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Nicolas Sarkozy im Wahlkampf: Hier im Atomkraftwerk Fessenheim.

© rtr

Sarkozy im Wahlkampf: "Ich habe gelernt"

Im Wahlkampf ums französische Präsidentenamt liegen Nicolas Sarkozy und Francois Hollande in Umfragen dicht beieinander. Man mag den einen nicht mehr, aber den anderen deshalb auch noch nicht. Und die Versprechen der Kandidaten? Werden extremer.

Nicolas Sarkozy sagt, er habe gelernt. Er hat die Fehler eingestanden, die er sich zu Beginn seiner Amtszeit leistete, als er seinen Wahlsieg mit reichen Freunden im Pariser Luxusrestaurant „Fouquet’s“ feierte, als er sich von einem Milliardär zum Urlaub auf dessen Yacht einladen oder die Franzosen am Auf und Ab seines Privatlebens teilnehmen ließ. Jetzt, da aus dem Präsidenten wieder ein Kandidat geworden ist, der sich um seine Wiederwahl bewirbt, gibt er sich demütig. Er sagte es wortwörtlich: „Ich habe gelernt.“

Ort und Zeitpunkt des überraschenden Bekenntnisses war die Großkundgebung am Wochenende in Villepinte bei Paris. Gemessenen Schrittes hat sich Sarkozy unter den Klängen eines Marinemarschs zum Rednerpult begeben. Hinter ihm auf einer blauen Leinwand über einer Galerie von Porträts der Slogan „Das starke Frankreich sind Sie!“. Vor ihm die Mitglieder der Regierung und Prominente aus dem Showbusiness wie der Schauspieler Gérard Dépardieu, der sein ganzes massiges Gewicht für den Präsidenten einsetzt, „über den alle schlecht reden, der aber nur Gutes tut“, wie er es später am Abend formuliert. Die Halle ist gefüllt mit Fahnen und Fähnchen schwingenden Parteigängern und ihren „Nicolas! Nicolas!“-Rufen.

50.000 Anhänger sind von der Regierungspartei UMP in Sonderzügen und Bussen aus ganz Frankreich zu der riesigen Halle auf dem Messegelände im Pariser Norden gekarrt worden. Sie hörten eine Rede, in der fast jeder Satz des Präsidenten mit Anspielungen auf den im Amt absolvierten Lernprozess begann. Es war eine Rede, die vielleicht die von ihm erhoffte Wende gebracht hat. Aber nur vielleicht. Nach dem täglichen Stimmungsbarometer des Instituts Ifop-Fiducial lag Sarkozy jedenfalls Anfang der Woche erstmals vor seinem größten Konkurrenten, dem Sozialisten Francois Hollande.

Seinen Anhängern in Villepinte hatte der oft der Arroganz geziehene Sarkozy gesagt, er habe gelernt, dass der Präsident „für Freud und Leid der Franzosen“ Rechenschaft schuldig sei. Dass der Präsident „mehr kritisiert, mehr attackiert und mehr karikiert“ werde als irgendjemand sonst, das aber aushalten müsse. Dass er in den fünf Jahren begriffen habe, „dass der Wille nicht alles vermag“. So habe er „Demut“ gelernt, aber auch verstanden, dass die Franzosen es nicht akzeptiert hätten, wenn er aufgegeben und nicht „das Unmögliche“ versucht hätte. Es war eine Rede, die zur Aufholjagd aufrief.

Seit Beginn des Wahlkampfs hatte Francois Hollande, der Kandidat der Sozialisten, in allen Umfragen vor dem konservativen Amtsinhaber gelegen. Bis zu 29 Prozent der Befragten wollten in der ersten Wahlrunde am 22. April für Hollande stimmen, 26 Prozent für Sarkozy. Der Abstand zwischen beiden unterlag Schwankungen, war aber beständig. Bis jetzt. Die neuesten Ifop-Zahlen ergaben, dass 28,5 Prozent für Sarkozy stimmen würden und 27 Prozent für Hollande. Nach derselben Erhebung aber hätte Hollande in der auf die erste Abstimmung folgende Stichwahl am 6. Mai mit 54,5 Prozent gegenüber Sarkozy mit 45,5 Prozent weiter die besseren Aussichten.

Die anderen Kandidaten haben kaum Chancen

Die übrigen Bewerber haben auch leicht aufgeholt. Gefährlich können sie den beiden Spitzenreitern jedoch kaum werden. Dass Marine Le Pen von der rechtsextremistischen Nationalen Front, die die erforderlichen 500 Unterschriften von lokalen Volksvertretern für ihre Kandidatur nur knapp zusammenbekam, mit ihren von den Umfragen ausgewiesenen 17 Prozent hoffen könnte, wie ihr Vater Jean-Marie Le Pen 2002 in die zweite Runde zu gelangen, ist zweifelhaft.

Mit je etwa zehn Prozent könnten der Zentrist Francois Bayrou sowie Jean-Luc Mélenchon, der für die Linke und für die Restpartei der Kommunisten kandidiert, rechnen. Völlig abgeschlagen erscheint die Grünen-Kandidatin Eva Joly, die bei den Europawahlen mit Daniel Cohn-Bendit die große Überraschung war. Ökologie spielt diesmal keine Rolle. Dieser Wahlkampf war fast von Beginn an auf eine Konfrontation zwischen Sarkozy und Hollande zugelaufen.

Dass der Amtsinhaber wenige Wochen vor einer Präsidentenwahl in allen Umfragen schlecht abschneidet, hat es in der Geschichte der Fünften Republik noch nicht gegeben. Entsprechend groß ist die Unruhe im Regierungslager. Trotz der zur Schau getragenen kämpferischen Zuversicht. „Die Tenöre der Rechten glauben es nicht mehr“, berichtet das Boulevardblatt „Le Parisien“ unter Berufung auf Äußerungen aus Regierungskreisen.

Anders als 2007 herrscht keine Aufbruchstimmung. Das Wachstum der Wirtschaft stagniert. Die Zahl der Arbeitslosen ist seit Sarkozys Amtsantritt um eine Million gestiegen, der Schuldenberg um 600 Milliarden Euro gewachsen, das Außenhandelsdefizit auf 75 Milliarden Euro geklettert und die Wettbewerbsfähigkeit französischer Unternehmen gesunken.

Sehen Sie in den Bildern: Sarkozy auf Wahlkampftour

Das sind zum Teil Folgen der Krise, in der sich Frankreich, wie Sarkozy in einer Fernsehsendung insistiert, besser behauptet habe als die anderen europäischen Länder – „mit Ausnahme Deutschlands“. Doch eine große Zahl der Franzosen kreidet dem Präsidenten an, dass er seine Versprechen nicht gehalten hat. Ihre Kaufkraft hat er nicht erhöht, wohl aber den Reichen Steuervorteile verschafft.

Wie unpopulär sich Sarkozy gemacht hat, zeigen Ereignisse der jüngsten Zeit. In Bayonne in Südwestfrankreich musste der Präsident sich vor einer johlenden Menge baskischer Aktivisten, Gewerkschaftern und Parteigängern der Linken in ein Café retten. Bei einem Besuch der Kleinstadt Saint-Just-Saint-Rambert im Departement Loire bewahrten ihn 200 Beamte der Bereitschaftspolizei CRS, die die Demonstranten auf gehörigen Abstand hielten, vor einer Wiederholung des peinlichen Spektakels. Nun reist er wieder – wie schon während seiner ganzen Amtszeit – mit massivem Sicherheitsaufgebot durchs Land.

Spontane Kontakte mit der Bevölkerung kommen da nicht zustande. Stattdessen hört man, wie vergangene Woche in Nizza, Jubelchöre bestellter UMP-Anhänger. Oder die Sarkozy-Besuche treffen auf Gleichgültigkeit, wie beim Besuch der Wäschefabrik Lejaby in Yssingeaux in Zentralfrankreich. Das Werk war mit Hilfe von Sarkozys Freund Bernard Arnault, dem Chef des Luxusgüterherstellers LVMH, vor der Schließung bewahrt worden. „Dem Präsidenten danken?“, sagte eine Arbeiterin in die Fernsehkameras. „Wofür? Wir schulden ihm nichts.“

Möglicherweise verdankt Hollande den Zuspruch, den er in den Umfragen erhält, weniger seiner eigenen Beliebtheit als der Unbeliebtheit des Präsidenten. Schon bevor die Linke ihn im Oktober 2011 in einer Urwahl zu ihrem Kandidaten kürte, rangierte jeder potenzielle Bewerber der Sozialisten klar vor Sarkozy – auch der dann über seine Sexaffären gestürzte Dominique Strauss-Kahn. Hollande schaffte es, die anderen Parteiführer hinter sich zu scharen, auch seine frühere Lebensgefährtin Ségolène Royal.

Ein Programm hat Sarkozy nicht vorgelegt.

Aus dem Programm der Sozialisten übernahm Hollande nur das, was ihm für sein Projekt „60 Engagements für Frankreich“ geeignet erschien. Die Rückkehr zur Rente mit 60, wie sie die Partei fordert? Ja, sagt er, aber über den Personenkreis und die Bedingungen müssten sich die Sozialpartner einigen.

Der EU-Fiskalpakt? Den will er neu verhandeln, auf jeden Fall aber um ein Wachstumskapitel erweitern, was ihm die brüske Ablehnung von Berlin und anderen EU-Regierungen einbrachte.

Als eine seiner ersten Amtshandlungen kündigte er ein Gesetz zur mehrjährigen Finanzplanung an. Damit soll die Finanzierung neuer Vorhaben für die Schulen oder für die Beschäftigung von Jugendlichen durch die Streichung von Steuernischen und die Einführung einer zusätzlichen Tranche der Einkommensteuer ermöglicht werden.

Gleichzeitig will er bis Ende 2013 die Reduzierung des Budgetdefizits von derzeit 4,5 Prozent auf die Maastricht-Vorgabe von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreichen.

Den Clou landete Hollande mit der Forderung, einen Steuersatz von 75 Prozent auf die Teile von Einkommen zu erheben, die eine Million Euro überschreiten. Stéphane Hessel, der ehemalige Widerstandskämpfer und Botschafter, der mit seinem Bestseller „Empört euch!“ Furore machte, soll ihm geraten haben, wie der US-Präsident Roosevelt in der Weltwirtschaftskrise den Mut zu drastischen Steuererhöhungen zu haben. Die Veröffentlichung der Chefgehälter der im Pariser Börsenindex CAC 40 vertretenen größten französischen Unternehmen, die 2011 im Durchschnitt um 34 Prozent stiegen, gab dann den Ausschlag für den spektakulären Schritt.

Ob und wie das Vorhaben überhaupt realisiert werden kann, ist fraglich. Doch „wie der Stier aufs rote Tuch“, so ein Hollande-Berater, stürzte sich Sarkozy sofort auf die „Neidsteuer“. Die Sozialisten wollten die Reichen aus Frankreich vertreiben, wetterte er und tappte in eine Falle. Als „Kandidat des Volkes, durch das Volk und mit dem Volk“ hatte er seinen Wahlkampf eröffnet. Das Image eines „Präsidenten der Reichen“, das ihm seit der Sause am Wahlabend im „Fouquet’s“ anhängt, wollte er endlich loswerden. „Wir sind kleine Leute“, versicherte seine Frau Carla Bruni kürzlich in einer Fernsehsendung. Aber nun hat er sich wieder auf die Seite des großen Geldes gegen einen Vorschlag geschlagen, den sechs von zehn Franzosen gutheißen.

Ein Programm hat Sarkozy nicht vorgelegt. Aber er will die Wähler jeden Tag mit einem neuen Vorschlag in Atem halten. Wirklich neue Ideen blieb er bisher schuldig. Stattdessen bediente er sich ungeniert aus dem populistischen Arsenal der Nationalen Front. Referenden will er abhalten, damit das Volk über die Zahlung von Arbeitslosengeld und die Ausweisung von Ausländern entscheidet. Die Zahl der Einwanderer will er halbieren. „Es gibt zu viele Ausländer auf unserem Territorium“, sagt er, ganz wie Le Pen.

Auch in Villepinte griff er Forderungen der Nationalen Front auf. Zur Kontrolle der Flüchtlingsströme will er den freien Reiseverkehr in der EU durch eine Revision des Schengener Abkommens einschränken. Zum Schutz der französischen Industrie dringt er bei der Vergabe öffentlicher Aufträge auf Gegenseitigkeit zwischen Europa und den USA. Sollte es darüber keine Einigung mit den EU-Partnern geben, werde Frankreich im Alleingang handeln.

Diese Töne klingen nicht mehr nach Merkozy, nach dem kleinen Sarkozy im Schatten der großen deutschen Kanzlerin, als der er in Frankreich oft bespöttelt wurde. Dazu passt auch die Nachricht, dass es vermutlich keine Wahlkampfhilfe von Angela Merkel in Frankreich geben werde. Das „Handelsblatt“ jedenfalls zitierte einen UMP-Sprecher mit den Worten: „Nichts, überhaupt nichts ist geplant.“

Dafür macht derzeit eine ganz andere Art von Wahlkampfhilfe von sich reden. Das französische Internet-Magazin „Mediapart“ behauptet, Beweise für das schon länger kursierende Gerücht zu haben, der frühere libysche Diktator Gaddafi habe Sarkozys ersten Wahlkampf mit 50 Millionen Euro gesponsert. Sarkozy nannte den Vorwurf „grotesk“.

Ob der Rechtsruck Sarkozy den für einen Wahlsieg nötigen Stimmenzuwachs einbringt? Nach der Mammutkundgebung vom Sonntag sieht er sich in seiner Strategie bestätigt. Doch was bleibt, ist das Bild von einem Kandidaten, der allein auf einer überdimensionierten Bühne steht. Das „Rendezvous der Wahrheit“, wie der regierungstreue „Le Figaro“ die Kundgebung genannt hat, beendet er mit dem Ruf: „Französinnen und Franzosen, helfen Sie mir!“ So hatte einst auch de Gaulle ans Volk appelliert.

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