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Am Ortseingang von Clausnitz (Sachsen) befindet sich die Flüchtlingsunterkunft.

© dpa

Sachsen und die Flüchtlinge: Rassistische Ressentiments wurden zu lange kleingeredet

Mit vielen fremdenfeindlichen Übergriffen ist Sachsen zum Synonym für rechten Grusel geworden. Das liegt an fatalen Versäumnissen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Frank Jansen

Immer wieder Sachsen. Von den rassistischen Krawallen in Hoyerswerda 1991 bis zur Pöbelattacke gegen Flüchtlinge in Clausnitz und dem von Gaffern beklatschten Brandanschlag in Bautzen reicht die Tradition rechter Schändlichkeiten. Doch es sind nicht nur die vielen einschlägigen Straftaten seit der Wiedervereinigung, die verstören. Die NPD kam 2004 mit 9,2 Prozent in den Landtag. Auch wenn die rechtsextreme Partei zehn Jahre später das Parlament verlassen musste, kommt sie in Sachsen bei Umfragen nun wieder auf fünf Prozent – so viel wie in keinem anderen Land.

Und unablässig rumort die Dresdner Pegida, die Mutter der rechtspopulistischen Gida-Bewegung. Und die sächsische AfD hat Deutschland Frauke Petry beschert, die mit ihrer Bemerkung zu Waffengewalt gegen Flüchtlinge Schmerzgrenzen testete. Sachsen wird zum Synonym für Grusel.

Wie konnte es so weit kommen? Dresden ist das „Elbflorenz“ mit dem Juwel der wiederaufgebauten Frauenkirche, Leipzig die „Heldenstadt“ der Montagsdemonstrationen gegen das SED-Regime. Es tut weh mitanzusehen, wie sich das Ansehen des Freistaats verdunkelt. Bei Dresden fallen einem heute als Erstes die penetranten Aufläufe der Pegida ein. In den letzten großen Schlagzeilen zu Leipzig ging es um schwere Krawalle rechter und auch linker Extremisten. Und die bräunlichen Horrorgeschichten aus der Provinz machen alles noch schlimmer. Außerdem irritiert der unsensible Einsatz der Polizei in Clausnitz. Aber auch die brachiale verbale Reaktion von Ministerpräsident Stanislaw Tillich auf die Vorfälle der vergangenen Tage. Flüchtlingsfeinden das Menschsein abzusprechen, zeugt von Hilflosigkeit.

Kein Konzept

Sachsen kann auch anders. Das Ritual der Aufmärsche tausender Neonazis in Dresden zum Jahrestag der Bombardierung wurde vor allem dank zivilen Widerstands gestoppt. Es wäre zudem nicht fair, den Hass auf Flüchtlinge nur mit Sachsen zu identifizieren. Andere Länder werden ebenfalls hart getroffen, auch im Westen. Doch der Freistaat steht, gemessen an der Zahl seiner Einwohner, bei Angriffen auf Unterkünfte von Asylbewerbern weit oben. Sachsen zeigt nahezu exemplarisch, wie zwei historisch anmutende Versäumnisse der Politik sich wechselseitig verstärken. Mit fataler Wirkung.

Bis heute ist kein Konzept zu erkennen, wie der Zuzug von Flüchtlingen zu bewältigen wäre. Das ist natürlich primär ein Versäumnis der Bundesregierung. Doch in Sachsen trifft es auf ein Defizit, für das vor allem die seit 1990 amtierenden Landesregierungen verantwortlich sind.

Lange wurden rassistische Ressentiments kleingeredet. Ministerpräsident Kurt Biedenkopf behauptete im Jahr 2000, seine Sachsen seien immun gegen Rechtsextremismus. Im selben Jahr gab Brandenburgs Regierungschef Manfred Stolpe zu, er habe Fremdenfeindlichkeit nicht wahrhaben wollen. Immerhin. Früher als in Sachsen begann in Brandenburg nachhaltiges Engagement. Es gibt Rückschläge, aber die NPD stagniert hier seit Jahren bei ungefähr zwei Prozent.

Was müsste im Freistaat geschehen? Tillich könnte nach Clausnitz und Bautzen fahren, um der Bevölkerung ins Gewissen zu reden. Regierung und demokratische Parteien könnten sich stärker für Empathie gegenüber „Fremden“ einsetzen. Gerade auch in kleineren Orten. Und Sachsen könnte die Auseinandersetzung mit Extremismus in den Schulunterricht einführen. Obligatorisch an allen Lehranstalten. Der Freistaat wäre dann sogar Vorreiter in Deutschland.

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