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Kurdische Flüchtlinge in einem Camp in der türkischen Grenzstadt Suruc.

© Reuters

Salafisten, Salafistenhasser - und Flüchtlinge: Überforderte Politik

Die Innenpolitiker müssen sich derzeit mit deutschen Salafisten, mit deutschen Salafistenhassern, die sich nun zum Mob zusammenrotten, und mit Flüchtlingen aus aller Welt befassen. Der politische Normalbetrieb scheint aus den Fugen zu geraten. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Werner van Bebber

Es ist unklar, wie stark das Mitgefühl der Deutschen für Bürgerkriegsflüchtlinge entwickelt ist. Deshalb gehen die Regierenden so vorsichtig mit der wachsenden Zahl der Flüchtlinge aus dem Nahen und Mittleren Osten um: nicht zu viel Pathos, keine Aufregung.

Man verspricht noch mehr Geld – Entwicklungshilfeminister Gerd Müller eröffnete die Syrien-Konferenz mit der Ankündigung, die Hilfen um 100 Millionen Euro aufzustocken.  Man bewegt sich politisch in den bewährten Zuständigkeiten und Formaten – Geberkonferenzen der Außenpolitiker, Besorgung von Unterkünften durch die Sozialpolitiker.

Die Innenpolitiker befassen sich derweil mit den ordnungs- und sicherheitspolitischen Auswirkungen der Kriege in Syrien und im Irak auf Deutschland. Die gibt es seit Jahren in Gestalt deutscher Salafisten und neuerdings als deutsche Salafistenhasser, die sich zum Mob zusammenrotten. Nach dem nicht überzeugenden Einsatz der Kölner Polizei gegen die prügelfreudigen Rechten, die sich "Hooligans gegen Salafisten" nennen, muss der Berliner Innensenator Frank Henkel prüfen lassen, ob die Randale-Truppe im November in Berlin demonstrieren darf. Ziseliert, wie das deutsche Versammlungsrecht nun mal ist, fällt ein Verbot nicht ganz so leicht, wie man nach den Kölner Vorgängen meinen sollte. Parallel dazu wird Henkel deshalb ausrechnen lassen, wie viele Polizisten er – frei nach der bewährten Rechnung zum 1. Mai – aus anderen Bundesländern ausleihen muss.

Jeden Tag werden die Fragen, wie man hierzulande mit Flüchtlingen umgeht, drängender. Die Grenzen politischer Zuständigkeiten, an die sich die deutschen Politiker in den täglichen Debatten – siehe oben – säuberlich halten, sind längst verwischt und verschwommen. Für syrische Bürgerkriegsflüchtlinge, für Menschen, die alles verloren haben, für Kinder, die nichts als Krieg kennen, ist es leichter geworden, in Deutschland Asyl zu finden, und das ist gut so.

Kein "individueller Dschihad" in Deutschland

Syrischen Bürgerkriegsteilnehmern salafistisch-radikalisierten Glaubens muss es derweil so schwer wie möglich gemacht werden, den "individuellen Dschihad" hierherzutragen. Ein Anschlag vom Kaliber Boston-Marathon würde die kaum zu kalkulierende Herzensgüte der Deutschen im Hinblick auf die Einwanderung der Flüchtlinge aus Syrien, Irak, Afghanistan wohl abkühlen. Und in den Regierungsparteien CDU und CSU werden sie ganz genau registriert haben, warum sich die Alternative für Deutschland in den Umfragen solider Sympathien erfreut: weil sie Zuwanderung begrenzen will.

Bürgerkriegsflüchtlinge prügeln sich untereinander in Asylbewerberheimen. Sie werden geschlagen, wenn sie in deutschen Städten zufälligerweise an ein paar Rassisten oder Rechtsradikale geraten. Unterdessen entwickeln sich ganze Staaten im Nahen und Mittleren Osten zu gigantischen Flüchtlingslagern. Fast elf Millionen Syrer und fast zwei Millionen Iraker leben auf der Flucht. Man wird den Eindruck nicht los, dass der politische Normalbetrieb damit so überfordert ist wie das persönliche Vorstellungsvermögen angesichts der Zahlen, die für Schicksale stehen. Ist das jetzt die Zeit, dass nationale Regierungschefs, etwa die Bundeskanzlerin, die Erwartung an die EU richten, die neu zuständigen Kommissare möchten an die Arbeit gehen? Oder ist es die Zeit, dass Angela Merkel persönlich Menschen begrüßt, die keine Heimat mehr haben? Vielleicht ist es die Zeit, ganz pathetisch über westliche Werte zu sprechen und dabei nicht an die AfD zu denken und gar nicht an die "Hogesa".

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