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Politik: Sachsens Ministerpräsident hat Erinnerungslücken

Stanislaw Tillich soll Details über seine Ost-CDU-Vergangenheit verschwiegen haben / Eppelmann: „Nicht in den Kühlschrank stellen“

Von Matthias Schlegel

Berlin - Eine Woche vor dem CDU-Bundesparteitag, der sich auch mit der DDR- Vergangenheit und den Perspektiven Ostdeutschlands befassen wird, kursieren neue Details über die Biografie des sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich. Der Christdemokrat, der auf seiner Homepage schreibt, seiner Arbeit in einem Elektronikunternehmen habe sich zu DDR-Zeiten eine „Tätigkeit in der Kreisverwaltung Kamenz“ angeschlossen, geht mit diesem Teil seiner Vita eher oberflächlich um: Nicht erwähnt wird, dass er von Mai 1989 bis November 1989 als Mitglied des Rates des Kreises ein Funktionär auf der mittleren staatlichen Ebene war. Er saß damit auf einem jener raren Nomenklaturposten, die die SED den Blockparteien im Staatsapparat reservierte. In der Regel waren das freilich Führungsämter in relativ einflussarmen Ressorts – neben Handel und Versorgung auch Wohnungswesen oder Umwelt.

Nun schreibt der „Spiegel“, ein Dokument belege, dass Tillich von Januar bis März 1989 einen Lehrgang an der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft in Potsdam, einer Kaderschmiede für Staatsfunktionäre, belegt habe. Im Grunde genommen ist auch das kein sensationeller Befund, schließlich kann man voraussetzen, dass Leute ohne Verwaltungserfahrung vor Antritt eines Ratspostens auf Linie gebracht wurden. Peinlich für Tillich ist ein anderer Umstand: Noch vor wenigen Monaten teilte das Büro des Ministerpräsidenten einem nach diesem Sachverhalt fragenden Bürger mit: „Ob Herr Tillich an Veranstaltungen der Akademie (...) teilgenommen hat, ist ihm nicht mehr erinnerlich. Er kann aufgrund seiner Erinnerung diese Frage weder abschließend bejahen noch verneinen.“ Hat jemand, der es bis zum Ministerpräsidenten gebracht hat, tatsächlich keine Erinnerung mehr an eine dreimonatige Weiterbildung fernab der sorbischen Heimat? Wird die staatsnahe Qualifizierung als Makel empfunden und verdrängt?

In einem anderen Punkt korrigiert Tillichs Büro den anfragenden Bürger: Tillich sei 1987 nicht in die CDU eingetreten, um in deren Auftrag Ratsmitglied werden zu können. CDU-Mitglied geworden sei Tillich „allein aus dem Grund, weil er im Betrieb (...) immer wieder in die SED geworben wurde“.

Das ist ein gern gebrauchtes Argument der als Blockflöten gescholtenen ehemaligen Ost-CDU-Mitglieder, wenn sie zu den Gründen ihres damaligen parteipolitischen Engagements befragt werden. Tillich ist kein Einzelfall. Etliche Minister in Ost-Landesregierungen und zahlreiche Abgeordnete sehen sich auch fast 20 Jahre nach dem Ende der DDR noch immer mit dieser Frage konfrontiert. Rainer Eppelmann, der als DDR-Oppositioneller auf der anderen Seite stand und wegen Wehrdienstverweigerung im Gefängnis saß, sieht gleichwohl keinen Nachholbedarf der CDU bei der Aufarbeitung ihrer Geschichte. Schließlich habe sich bereits Anfang der 90er Jahre ein Parteitag mit diesen Fragen befasst. Bis Mitte der 90er Jahre habe sich die CDU bei dieser Auseinandersetzung „harte Kämpfe geleistet“. Die einzige Partei, die das nicht geleistet habe, sei die FDP, sagt Eppelmann unter Verweis auf deren Verschmelzung mit der DDR-LDPD und NDPD. Wenn sich jemand wie Tillich selbstkritisch mit seiner Vergangenheit auseinandersetze, „dann darf man den nicht ein Leben lang in den Kühlschrank stellen“, sagt Eppelmann, der heute Vorsitzender der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur ist.

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