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Die Vizevorsitzende der Linken: Sahra Wagenknecht.

© Mike Wolff

Sahra Wagenknecht: "Anbiederung an die SPD macht uns überflüssig"

Linken-Vizechefin Sahra Wagenknecht spricht im Tagesspiegel-Interview über Grabenkämpfe in der Partei, Kritik am Kapitalismus – und ihr Verhältnis zur DDR.

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Frau Wagenknecht, Ihr neues Buch heißt „Freiheit statt Kapitalismus“. Fühlen Sie sich unfrei?

Der heutige Kapitalismus schränkt Freiheit in vieler Hinsicht ein. Wer von Hartz IV leben muss, ist nicht frei. Auch wer dauernd Überstunden macht und kaum noch Zeit für Familie und Freunde hat, wer sich von einem befristeten Job zum nächsten hangelt, ist unfrei. Er kann sein Leben nicht mehr planen. Auch die meisten Märkte sind übrigens nicht frei, sondern von wenigen großen Unternehmen beherrscht.

Warum ist die Linke mit ihren klar antikapitalistischen Positionen im Moment nicht mehr erfolgreich?

Bei den letzten Wahlen hatte die Fukushima-Katastrophe alle anderen Themen überlagert. Aber die sozialen Probleme sind deshalb doch nicht weg. Und auch die ökologische Frage führt letztlich zur Systemfrage. Es gibt keinen „grünen Kapitalismus“. Wir müssen wieder ein schärferes Profil gewinnen und unsere Systemkritik konkreter formulieren, dann werden wir auch mehr Menschen erreichen.

Hat die Linken-Führung es sich mit dem Hinweis, es habe vor allem an Fukushima gelegen, nicht zu einfach gemacht?

Es gab natürlich auch andere Gründe. Die Linke hat seit längerem kein gutes Bild abgegeben, weil einige meinten, innerparteiliche Grabenkämpfe lautstark in den Medien austragen zu müssen.

Haben nicht auch die beiden Parteivorsitzenden Fehler gemacht?

Jeder Mensch macht Fehler. Aber in einer normalen Partei sagt man dem Vorsitzenden Kritik direkt und persönlich. Oder könnten Sie sich vorstellen, dass Herr Kauder über den „Spiegel“ mitteilt, er halte Frau Merkel für führungsschwach und entscheidungsscheu?

Wer ist denn für die Schlammschlacht der letzten Wochen verantwortlich?

Ich hoffe, dass inzwischen alle begriffen haben, dass die öffentlichen Denunziationen aufhören müssen.

Können die jetzigen Vorsitzenden die Partei aus der Krise führen?

Wir können die Probleme nur gemeinsam lösen. Es wäre falsch, sie allein bei den Vorsitzenden abzuladen.

Sie haben gesagt, für die Linke wäre es ein Gewinn, wenn sich Oskar Lafontaine wieder stärker bundespolitisch einmischt. Sind Sie für sein Comeback als Parteichef?

Oskar Lafontaine ist ein Ausnahmepolitiker. Aber jetzt sind andere an die Spitze gewählt und Personaldebatten überflüssig.

Sind die Personaldebatten nicht ein Ventil, weil die Parteispitze die Programmdebatte abgewürgt hat?

Wir führen eine sehr lebendige Programmdebatte. Aus der Basis sind hunderte Ergänzungen, Präzisierungen und Verbesserungen eingereicht worden, die jetzt eingearbeitet werden. Die Grundausrichtung des Entwurfs wird allerdings erkennbar von einer großen Mehrheit unterstützt. Ein Programm muss deutlich machen, was wir wollen, was mit der Linken geht und was nicht. Es muss klar sein, dass wir uns zum Beispiel nie an einer Regierung beteiligen werden, die Kriege führt oder Sozialabbau betreibt. Verwaschene Positionen oder eine Anbiederung an die SPD würden uns überflüssig machen.

Seit 2009 ist die Linke im Bundestag mit SPD und Grünen in der Opposition. Warum führt das nicht zu mehr Miteinander?

Die SPD ist kläglich mit dem Versuch gescheitert, sich ein Oppositionsimage zu geben. Sie steht – von Frank-Walter Steinmeier bis Olaf Scholz – zur neoliberalen Agenda-Politik: also zu Leiharbeit, Billigjobs, Rentenprivatisierung und Hartz IV. Und die Grünen sind gerade dabei, auch noch die letzten Reste sozialer Forderungen aus ihrem Programm zu entsorgen.

Parteivize Katja Kipping fordert, die Linke müsse mit dem Grünen-Bashing aufhören.

Ich habe keinen Respekt vor einer Partei, die so oft mit ihren Inhalten gebrochen hat. Als sie regiert haben, haben auch sie mit der Atomlobby gekungelt, statt einen zügigen Ausstieg einzuleiten. Wenn die Grünen heute regieren würden, wäre die Bundeswehr sicher auch im Libyen-Krieg an vorderster Front dabei.

Rot-Rot-Grün 2013 im Bund halten Sie also für ausgeschlossen?

Solange SPD und Grüne vor allem die Interessen der Besserverdienenden und der Wirtschaftslobbys vertreten, sind die Überschneidungen gering.

Frau Wagenknecht, sehnen Sie sich manchmal nach der DDR?

Warum sollte ich. Die DDR hatte so gravierende ökonomische und politische Defizite, dass die Leute sie am Ende nicht mehr haben wollten.

Anfang der 90er Jahre haben Sie Erich Honecker gelobt, die Mauer als „notwendiges Übel“ bezeichnet und Stalin angerechnet, dass er die Sowjetunion von einem „zurückgebliebenen Land“ zu einer „modernen Großmacht“ gemacht habe. Sehen Sie das heute anders?

Ich sehe das seit langem anders und ich bin’s auch leid, diese Steinzeit-Zitate immer wieder vorgehalten zu bekommen. Wenn man andere Politiker damit konfrontieren würde, was sie im Alter von 20 Jahren gesagt haben, dürfte man auch illustre Dinge finden.

Warum haben Sie das damals gesagt?

Der öffentliche Umgang mit DDR-Geschichte war nie sehr differenziert. Das hat bei mir eine Trotzreaktion ausgelöst: Wenn die alles schwarz malen, male ich alles rosarot. Ich war auch genervt von den Wendehälsen, die bis Herbst 1989 Lobeshymnen auf die DDR sangen und sich dann um 180 Grad drehten. Im Unterschied zu ihnen hatte ich meine Kritik auch schon zu DDR-Zeiten formuliert und mir damit Ärger eingehandelt.

Bedauern Sie Ihre Äußerungen heute?

Das wäre albern. Jeder Mensch entwickelt sich.

Der PDS-Vorstand hat 2001 das mit dem Mauerbau verbundene Unrecht bedauert. Sie haben sich geweigert, den Text zu unterzeichnen. Warum?

Die damalige Differenz lag nicht in der Bewertung der Mauer. Ich war froh, dass sie nicht mehr stand. Ein Sozialismus, der seine Bevölkerung einsperrt, ist keiner.

Warum haben Sie die Erklärung dann nicht unterzeichnet?

Es standen Dinge drin, die ich falsch fand. Aber jetzt erwarten Sie bitte nicht, dass ich eine vor elf Jahren beschlossene Erklärung noch im Detail kenne.

Der neue Stasiaktenbeauftragte Roland Jahn hat gesagt, er wolle auch Menschen überzeugen, die gern in der DDR gelebt haben. Wie wollen Sie Menschen überzeugen, die nicht gern in der DDR gelebt haben?

Die DDR ist seit 20 Jahren Geschichte. Ich glaube, die Leute haben heute andere Probleme. Ich bekomme oft Mails von Menschen, die mir sagen, sie fanden die DDR schlimm und haben sie abgelehnt. Aber das, was heute ist, können sie genauso wenig akzeptieren. Deshalb unterstützen sie jetzt die Linke.

Was verbinden Sie mit dem Begriff Kommunismus?

Im Bewusstsein der Altbundesrepublik wurde Kommunismus immer mit der DDR oder der Sowjetunion verbunden. Was Marx unter Kommunismus verstand, war etwas völlig anderes: eine sehr ferne, sehr menschliche Utopie.

Kann man über Wege zum Kommunismus sprechen, ohne über die Opfer zu sprechen, wie Ihre Parteichefin Gesine Lötzsch es Anfang des Jahres getan hat?

Sie hat bei vielen Gelegenheiten über die Opfer gesprochen. Entscheidend finde ich, darüber zu diskutieren, wie eine vernünftige Alternative zum Kapitalismus aussehen kann. Ich habe meine Vorstellungen dazu in dem Buch „Freiheit statt Kapitalismus“ dargelegt.

Sie waren in der PDS Außenseiterin. Fühlen Sie sich in der Linkspartei in der Mitte angekommen?

Ich halte die Grundlinie der Partei für richtig. Wir sind die einzigen, die sich Wirtschaftsmacht nicht unterwerfen, sondern deren Grundlage – ererbtes Wirtschaftseigentum – infrage stellen. Wir wollen eine Gesellschaft, in der diejenigen über Investitionen und Arbeitsplätze entscheiden, die den Reichtum erarbeiten.

Bereitet es Ihnen Genugtuung, dass Sie als künftige Parteichefin oder als Co-Vorsitzende von Gregor Gysi in der Bundestagsfraktion gehandelt werden?

Ich habe definitiv nicht vor, Parteivorsitzende zu werden.

Und Fraktionschefin?

Es steht noch gar nicht fest, ob es eine Doppelspitze in der Fraktion geben wird.

Eine Frage noch: Ist es Absicht oder Zufall, dass sie Rosa Luxemburg ähneln?

Meine Frisur hatte ich schon, als ich Luxemburgs Texte noch gar nicht kannte. Auch als Linke darf man mal konservativ sein.

Das Interview führten Cordula Eubel und Matthias Meisner.

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