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Sarrazins Äußerungen: Türken sehen „Schlag unter die Gürtellinie“

Mit Entrüstung hat die Presse in der Türkei auf die Äußerungen des früheren Berliner Finanzsenators Thilo Sarrazin reagiert. Sarrazin habe die Türken in Deutschland beleidigt, kommentierte die Zeitung „Milliyet“.

Istanbul - In anderen Blättern war von einem gegen die Türken gerichteten „Schlag unter die Gürtellinie“ und von rassistischen Äußerungen Sarrazins die Rede. Sarrazin habe mit seiner Äußerung, Türken und Araber könnten nur Obst- und Gemüseläden betreiben, sogar die NPD rechts überholt, kritisierte die Zeitung „Vatan“. Selbst den Deutschen seien die Stellungnahmen des SPD-Mannes unangenehm, berichtete das Blatt „Taraf“. Die Zeitung „Yeni Safak“ zitierte den türkischen Botschafter in Berlin, Ahmet Acet, mit den Worten, die Welle der Kritik an Sarrazin in der Bundesrepublik selbst sei „die beste Antwort“ auf dessen Äußerungen gewesen. Wie andere Medien unterstrich „Yeni Safak“ zudem, dass die Staatsanwaltschaft bei Sarrazin den Anfangsverdacht der Volksverhetzung sieht.

Die türkische Öffentlichkeit ist für Äußerungen wie die Sarrazins immer sehr empfindlich. Derzeit ist die Sensibilität jedoch noch höher als sonst: Nach dem Ausgang der Bundestagswahlen erwarten viele Medien und Politiker in der Türkei eine Verschärfung der deutschen Haltung zum EU-Beitrittswunsch der Türkei. In den Medien kursierten sogar Meldungen, wonach Kanzlerin Angela Merkel den türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan angerufen habe, um ihn davon zu unterrichten, dass es für die Türkei unter der schwarz-gelben Regierung sehr viel schwerer werde. Die deutsche Botschaft in Ankara sah sich angesichts der empörten Reaktionen gezwungen, ein Dementi herauszugeben.

Bei den Online-Ausgaben türkischer Tageszeitungen gingen hunderte von Leserkommentaren ein, in denen sich Türken über Sarrazin beschwerten. In den Chor der Entrüstung mischten sich allerdings auch selbstkritische Stimmen. In mehreren Leserzuschriften wurde die Ansicht vertreten, dass sich Sarrazin auf der Grundlage eines ganz bestimmten Bildes von den Türken in Deutschland geäußert habe. Vielen Türken ist es äußerst unangenehm, dass das Image ihres Landes in der Bundesrepublik und anderen westeuropäischen Ländern von der ersten Migranten-Generation geprägt wird, denn viele ‚Gastarbeiter’ der ersten Stunde kamen aus armen und sozial rückständigen Landstrichen Anatoliens. „Leute, die direkt vom Dorf nach Deutschland gingen, haben leider für ein schlechtes Image der Türkei gesorgt“, schrieb ein Zeitungsleser. „Die leben dort immer noch so, als wären sie auf dem Dorf“, hieß es in einer anderen Zuschrift. Thomas Seibert

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