alle Ankündigungen, die Polizeiarbeit in Halberstadt nach dem Angriff auf die Schauspieler zu verbessern, sich in der Realität nicht widerspiegeln", sagte eine Sprecherin. Es gebe offenbar weiter "Nachholbedarf an Professionalität“.

Die Linksfraktion im Landtag hält den neuen Halberstadt-Fall für so gravierend, "dass sich der Untersuchungsausschuss zur Polizeiaffäre damit befassen müsste“, wie der Vizevorsitzende des Gremiums, Guido Henke, meint. Auf der Agenda des Ausschusses steht bereits der Skandal der Versäumnisse der Polizei nach dem Angriff auf die Schauspieler.

Das Amtsgericht Halberstadt verkündete am Donnerstag das Urteil gegen die drei Angeklagten. Antje W. bekam dreieinhalb Jahre Haft, Patrick P. zwei und David S. muss anderthalb Jahre hinter Gitter. Das Opfer erhält von den Angeklagten 6300 Euro Schmerzensgeld. Die Polizeipannen waren im Urteil kaum ein Thema.

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