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Politik: „Saddam entwaffnen,nicht stürzen“

Welche Schritte der britische Regierungschef Tony Blair beim weiteren Vorgehen gegen Bagdad empfiehlt,

Als britischer Premierminister werden Sie kaum Ihre Wünsche für die Bundestagswahl am kommenden Sonntag äußern. Aber Sie sind auch einer der profiliertesten europäischen Sozialdemokraten, und da kann Ihnen der Ausgang der Wahl doch nicht ganz gleichgültig sein.

Um eines gleich am Anfang in aller Klarheit festzustellen: Es ist nicht meine Sache, das deutsche Parlament und den Bundeskanzler zu wählen, sondern die des deutschen Volks. Und selbstverständlich werden wir auch nach der Bundestagswahl mit der deutschen Regierung zusammenarbeiten, gleichgültig, für welche sich das deutsche Volk entscheidet. Aber für die Sache der Sozialdemokratie insgesamt ist es natürlich ein wichtiger Punkt, wie die Wahl ausgeht.

Wieso?

Aus meiner Sicht ist das überragende Thema unserer Zeit das Phänomen der Unsicherheit – vor allem die Verunsicherung der Menschen über ihre wirtschaftlichen Perspektiven in Zeiten der Globalisierung. Überall auf der Welt kann man dies sehen. In dieser Lage brauchen wir Regierungen der starken und helfenden Hand, damit die Menschen mit dem Gefühl der Unsicherheiten fertig werden können. Und darum ist es so wichtig, eine Politik aus einem Guss zu formulieren, die sich zum aktiven Wohlfahrtsstaat bekennt, die besondere Anstrengungen bei der Bildung und Qualifikation macht und die der Wirtschaft und den Unternehmen eine starke Unterstützung bietet.

Ihre Antwort als Regierungschef seit 1997 ist New Labour. In Deutschland liegen die Dinge etwas anders, da wir schon seit längerem gleich zwei New-Labour-Parteien haben: seit 1959 die SPD, seit 1947/48 die Union.

Eine meiner zentralen Erfahrungen der vergangenen Jahre, die ich in nahezu allen meinen Gesprächen mit anderen Regierungschefs und bei meinen Besuchen in anderen Ländern gesammelt habe, ist, dass die Probleme im Grunde überall ähnlich sind. Die Globalisierung verändert die Gesellschaften grundlegend: Jobs auf Lebenszeit verschwinden; das Verhältnis zwischen Lebenswelt und Arbeitswelt steht unter großem Veränderungsdruck – immer mehr Frauen arbeiten heute, und damit stellt sich die Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Familie heute ganz neu. Eine weitere Erfahrung ist, dass der rasante Fortschritt in Wissenschaft und Technik dazu führt, dass ganze Industriezweige sehr schnell aufsteigen und auch wieder niedergehen können. Hinzu kommt, dass in unserer Zeit die ökonomischen Probleme in irgendeinem Land Auswirkungen auf nahezu alle anderen Länder haben. Daraus habe ich und hat meine Partei die Konsequenz gezogen, dass es eine starke Regierung braucht, die den Menschen hilft, durch diese schwierigen Zeiten des rapiden Wandels hindurchzukommen.

Und was ist daran sozialdemokratisch?

Obwohl wir in einer Welt leben, die die individuelle Freiheit und Entwicklung immer größer schreibt, brauchen wir mehr denn je Solidarität und Zusammenhalt in unseren Gesellschaften, um mit den Herauforderungen und Verwerfungen der Veränderung fertig zu werden. Obwohl, oder besser: Gerade weil sich unsere Lebenswelt immer weiter individualisiert, brauchen wir starke und zuverlässige soziale Dienstleistungen für alle – etwa im Gesundheitswesen.

Als Sie 1997 Premierminister wurden, war dies der Anfang einer sozialdemokratischen Renaissance in Europa. Fünf Jahre später ist dieser Trend nicht mehr so eindeutig. Sie selbst hatten zwar ein glanzvolles Ergebnis bei Ihrer Wiederwahl, in anderen Ländern aber wurden die sozialdemokratischen Parteien in die Opposition geschickt. Fühlen Sie sich nicht ein wenig allein gelassen?

In jedem Land liegen die Dinge ein wenig anders. Aber grundsätzlich gilt schon, dass Erfolg und Misserfolg bei Wahlen schon davon abhängen, wie gut eine Regierung mit den vorhin beschriebenen kritischen Entwicklungen, mit dem grassierenden Phänomen der Unsicherheit in unseren Gesellschaften umgegangen ist.

Liegt darin Fluch oder Hoffnung für Gerhard Schröder?

Darauf möchte ich nicht direkt antworten. Ich kann nur sagen, was meine eigene Strategie ist: Stärkung und Ausbau der öffentlichen Dienstleistungen bei gleichzeitiger Beachtung strengster Haushaltsdisziplin. Genau dies ist es, was die Menschen von einer starken Regierung erwarten. Solide Haushaltspolitik und Stärkung der Wirtschaft sind die notwendigen Voraussetzungen dafür, dass der aktive Wohlfahrtsstaat den Menschen die Chance gibt, aus eigener Kraft die Probleme des Wandels zu bewältigen.

Wenn Sie sich – aus verständlichen Gründen – schon nicht zu Deutschland äußern wollen, können Sie dann wenigstens erklären, warum eine sozialdemokratische Strategie bei Ihnen funktioniert und zur Wiederwahl führte, in Frankreich dagegen zum Niedergang der Sozialisten?

Eine Ursache ist sicherlich, dass sich die Linke in Frankreich zersplittert hat. Eine erfolgreiche Linke muss allerdings Positionen von linksaußen bis hin zur Mitte integrieren. Für eine sozialdemokratische Partei ist es essenziell, zu beweisen, dass sie fähig ist, die Herausforderungen des Wandels und von Reformpolitik zu meistern. Das zeichnet die erfolgreichen sozialdemokratischen Parteien aus.

Spricht Gerhard Schröders Leistung dafür, dass er Ihren Weg des Erfolgs gehen wird, oder folgt er Lionel Jospin in den Untergang?

Jeder, der Gerhard Schröder kennt, weiß, dass er ein Mann und Politiker aus eigenem Recht ist. Die Verhältnisse in Deutschland sind ja etwas anders als bei uns. Und deshalb braucht Schröder auch nicht unsere Strategie zu kopieren. Er geht seinen eigenen Weg, und eben dies macht einen erheblichen Teil seiner Stärke aus. Aber natürlich liegen wir beide in allen wesentlichen Fragen sehr nahe beieinander und haben ähnliche Antworten darauf, wie mit dem Phänomen der Unsicherheit in Zeiten des Wandels umzugehen ist. Auch das Verhältnis zwischen der deutschen Sozialdemokratie und der britischen Labour-Partei ist heute sehr viel enger, als es in früheren Zeiten war.

Haben Sie eine Erklärung dafür, dass es in Deutschland jenes Gespenst des extremen Rechtspopulismus nicht gibt, das in anderen Ecken Europas seit längerem sein Unwesen treibt?

Solche Strömungen gibt es überall dort, wo die Wähler verärgert darüber sind, dass die etablierten politischen Kräfte ihre Sorgen und Ängste nicht ernst nehmen. In Deutschland, und das gilt für beide politischen Lager, gibt es allerdings eine offene und intelligente Debatte über die anliegenden Probleme.

Solche rechtspopulistischen Kräfte sind vor allem in Ländern stark geworden, die sozialdemokratisch regiert wurden oder werden. Warum nicht bei Ihnen, warum nicht in Deutschland?

Weil wir zeigen, wie man heikle Themen anpacken kann, statt sie politisch populistisch auszuschlachten. Etwa das Thema Zuwanderung. Wir gehen die Probleme, die mit der Zuwanderung verbunden sind, entschieden an und beweisen damit, dass wir die Ängste der Menschen ernst nehmen. Das ist etwas völlig anderes, als mit den Ängsten der Menschen jenes böse politische Spiel zu treiben, wie dies rechtspopulistische Kräfte tun. Weil wir die heißen Themen, die die Menschen bewegen, in Britannien und Deutschland angehen und nicht ignorieren, können sie hier nicht politisch entflammen.

In diesen Tagen jährt es sich zum zehnten Mal, dass Ihr Land aus dem Europäischen Währungsverbund ausgeschieden ist. Im kommenden Jahr wird der Beitritt zum Euro, gleichfalls ein angstbesetztes Thema, angestrebt. Bleibt es dabei? Wie lautet Ihre Prognose?

Unsere Position ist sehr eindeutig: Wenn die ökonomischen Tests stimmen, wird meine Regierung dem britischen Volk ein Referendum über den Beitritt zum Euro vorschlagen. Ich selbst habe überhaupt keinen Zweifel, dass Britanniens Platz im Zentrum Europas liegt. Wir haben gute und starke Beziehungen zu den Vereinigten Staaten, was großartig ist, aber das Verhältnis zu Europa ist für uns die strategische Schlüsselallianz. Unsere europäische Politik hat sich während meiner Regierungszeit grundlegend geändert. Jetzt sind wir ein außerordentlich konstruktives Mitglied der Europäischen Union und arbeiten hervorragend zusammen mit allen europäischen Staaten, vor allem mit Deutschland.

Demnächst vielleicht auch beim Thema Irak. Hängt aus Ihrer Sicht die unbedingte Opposition von Kanzler Schröder gegen jede Form der militärischen Intervention im Irak womöglich mit der bevorstehenden Bundestagswahl zusammen?

Zunächst einmal muss ich betonen, dass ich in den vergangenen Jahren stets sehr eng mit Gerhard Schröder in allen wichtigen internationalen Fragen zusammengearbeitet habe. Und so wird es auch in Zukunft sein.

Dennoch gibt es jetzt gravierende Meinungsverschiedenheiten. Ist es berechtigt, von einer Krise zu sprechen?

Mit absoluter Sicherheit: Nein! In allen Fragen – ob Kosovo oder Afghanistan – haben wir stets vorzüglich zusammengearbeitet. Jetzt erklärt er seine Position zum Irak – und das respektieren wir.

Dennoch kann man in diesen Tagen allerorten hören und lesen, Deutschland isoliere sich wegen des Irak von seinen Freunden und Partnern. Stimmt das etwa nicht?

Ich glaube, dass alle Deutschlands eigene Position anerkennen. Ich selbst habe Deutschland in der Vergangenheit in allen wesentlichen Punkten niemals isoliert gesehen. Beim Thema Irak werden von Deutschland Fragen aufgeworfen, die sinnvollerweise durchaus zu stellen sind. Es mag durchaus Meinungsunterschiede geben, aber ich habe keinen Zweifel daran, dass wir am Ende alle eng verbunden gemeinsam handeln werden. Wir sollten die Differenzen nicht übertreiben. Übrigens gibt es auch innerhalb der Vereinigten Staaten eine große Debatte über dieses Thema. Der manchmal in Europa vorherrschende Eindruck, dass es in den USA nur eine Meinung gäbe, stimmt nicht.

Dennoch sind die Töne, die über den Atlantik gegen Schröder schallen, ziemlich scharf, teilweise beleidigend. Muss er sich das gefallen lassen, von manchen als Feigling oder Opportunist bezeichnet zu werden?

Ich arbeite mit Gerhard Schröder nun wirklich sehr eng und vertrauensvoll zusammen – von Kosovo über Mazedonien bis Afghanistan. Dabei hat er einige außerordentlich mutige Entscheidungen getroffen. Deutschland hat dabei Verantwortung und auch Führung übernommen, was sehr schwierig war – nie zuvor gab es Vergleichbares. Innenpolitisch hätte Schröder es sich sehr viel einfacher machen können, wäre Deutschland weiterhin passiv geblieben. Dass die Situation auf dem Balkan sich beruhigt hat, ist nicht zuletzt dem deutschen Beitrag zu verdanken. Um dies eindeutig festzustellen: Niemand, wirklich niemand zweifelt an Gerhard Schröder!

Wäre es aber nicht langsam an der Zeit, dass auf beiden Seiten des Atlantiks die Megaphon-Diplomatie eingestellt wird?

Wir werden sehen, dass am Ende alle gut zusammenarbeiten.

Die deutsche Position ist hinreichend bekannt, die amerikanische ebenfalls. Was ist nun Ihre Position? Geht es um die Beseitigung der irakischen Kapazitäten zur Massenvernichtung, oder ist der Sturz des Regimes von Saddam Hussein ein wesentlicher Bestandteil Ihrer Politik?

Es gilt, was ich bereits bei meinem Treffen mit Präsident Bush im März gesagt habe: Das Regime von Saddam Hussein ist verabscheuungswürdig. Aber die Forderung der internationalen Gemeinschaft ist der Zugang von Waffeninspekteuren zu jeder Zeit und an jeden Ort in Irak.

Ein Regimewechsel zählt demnach nicht zu Ihren unabdingbaren Forderungen?

Das zentrale Problem sind die Massenvernichtungswaffen. Damit liegen die Dinge ganz einfach: Der Irak muss es zulassen, diese Kapazitäten unschädlich zu machen. Diese Forderung muss Saddam Hussein erfüllen.

Das Gespräch führte Peter Siebenmorgen.

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