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Sahra Wagenknecht und Anton Hofreiter

© Thilo Rückeis

Sahra Wagenknecht und Anton Hofreiter: "In der Außenpolitik sind wir halt eher per ,Sie'"

Es gibt keine Koalition in der Opposition. Trotzdem suchen Sahra Wagenknecht, designierte Chefin der Linksfraktion, und der Grünen-Fraktionsvorsitzende Anton Hofreiter Anknüpfungspunkte für eine Zusammenarbeit. Ein Gespräch.

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Frau Wagenknecht, können Sie sich vorstellen, 2017 an einem Kabinettstisch mit Herrn Hofreiter zu sitzen?
Wagenknecht: Schon. Aber die Grünen bestehen nicht nur aus Herrn Hofreiter. Um eine Regierung zu bilden, bräuchte man außerdem die SPD. Sigmar Gabriel hätte schon 2013 die Möglichkeit gehabt, mit uns einen Großteil der SPD-Wahlversprechen zu realisieren, er hat sich aber für die große Koalition entschieden. Heute will er TTIP und Vorratsdatenspeicherung statt Vermögenssteuer und Einschränkung prekärer Jobs.

Und Sie, Herr Hofreiter, können Sie sich eine gemeinsame Regierung mit Frau Wagenknecht vorstellen?
Hofreiter: Natürlich, wenn sie und die SPD zu Kompromissen bereit sind. Denn klar ist: Weder die Grünen noch die Linke sind eine 50-Prozent-Partei.

Woran scheitert Rot-Rot-Grün im Moment: an der SPD oder an Frau Wagenknecht?
Hofreiter: Bisher ist Rot-Rot-Grün daran gescheitert, dass diese Option in allen drei Parteien nicht ausreichend vorbereitet war. Ich glaube aber auch, dass die Linksfraktion sich schwergetan hätte, wenn es zur Nagelprobe gekommen wäre. Ich will aber nicht über die Vergangenheit reden, sondern über 2017.

Frau Wagenknecht, auf dem Bielefelder Parteitag haben Sie an die Adresse der SPD gesagt: „Die Linkspartei ist nicht gegründet worden, um in dieser trüben Brühe mitzuschwimmen.“ Wollen Sie überhaupt regieren?
Wagenknecht: Nur, wenn es die Bereitschaft zu einem Politikwechsel gibt. In Deutschland wächst die Kluft zwischen Arm und Reich, viele Leute können von ihrer Arbeit nicht mehr leben. Für eine Regierung, die die Ungleichheit von Einkommen und Vermögen weiter vergrößert, braucht es die Linke nicht. Auch die Grünen müssen sich entscheiden, ob sie überhaupt noch eine sozialere Politik wollen oder sich der Union als Koalitionspartner anbieten und so der Kanzlerin eine Ewigkeitsgarantie geben.
Hofreiter: Ich wünsche mir natürlich an erster Stelle Rot-Grün ...
Wagenknecht: Aber ihr wisst, dass das nicht realistisch ist.
Hofreiter: Dreimal hintereinander hat es nicht geklappt, deshalb setzen wir jetzt auf Eigenständigkeit. Die SPD bleibt trotzdem unsere erste Ansprechpartnerin. Und ihr müsst die Frage beantworten, wie kompromissbereit ihr seid und ob ihr wirklich gestalten wollt. Wenn die Linke von vornherein rote Haltelinien aufbaut, an denen die SPD nur scheitern kann, ist das kein ehrliches Angebot.
Wagenknecht: Die Menschen, die uns gewählt haben, müssen sich in einem Regierungsprogramm wiederfinden. Warum gehen denn schon heute so viele gar nicht mehr zur Wahl? Weil sie den Eindruck haben, dass Parteien in der Regierung das Gegenteil von dem machen, was sie im Wahlkampf versprochen haben. Dafür stehen wir nicht zur Verfügung.
Hofreiter: Unter Rot-Grün haben wir als Sechs-Prozent-Partei eine Menge durchgesetzt: den Atomausstieg, den Ausbau der Erneuerbaren Energien, den Einstieg in die Agrarwende. Habt ihr wirklich so große Angst, dass ihr von eurem sozialen Programm nichts durchkriegen würdet, wenn ihr mit der SPD regiert?
Wagenknecht: Das werden wir wissen, wenn die SPD irgendwann zu ernsthaften Verhandlungen mit uns bereit ist. Erst vor Kurzem hat Gabriel allerdings die Vermögensteuer für nicht mehr zeitgemäß erklärt. Oder die Außenpolitik: Die USA nutzt deutsche Militärbasen für ihren Drohnenkrieg. Deutschland stellt also die Logistik für rechtswidrige Hinrichtungen zur Verfügung. Das können wir nicht mittragen.
Hofreiter: Als Regierungspartei könnte man die Besteuerung von hohen Vermögen auf die Tagesordnung setzen und auf die Nato einwirken, dass sie am Drohnenkrieg etwas ändert. Man könnte dafür sorgen, dass für völkerrechtswidrige Aktionen keine deutschen Militärbasen mehr genutzt werden.
Wagenknecht: Ob die USA das beeindruckt? Doch nur, wenn wir aus der militärischen Kooperation der Nato aussteigen, wie früher Frankreich. Ich glaube aber kaum, dass das in der SPD durchsetzbar ist. Auch bei euch wäre ich mir da nicht sicher.
Hofreiter: Die spannende Frage ist doch, ob die Linke in einer Regierung bereit wäre, sich an UN-Mandaten zu beteiligen, wenn dadurch Menschenleben gerettet werden können.

Und, wären Sie da kompromissbereit?
Wagenknecht: Deutschland könnte viel mehr Leben retten, ohne eine einzige Bombe zu werfen. In Syrien sind Millionen Menschen auf der Flucht, brauchen Nahrung und Unterkunft, und die deutsche Regierung schaut zu. Auch an der Handelspolitik will keiner etwas ändern, obwohl sie Hunger und Elend in vielen Regionen dieser Welt verfestigt und damit auch die Wurzel vieler Konflikte ist.
Hofreiter: Natürlich wollen wir mehr fairen Handel, kein schlechtes TTIP und eine andere Flüchtlingspolitik. Darauf kann man als Regierungspartei einwirken. Und natürlich kann man immer sagen, man hätte mit Prävention dafür sorgen müssen, dass ein Konflikt gar nicht erst entsteht. Aber wenn es massive Menschenrechtsverletzungen gibt, steht man vor der Frage: Beteiligt man sich an UN-Einsätzen oder nicht?
Wagenknecht: Bei diesen Militäreinsätzen geht es doch in Wahrheit nicht um Menschenleben, sondern um Rohstoffe und strategische Interessen.
Hofreiter: Du weichst der heiklen Frage aus. Nehmen wir an, wir regieren und ein halbes Jahr später passiert so etwas wie in Mali. Eine Mischung aus Soldateska und Banditen rückt in den Süden des Landes vor, die Bevölkerung ist in Panik. Es gibt einen UN-Einsatz, um die Menschen zu retten. Ich bin der Meinung, dass die Bundesrepublik sich daran beteiligen muss.

Würde an einer solchen Frage eine Koalition platzen, Frau Wagenknecht?
Wagenknecht: Toni, du weißt doch auch, wie das bei den Grünen abgelaufen ist. Zuerst kamen UN-mandatierte Blauhelmeinsätze, dann die vermeintlich humanitären Kampfeinsätze, am Ende völkerrechtswidrige Kriege wie in Afghanistan.

Können Sie in der Ukraine-Politik auf einen Nenner kommen?

Sahra Wagenknecht und Anton Hofreiter beim Tagesspiegel-Interview
Sahra Wagenknecht und Anton Hofreiter beim Tagesspiegel-Interview

© Thilo Rückeis

Wagenknecht: Ich hoffe, wir sind uns zumindest einig, dass der jetzige Weg falsch ist. Die Nato bringt schwere Waffen nach Osteuropa, die Russen rüsten die atomare Flotte auf. Das ist doch der blanke Wahnsinn.
Hofreiter: Natürlich ist es ein Problem, wenn wir in eine Aufrüstungsspirale kommen. Aber ich möchte auch festhalten, dass bereits ein Krieg geführt wird. Die Krim wurde von Russland militärisch besetzt. Auch in der Ostukraine greift Moskau ziemlich direkt ein. Da kann man doch nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Europa hat sehr vernünftig reagiert, einen schweren Völkerrechtsbruch festgestellt und Sanktionen verhängt. Jetzt notwendig sind Verhandlungen, Verhandlungen und noch mal Verhandlungen.
Wagenknecht: Verhandlungen sind richtig, aber die Sanktionen haben nichts gebracht. Sie haben nur der russischen und der europäischen Wirtschaft geschadet. Natürlich ist es nicht legitim, den Teil eines Landes abzuspalten. Aber es wusste jeder im Westen, dass die Strategie, die Ukraine in die Nato zu holen, eine Kriegserklärung an Russland war. Was glaubst du, was passieren würde, wenn Russland ein Militärbündnis mit Ländern wie Venezuela, Ecuador oder Bolivien aufbauen würde. Dass die USA da zuschauen würden?
Hofreiter: Deutschland hat sich gegen eine Nato-Aufnahme der Ukraine ausgesprochen. Es ging nicht um die Nato, sondern um die EU. Die alte Regierung in Kiew ist gescheitert, weil die Bevölkerung die Korruption satt hatte und im Land eine große Sehnsucht nach Europa herrschte. Das Volk hat die Regierung gestürzt.
Wagenknecht: Die Ukraine gehört zu Europa. Zugleich gab es enge wirtschaftliche Bindungen an Russland. Dass die jetzt gekappt wurden, ist für die Schwerindustrie im Osten ein Desaster.
Hofreiter: Noch mal: Russland hat die Krim besetzt, Russland unterstützt die Separatisten in der Ostukraine. Da würde ich mir einfach ein paar klarere Worte von euch im Bundestag statt Angriffe auf uns wünschen.

Könnten Sie beide sich denn auf einen gemeinsamen Umgang mit der Griechenland-Krise verständigen?
Hofreiter: Wir brauchen ein Ende der schädlichen Austeritätspolitik. Die griechische Regierung ist aber auch gefordert, einen funktionierenden Staat aufzubauen. Das reicht von Katasterämtern über Korruptionsbekämpfung bis zur Steuerverwaltung. Zu sagen, der IWF und die Troika haben nur Quatsch vorgeschlagen, trifft es auch nicht.
Wagenknecht: Aber überwiegend schon.
Hofreiter: Natürlich wurde Athen zu viel zugemutet. Aber jetzt haben wir die Situation, dass sowohl Merkel als auch Tsipras extrem hoch pokern. Das ist ein gefährliches Spiel. Wer soll jetzt investieren in Griechenland, wenn man jeden Moment damit rechnen muss, dass das Land aus dem Euro fliegt?

Frau Wagenknecht, Sie wurden verdächtigt, dem Grexit das Wort zu reden.
Wagenknecht: Ich habe gesagt: Wenn Griechenland im Crash aus der Euro-Zone ausscheidet, droht Hyperinflation und ein erneuter Wirtschaftseinbruch. Die Drachme würde in Grund und Boden spekuliert. Etwas anderes wäre es, wenn die Europäische Zentralbank die neue Währung stützen würde, sodass die Abwertung moderat bleibt. Danach sieht es aber überhaupt nicht aus. Merkel und Co. wollen erkennbar diese linke Regierung zum Scheitern bringen, damit die Spanier und andere nicht auf ähnliche Ideen kommen. Tsipras ist bei seinen Kompromissangeboten schon sehr weit gegangen.
Hofreiter: Na ja, der griechische Rüstungshaushalt ist immer noch gigantisch, und an die Oligarchen im eigenen Land ist er noch nicht wirklich rangegangen. Wichtig ist: Es darf nicht zum Grexit kommen, man muss das Land unbedingt im Euro halten.

Frau Wagenknecht, Sie haben dem letzten Griechenland-Rettungspaket nicht zugestimmt. Was empfehlen Sie für die nächste Abstimmung?
Wagenknecht: Das kommt auf die Inhalte des Pakets an. Wenn es überhaupt eines gibt.
Hofreiter: Ich will schwer hoffen, dass ein neues Rettungspaket kommt. Wir müssen der griechischen Bevölkerung helfen.
Wagenknecht: Zehn Prozent mehr Mehrwertsteuer auf Energie, weitere Rentenkürzungen, obwohl die niedrigen Renten schon jetzt bei 300 bis 600 Euro liegen. Das wäre politischer Selbstmord, wenn Syriza das machen würde. Und dem könnten wir auch nicht zustimmen.
Hofreiter: Ein ziemlich schlechter Kompromiss ist immer noch besser als ein Austritt aus dem Euro. Der brächte für Griechenland schwerste soziale Verwerfungen mit sich. Auch für das restliche Europa wären die Auswirkungen übel. Wenn man links ist, kann man doch nicht zulassen, dass bei der europäischen Integration ein Schritt zurück gemacht wird.

Trauen Sie Frau Wagenknecht solche Kompromisse zu?
Hofreiter: Ich hoffe das. Um in der Zukunft Handlungsoptionen zu haben, sind manchmal harte Kompromisse notwendig.
Wagenknecht: Der Euro ist doch kein Selbstzweck. Griechenland ist überschuldet, und zwar seit 2010. Und die ganzen Auflagen haben das Land nur ärmer gemacht und die Schulden weiter erhöht. Wenn ich die Wahl habe zwischen Pest, Cholera und der Möglichkeit, gesund zu werden, muss ich mich doch nicht für die Cholera entscheiden, weil ich die Pest nicht will.
Hofreiter: Die Wahl, die wir haben, ist doch: Griechenland fliegt aus dem Euro. Pest. Oder Griechenland bleibt unter Auflagen drin. Sehr schwere Grippe, die allerdings heilbar ist. Vielleicht läuft es ja so: 2017 ist Syriza noch an der Macht, und in Deutschland regiert Rot-Rot-Grün. Dann besteht die Chance, die Europapolitik grundlegend zu verändern.
Wagenknecht: Griechenland erlebt keine schwere Grippe, sondern eine humanitäre Katastrophe.

Kann Frau Wagenknecht den linken Flügel der Linkspartei zähmen?

Sahra Wagenknecht und Anton Hofreiter
Sahra Wagenknecht und Anton Hofreiter

© Thilo Rückeis

Hofreiter: Ich bin ein optimistischer Mensch. Und deswegen habe ich die Erwartung, dass Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht, wenn sie zu Fraktionschefs gewählt werden, daran arbeiten, dass Rot-Rot-Grün eine Option wird.
Wagenknecht: Wir haben allerdings nicht irgendwelche Wilden im linken Flügel, die gezähmt werden müssen.
Hofreiter: (lacht laut) Da würden mir schon ein paar einfallen.
Wagenknecht: Anderen Parteien täte es ganz gut, wenn sie einen stärkeren linken Flügel hätten. Vielleicht spielt da bei dir auch ein gewisser Neid eine Rolle.
Hofreiter: Ach, das ist schon okay, dass die bei euch sind.
Wagenknecht: Der pazifistische Kern, den die Grünen mal hatten, ist zum Teil bei uns. Wir haben die verdammte Pflicht, dass sie bei uns nicht genauso enttäuscht werden. Wir haben als Linke immer wieder angeboten, Gespräche über eine rot-rot-grüne Regierung zu führen. Schon 2005, als der SPD-Vorsitzende Kurt Beck hieß. Herr Gabriel könnte morgen kommen. Dann würde man sehen, ob wir uns einigen können.

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Den Satz von Gregor Gysi, nach dem die SPD morgen schon den Kanzler stellen könnte, unterschreiben Sie also?
Wagenknecht: Der ging allerdings weiter, Gysi hat auch die Voraussetzungen genannt. Und die heißen: Vermögensteuer, Rücknahme der Arbeitsmarktreformen, bessere Renten und eine friedliche Außenpolitik.
Hofreiter: Einen Teil davon könntet ihr kriegen, aber nicht, wenn ihr vor Koalitionsverhandlungen eure 100 Prozent festschreibt. Wie lange würde denn so eine Koalition halten, wenn es beispielsweise darum geht, syrische Chemiewaffen zu vernichten?
Wagenknecht: Ach, wissen Sie …

Hoppla, jetzt sind Sie wieder beim „Sie“?
Wagenknecht: Nun ja, in der Außenpolitik sind wir halt eher per „Sie“... Die Chemiewaffen wurden in Deutschland vernichtet, das haben wir unterstützt. Deutsche Schiffe im Mittelmeer wurden dazu nicht gebraucht.
Hofreiter: Die Vernichtung des Giftgases war doch sinnvoll.
Wagenknecht: Ja, sicher.
Hofreiter: Dass man einen gewissen Schutz für das Transportschiff organisiert, ist doch auch sinnvoll.
Wagenknecht: Es war überhaupt nicht sinnvoll, diesem Schiff ein robustes Kampfmandat zu geben.
Hofreiter: Ist es nicht sinnvoll, dass ein Schiff mit gefährlichem Giftgas geschützt wird?
Wagenknecht: Geschützt, aber nicht mit einem Mandat, das auch den Eintritt in Kampfhandlungen gerechtfertigt hätte. Die Amerikaner haben außerdem deutlich gesagt, sie bräuchten die deutsche Fregatte überhaupt nicht.
Hofreiter: Es ist doch nur ein billiger Trick zu sagen, es könnten auch andere machen.
Wagenknecht: Es geht darum, ob man auf eine Außenpolitik setzt, bei der auch mit militärischen Mitteln eingegriffen wird. Die Bundesrepublik ist über viele Jahre sehr gut damit gefahren, dass es keinen einzigen deutschen Soldaten im Ausland gab. Für Willy Brandt war Krieg die Ultima Irratio. Mit Petra Kelly gehörte Pazifismus einst zum Gründungskonsens der Grünen. Zumindest bei einem linken Grünen verstehe ich nicht, dass er mit einem solchen Ziel ein Problem hat.
Hofreiter: Auch wir wollen eine friedlichere Welt. Du hast gesagt, Gabriel könnte sofort Kanzler werden. Dann stellt sich eine konkrete Frage: Kann ein solches Transportschiff mit einem robusten Kampfmandat geschützt werden?
Wagenknecht: Die scheinbar harmlosen Einsätze sind immer das Einfallstor. Am Ende stehen dann Kriege wie in Afghanistan oder Jugoslawien.
Hofreiter: Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Ich finde es falsch zu sagen, die Amerikaner kriegen das schon selbst auf die Reihe. Wenn jeder so argumentieren würde, würde dieses Giftgasschiff ungeschützt übers Meer fahren.
Wagenknecht: Das ist doch alles unehrlich. Nach wie vor exportieren wir Güter, aus denen Giftgaswaffen gebaut werden.

Hofreiter: Und deswegen kümmern wir uns nicht um deren Beseitigung? Gysi hat auf eurem Parteitag gesagt, es wäre ein gewaltiger Fortschritt, wenn unter Rot-Rot-Grün keine Waffen mehr in Spannungsgebiete und an die Diktaturen exportiert würden. Das finde ich auch.
Wagenknecht: Siehst du es wirklich so, dass mit einer rot-rot-grünen Regierung ein sofortiger Stopp aller Waffenexporte in Krisengebiete möglich wäre? Gabriel hat die Backen aufgeblasen gegen Rüstungsexporte, faktisch laufen sie alle weiter.
Hofreiter: Er regiert auch mit der Union. Traust du uns so wenig zu? Wir würden doch, wenn wir mit Gabriel regieren, einiges durchsetzen.

Werden wir ab Herbst, wenn Sie Fraktionsvorsitzende sind, eine andere Sahra Wagenknecht erleben als bisher?
Wagenknecht: Ich finde es schlimm, wenn sich Politiker in einer neuen Funktion völlig wandeln. Und nichts von dem übrig bleibt, was sie mal waren. Solche Politikertypen haben wir genug. Natürlich ist die Rolle eine andere. Als Fraktionsvorsitzende muss man die gesamte Fraktion repräsentieren.

Würden Sie auch als Fraktionschefin demonstrativ sitzen bleiben wie vor fünf Jahren, als der damalige israelische Staatspräsident Schimon Peres im Bundestag eine Rede zum Gedenken an die Befreiung von Auschwitz hielt?
Wagenknecht: Wir haben uns alle vor den Opfern des Holocaust erhoben. Ich bin nur nicht aufgestanden, nachdem Peres in seiner Rede einem Krieg gegen den Iran das Wort geredet hatte. Einer Rede, die indirekt oder direkt zum Krieg aufruft, würde ich auch heute keine Standing Ovations zollen.
Hofreiter: Ich fand es befremdlich, dass du sitzen geblieben bist.

Herr Hofreiter, Sie sind immer wieder gemessen worden an Ihrem Vorgänger Jürgen Trittin. Haben Sie einen Tipp für Frau Wagenknecht, wenn sie ab Herbst in die Fußstapfen von Gregor Gysi treten will?
Hofreiter: Sich davon einfach nicht irritieren zu lassen. Das muss man ganz entspannt sehen.

Welche Rolle wird Gysi künftig spielen?
Wagenknecht: Es gibt in vielen Parteien Elder Statesmen, die nach wie vor eine wichtige Rolle spielen. Ich wünsche mir, dass Gregor Gysi weiter für die Linke aktiv ist. Es wäre schön, wenn er 2017 wieder kandidiert.
Hofreiter: Gregor Gysi zusammen mit Jürgen und Claudia im Auswärtigen Ausschuss, das wäre doch mal ein Think Tank.

Und wer wird Außenminister in der rot-rot-grünen Koalition?

Hofreiter: Erst mal muss es ja inhaltlich passen.
Wagenknecht: In dem Punkt kann ich Sie beruhigen: Ich bestimmt nicht. Ich hasse Langstreckenflüge.

Sahra Wagenknecht (45) ist stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag. Im Oktober soll sie gemeinsam mit Dietmar Bartsch die Nachfolge von Gregor Gysi antreten. Anton Hofreiter (45) führt die Grünen-Fraktion seit Herbst gemeinsam mit Katrin Göring-Eckardt. Das Gespräch führten Cordula Eubel und Matthias Meisner.

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